Wenn aus meiner süßen Kleinen ein wildes Rumpelstilzchen wird, muss ich oft gaaanz tief durchatmen, um nicht auch noch durchzudrehen. Die Gründe sind eben oft so… scheinbar albern: Ich gebe ihr einen grünen statt des pinken Bechers. Ich schneide ihr Brot vier- statt zweimal durch. Ich gehe auf der Treppe vor, anstatt sie zuerst hochflitzen zu lassen.
Alles schon erlebt. Und – je nach Tagesform – genervt-amüsiert oder genervt-gereizt darauf reagiert. Und schließlich nachgegeben. Mit dem kleinen, aber piesackenden Gedanken im Hinterkopf: „Manchmal lasse mir wirklich ganz schön von ihr auf der Nase herumtanzen.“
Noch schlimmer ist es, wenn andere das sagen: „Hehe, Laura – da hat sie ja mal wieder ihren Willen bekommen!“ Ich will mich frei von der Meinung anderer über meine Erziehung machen, oft klappt das auch. Aber leider längst nicht immer. Diese Kommentare nerven mich. Und hinterlassen tragischerweise einen kleinen Stachel: Haben sie nicht vielleicht doch so ein bisschen recht?
Das ärgert mich, denn eigentlich bin ich der Überzeugung, dass es nicht so ist. Dass es meiner kleinen Tochter nicht darum geht, partout ihren Kopf durchzusetzen, um zu gewinnen.
Vor kurzem habe ich deswegen mal überlegt: Wie wäre es denn, wenn ständig jemand für mich entscheiden würde? Und zwar meist genauso, dass es gegen meine Vorstellungen geht? Stellen wir uns mal vor…
… ich wäre mit meiner Mutter in einem Schuhladen. Und hätte das allerschönste Paar Sneaker entdeckt, dass ich je gesehen habe. Es gibt sie in einem tollen Pink, ich bin gleich verliebt. Meine Mutter und die Verkäuferin sind aber der Meinung, dass sie in schwarz viel hübscher seien. Und wenigstens zu jeder Hose passen würden! Ich aber liebe das pinke Paar, argumentiere, dass ich doch wohl genug schwarze Schuhe hätte! Und werde langsam sauer. „ICH soll die doch anziehen!“ schreie ich. Und die schwarzen glänzen so doof! Aber, als würde sie mich gar nicht hören, sagt meine Mutter „Packen sie uns bitte die schwarzen ein!“ zu der Verkäuferin, die mich anblickt, als hätte ich den Verstand verloren. Mit den schwarzen Schuhen in meiner Tasche verlasse ich den Laden. Und fühle mich gedemütigt, entmündigt, nicht gesehen. Meiner Würde genommen. Ich könnte heulen. Auch, wenn es nur um ein Paar Sneaker geht. Auch, wenn ich doch schon groß bin und ganz andere Sorgen haben sollte.
Wie mag es denn dann wohl meiner Tochter gehen, die gerade zarte drei Jahre alt ist und kognitiv dadurch noch lange nicht so weit wie ich? Genau so. Ich stelle sie jeden Tag vor viele vollendete Tatsachen, die ich für sie entschieden habe. Ich bestimme, was sie zum Abendbrot isst (natürlich darf sie sich aus dem vorhandenen Angebot etwas aussuchen – aber Schokokuchen gehört nie dazu, obwohl sie ihn so gerne will.) Ich entscheide, was sie anzieht (auch hier darf sie aus zwei, drei Varianten aussuchen, aber barfuß in Sandalen gehört im Winter nicht dazu, obwohl sie das so gerne will.) Sie muss in die Kita. Wir fahren an die Nordsee in den Urlaub. Heute besuchen wir Oma und Opa. Egal, was sie davon hält. Und so geht es den lieben langen Tag.
Dies ist sicher kein Plädoyer dafür, Kinder alles selbst entscheiden zu lassen. Viele große Dinge können sie einfach noch nicht entscheiden, es fehlt ihnen an Erfahrung und sie würden sie am Ende einfach total überfordern. Das sind unsere Aufgaben. Aber gerade deswegen: Warum sollte meine Tochter nicht den pinken Becher bekommen, wenn sie ihn so gerne möchte? Und den Triumph erfahren, vor mir im dritten Stock zu sein? Diese kleinen Dinge tun mir nicht weh, ihr sind sie aber unheimlich wichtig. Sie sind für sie nicht albern, sondern für das Gefühl, ernstgenommen zu werden, genauso wichtig wie es die Sneakerfarbe für mich wäre.
Kleinkinder wollen uns nicht auf der Nase herumtanzen. Wie oft habe ich schon erlebt, wie gerne meine Tochter mit mir kooperiert und wie glücklich sie ist, wenn ich es bin. Wenn wir zusammen lachen. Ich sie lobe und mich bedanke, dass sie so toll geholfen hat.
Es „versaut“ sie nicht, wenn ich nachgebe. Ich erziehe sie nicht zum selbstsüchtigen Menschen, wenn ich auf ihre Bedürfnisse eingehe. Kinder werden „gut“ geboren und lernen dann von uns, wie man sich verhält. Wenn ich ihr Empathie, Respekt und Nachsicht vorlebe, kann das also kaum schief gehen.
Generationen lang wurde Eltern durch Ratgeber empfohlen, sich nicht von ihren Kindern terrorisieren zu lassen. Sie würden sich in Windeseile kleine Tyrannen heranzüchten, wenn sie ihr Baby bei jedem Schreien auf den Arm nehmen würden, um Himmels willen vielleicht sogar nachts, und wenn Kinder eine eigene Meinung entwickeln würden. Auf die schlimmstenfalls auch noch gehört werden würde. Viele dieser Dinge sind in unserer Generation zum Glück aus den meisten Köpfen verbannt. Aber das Auf-der-Nase-Herumtanzen-lassen, das taucht immer mal wieder in unseren Gedanken auf.
Hören wir nicht auf die kleine Stimme in unserem Kopf und auf die Ratschläge der anderen. Wenn wir genervt sind, denken wir an meine pinken Sneaker. Lassen wir unsere Kinder öfter mal bestimmen und „gewinnen“. So unterstützen wir sie darin, sich zu selbstbewussten, glücklichen und sich geliebt fühlenden Menschen zu entwickeln.
Und daran kann doch nichts falsch sein, oder?