Hilfe, mein Baby isst gerne Papier! Muss ich mir Sorgen machen?

„Ich bin Jo, 9 Monate alt und ein Papieroholiker.“ Könnte mein Baby schon mehr als „neineinein“ und „dadada“ sagen, so würde es ganz bestimmt genau diesen Satz von sich geben. Es liebt Papier, in allen Farben und Formen und am liebsten hat es Papier in seinem Magen.

Spätestens, als es verzweifelt kämpfend und vor sich hin motzend versuchte, sich auf das Sofa zu ziehen, um irgendwie an meinen dort liegenden Schreib-Kram zu kommen, war mir klar, dass mein Kind ein Problem zu haben schien (womit ich das Ess-Verhalten meine, nicht die zu geringe Körpergröße, um auf die Couch zu gelangen).

Denn das war nicht das erste Mal, dass mein jüngster Spross versucht hatte, Papier zu essen. Begonnen hat es, als er knapp sieben Monate alt war und anfing zu krabbeln und zu zahnen.

Klar, dass Babys in dieser Zeit alles in den Mund stecken, was ihnen vor die Finger kommen. Nach kurzer Zeit aber entdeckte mein Sohn seine Vorliebe für Papier.

Beim ersten Mal, als er sich über den Papierkorb hermachte, lächelte ich, nahm ihm geduldig die letzte Rechnung aus Mund und Hand und erklärte: „Nein, mein Schatz. Das ist Papier, das kannst du nicht essen. Nimm lieber den Beißring für deine Zähnchen.“

Beim zweiten Mal, als er sich über den Papierkorb hermachte, lächelte ich, nahm ihm geduldig den letzten Einkaufszettel aus Mund und Hand und erklärte: „Nein, mein Schatz. Das hatten wir doch gestern schon. Nimm lieber ein Stück Apfel, der hat auch einen Nährwert!“

Beim dritten Mal, als er sich über den Papierkorb hermachte, lächelte ich nicht mehr, nahm ihm den letzten Briefumschlag aus Mund und Hand und stellte den Papierkorb in die Höhe.

Und in meiner Naivität dachte ich doch tatsächlich, dass es damit erledigt sei! Aber das Baby fand jeden noch so kleinen Schnipsel Papier, der vielleicht noch irgendwo herumlag (da es kein Einzelkind ist, passiert das eben) und stopfte ihn sich in den Mund.

Manche mögen nun denken, dass er bestimmt nur darauf rumkauen wollte und es dann schon wieder ausgespuckt hätte. Ganz die vorbildliche Mutter machte ich die Probe aufs Exempel, mit dem Ergebnis, dass ich – nur leicht panisch – die Einzelteile einer Küchenrolle wieder zusammenpuzzelte, um festzustellen, wie viel davon tatsächlich in seinem Bauch gelandet war und überlegte, ob das wohl ein Fall für den Kinderarzt wäre.

Den nervte ich damit schließlich nicht, sondern tat das, was jede Mama an meiner Stelle getan hätte: Ich befragte das Internet.

Dr. Google erklärte mir natürlich zunächst, dass mein Baby nur noch wenige Stunden, vielleicht auch nur Minuten zu leben hätte. Das liege 1. an der Krankheit namens Pica, die sich darin äußert, dass Menschen (gerne auch Kinder) Dinge essen, die nicht zum Essen gedacht sind, weil sie eine psychische Störung haben und 2. daran, dass Papier essen auf einen akuten Mangel an bestimmten Nährstoffen hindeutet und 3. weil ihm eine Kolik/ein Darmverschluss bevorsteht.

Keine Sorge, das Kind lebt immer noch.

Des weiteren fand ich heraus, dass es eine Selbsthilfegruppe gründen könnte, weil es noch sehr viele weitere Eltern gibt, die das gleiche Verhalten bei ihren Sprösslingen beobachten.

Also lehnte ich mich entspannt zurück und beschloss, nicht mehr verzweifelt mit dem Finger die aufgeweichten Papierfitzelchen aus Babys Mund zu puhlen, sondern es in Zukunft eben sein Papier essen zu lassen, solange es vorher auch brav die Möhrchen aufgegessen hat.*

Allerdings passe ich umso besser auf, welches Papier den Weg in den Magen findet. Vermeiden sollte man:

  • dicht bedruckte Seiten: die Tinte von Spielzeugkatalogen und der neuesten Vogue (schön wär’s – wohl eher der neuesten „Bibi und Tina“-Ausgabe vom Schwesterchen…) ist wohl nicht unbedenklich. Vergiftungserscheinungen gibt es aber wohl erst bei zwei Gramm Farbe pro Körpergewicht.
  • chemisch gefärbte Seiten
  • Kassenbons, Fahrkarten und Eintrittskarten haben meistens eine spezielle Beschichten, die Bisphenol A enthält. Darum sollte man sie auch nicht im Papiermüll entsorge.
  • vorher von Geschwistern mit Klebstoff bearbeitete Seiten
  • Recycling-Kartons sind zwar besser für die Umwelt, aber angeblich schlechter für Babys Magen. In ihnen finden sich Mineralölmixe – manche behaupten aber, das sei ein von der Papierlobby in Umlauf gebrachtes Gerücht.

Gesund zwar nicht, aber immerhin weniger bedenklich sind:

  • Taschentücher
  • Toilettenpapier
  • Öko-Drucker-Papier
  • Unbedrucktes Papier
  • Papier, das nicht schon durch x Hände gegangen ist

Die Informationszentrale für Vergiftungen des Universitätsklinikums Bonn sieht das Ganze nicht so eng. Sie hat den Punkt „Papier, auch bedrucktes“ auf ihrer Liste der unbedenklichen Haushaltsmittel aufgeführt.

Auf Nachfrage bestätigte mir Dr. med. Carola Seidel die oben genannten Listen: „Im Prinzip ist es so, wie Sie sagen, wobei auch kleine Mengen von bedrucktem Papier gelegentlich unbedenklich sind. Bei größeren Mengen oder vor allem regelmäßiger Einnahme (könnte bei Essstörungen der Fall sein) würden wir uns die Druckerfarbe genauer ansehen wollen.“

Also dann: Mahlzeit!

*Der Korrektheit halber an dieser Stelle der Hinweis, dass der Papierkorb immer noch nicht den Weg zurück auf den Boden gefunden hat und ich auch nicht tatenlos zusehe, wie Baby sich blätterweise seine Droge reinschaufelt! Vielmehr geht es um Gelassenheit, wenn es doch mal wieder vorkommt, dass es glücklich grinsend einen Zettel findet und eine Ecke abgebissen hat, bevor es ihm aus der Hand genommen werden konnte.

Rebecca

Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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