„Ich bin die Mama, die ihr Kind alleine im Auto gelassen hat“

Ob man sein Kind mal für ein paar Minuten alleine im Auto lassen darf oder nicht, das ist eine Diskussion unter Müttern, die fast schon mit der Impfdiskussion mithalten kann.

Während es unumstritten ist, dass das an heißen Tagen überhaupt nicht geht, ist das „kurz mal schnell zum Bäcker“ sehr umstritten.

Eine Frau, die sich dafür entschieden hat, ihren vierjährigen Sohn für vier Minuten alleine zu lassen, ist Kim Brooks. Es war vor einem Supermarkt in einem Dorf in Virgina, er spielte im Auto ein Spiel, während sie für ihn Kopfhörer kaufte.

Daran erinnert sie sich so genau, weil diese Entscheidung ihr Leben veränderte. Aber nicht, wie ihr jetzt vielleicht denkt. Ihrem Sohn ging es gut, nichts ist ihm passiert, er war glücklich, schwitzte nicht und befand sich auch sonst in völlig normalem Zustand.

Allerdings hatten Passanten die ganze Szene beobachtet. Sie filmten den alleingelassenen Jungen, die Mutter bei ihrer Rückkehr und die Mutter beim Ausparken und Davonfahren. Und übergaben das Video der Polizei.

Für Kim Brooks war das ein völlig unverständliches Verhalten, weil sie nicht selbst angesprochen wurde und niemand es nötig fand, einzuschreiten – warum auch. Es folgte ein Rechtsstreit, in dem sie fast das Sorgerecht für ihre beiden Kinder verlor und am Ende 100 Sozialstunden leisten musste.

„Es war an einem warmen Tag im März, in der beschaulichen Vorstadt in Virginia, in der ich aufwuchs und wo meine Mutter noch immer wohnte. Meine zweijährige Tochter schlief. Mein vierjähriger Sohn spielte im Garten. Ich war dabei, unsere Sachen für unseren Flug nach Hause nach Chicago zu packen, als ich bemerkte, dass die Kopfhörer meines Sohnes kaputt waren“, so Kim Brooks.

Ihr Sohn wollte unbedingt mitkommen und so nahm das Unglück seinen Lauf. Kim Brooks beschreibt die Gegend, in der sie sich befand: „…wo Kinder mit den Fahrrädern herumfahren und die meisten Leute nicht mal ihre Türen zusperren.“

Der Junge spielte während der Fahrt auf dem iPad und quengelte, er wolle nicht mit in den Supermarkt gehen. „Zu Hause in Chicago hätte ich nein gesagt. Und wäre es heiß oder sogar warm draußen gewesen, hätte ich auch nein gesagt“, erklärt Kim Brooks.

Aber so sagte sie ja, parkte gleich bei der Eingangstür, öffnete die Fenster einen Spalt breit, machte die Türen kindersicher und aktivierte den Alarm des Autos.

„Als ich zurückkam, spielte er immer noch sein Spiel, lächelnd.“ Beide fuhren wieder zu Oma nach Hause, die sie schließlich zum Flughafen brachte und Kim Brooks und ihre beiden Kinder flogen nach Chicago.

„Mein Mann wartete mit einem fürchterlichen Gesichtsausdruck auf uns. ‚Ruf deine Mama an‘, sagte er. Sie weinte. Als sie von Flughafen zurückkam, hatte die Polizei in ihrer Einfahrt auf sie gewartet.“

Kim Brooks versteht bis heute nicht, warum diese vier Minuten so schlimm gewesen sein sollen: „Ich habe nicht verstanden, warum das, was ich getan habe, falsch oder gefährlich sein sollte. Sie beschloss, nicht stillschweigend ihre Strafe zu empfangen, sondern aufzuschreien. Sie tat es, indem sie mit anderen Eltern sprach, die Ähnliches erlebt hatten und versuchte, herauszufinden, woher die Angst kommt. Darüber schrieb sie ein Buch; über Helikoptereltern und ihre Meinung, dass Kinder auch frei sein dürfen. „Small Animals. Parenthood in the Age of Fear“ heißt das Buch.

Sie versuchte, mehr darüber herauszufinden, was die tatsächlichen Risiken sind, wenn es darum geht, Kindern Unabhängigkeit und Freiheit zu geben.

Denn genau dafür plädiert die Mutter: „Kinder lernen, mit Belastungen umzugehen oder Probleme zu lösen, indem sie eigene Erfahrungen machen dürfen. Das lernen wir nicht, wenn unsere Eltern oder Erwachsen alles für uns machen. Ich habe beim Schreiben des Buches gelernt, dass Menschen am glücklichsten sind, wenn sie etwas haben, was Psychologen einen inneren Ort der Kontrolle nennen, was bedeutet, dass du, als ein Mensch, entscheiden darfst, wie du deine Zeit verbringst“, so Kim Brooks gegenüber CBS.

Ganz und gar nicht glücklich war Kim Brooks in den Monaten nach der Anzeige. Der Rechtsstreit hatte Auswirkungen auf sie und ihre Kinder, die plötzlich Angst bekamen. Kim hatte Angst, wenn sie mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit war: „Ich war nie ängstlich in Gesellschaft, aber nun fragte ich mich ständig, ob Fremde meinen Umgang mit meinen Kindern beobachteten, mich verurteilten wenn eines weinte oder nur einen Handschuh trug, weil der andere gerade weggeflogen war, als ich einen Moment nicht hinsah.“

Auch ihre Kinder hatten Angst, weil sie die Vorwürfe an ihre Mutter mitbekommen hatten: „Ein Mal, nach seiner Schwimmstunde, kam er aus dem Bad und sah mich nicht – ich hatte mich hingekniet, um seine Schuhe zu holen. Als ich aufschaute, weinte er. ‚Mami, Mami! Ich dachte, jemand würde mich stehlen!’“

Dabei hatte sich seine Mutter mit diesem Thema bereits intensiv beschäftigt: „Es gibt eine interessante Statistik, die besagt, dass ein Kind statistisch gesehen durchschnittlich 750.000 Stunden an einem öffentlichen Ort alleine gelassen werden muss, um entführt oder gekidnappt zu werden, aber das ist eine Sache, über die sich Eltern trotzdem ständig Sorgen machen.“

Das Ereignis nach dem Schwimmkurs nahm Kim Brooks zum Anlass, mit ihren Kindern ausführlich genau darüber zu sprechen und sie erklärte ihnen: „Die meisten Menschen versuchen nicht, dir wehzutun. Die meisten Menschen sind gut. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Rebecca

Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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