Marissa hatte selbst eine traumatische Kindheit, die ihr den Start ins Mamaleben erschwert hat. Außerdem wurde bei ihr ADHS diagnostiziert. Doch sie geht ihren Weg und tut alles, um für ihre Kinder die Mama zu sein, die sie selbst so dringend gebraucht hätte. Marissa heißt eigentlich anders, möchte aber lieber anonym bleiben.
„Ich hatte selber eine eher unschöne Kindheit. Nach außen waren wir ‚die perfekte Familie‘. Hinter verschlossenen Türen sah das leider anders aus. Mein Vater war ein gewalttätiger Narzisst.
Meine Mutter sah bei dem allem zu.
Heute weiß ich, dass sie natürlich auch Angst hatte und von ihm manipuliert wurde. Trotzdem frage ich mich selber heute oft, wie sie dabei zusehen konnte, wie uns Gewalt angetan wurde und wir ständig angeschrien und beleidigt wurden.
Tatsächlich habe ich ganz lange nicht verstanden, dass meine Kindheit nicht ‚normal‘ war. In jeder Familie gab es doch irgendwas. Ich hatte schon manchmal Momente, in denen ich dachte, dass andere Väter oft liebevoller zu ihren Kindern sind, aber habe dann nicht weiter darüber nachgedacht.
Wenn man es nicht anders kennt, dann ist sogar so ein Ausnahmezustand ‚normal‘.
Erst als ich meine erste, nicht-toxische Beziehung geführt habe, mit meinem heutigen Ehemann, habe ich durch ihn und seine Familie begriffen, dass das eben nicht normal war. Als ich dann selber das erste Mal Mutter wurde, vor ca. 2 1/2 Jahren, ging es mir psychisch sehr schlecht.
Ich hatte zum einen eine sehr schwierige Geburt und zum anderen habe ich ab dem Moment angefangen, immer mehr zu begreifen. Das hat mich psychisch sehr belastet und ich habe immer wieder versucht, das Ganze zu verdrängen, wie die Jahre davor auch.
Aber irgendwann kam alles hoch, sämtliche verdrängten Erinnerungen.
Und das gerade in einer Zeit, die man eigentlich nur mit seinem Neugeborenen genießen möchte und in der man ohnehin schon mit kleinen Startschwierigkeiten im Mutter-Dasein zu kämpfen hat. Wenn man selbst eine traumatische Kindheit hatte, können schon kleine alltägliche Situationen ein Trigger sein. Beispielsweise, wenn das Kind schreit und es sich nicht sofort beruhigen lässt, fällt man sofort in diesen Panikmodus.
Wenn wir früher laut waren oder geweint haben, wurde wir angeschrien oder beschimpft, zur Not auch mal geschlagen, dann waren wir wenigstens ruhig. Dieses Schreien oder Weinen des eigenen Kindes bringt einen sofort in diese Situation zurück, in der man selbst noch klein und hilflos war. Ich denke, gerade als frischgebackene Mama ist es im Allgemeinen schon schwierig, herauszufinden, wie man mit Stresssituationen richtig umgeht.
Wenn dann die eigenen Eltern Negativbeispiele waren, erschwert das die Situation zusätzlich.
Mein Mann hat mir zum Glück sehr geholfen, damals wie heute und hat mir immer zugehört und mir Kraft geschenkt. Jeden Tag habe ich mir gesagt: ‚Ich bin für meine Tochter, und nun auch für meinen Sohn, die Mutter, die ich gebraucht hätte.‘ Es hat auch wahnsinnig geholfen tagtäglich zu sehen, dass meine Tochter einen so viel besseren Vater hat als ich ihn hatte. Jedesmal wenn mein Mann sie in den Schlaf geschaukelt, sie liebevoll beruhigt oder mit ihr Quatsch gemacht hat, hat er damit ein stückweit mein inneres Kind geheilt.
Ich habe jeden Tag versucht, gegen all das Leid in mir, mit der Liebe gegenüber meiner Tochter und meinem Sohn anzukommen. Ich habe mich bewusst jeden Tag dazu entschieden, es komplett anders als meine Eltern zu machen. Und ich würde behaupten, ich habe das verdammt gut geschafft.
Manchmal glaube ich, ich kann so gut auf meine Kinder eingehen, da ich dieses gebrochene Kind in mir habe.
Ich weiß oft ganz genau, was sie brauchen oder wie sie sich fühlen, weil mich das kleine Mädchen in mir ständig begleitet. Nach der Geburt unseres Sohnes vor ca. einem Jahr habe ich trotzdem den Entschluss gefasst, in Therapie zu gehen. Alles aufzuarbeiten und zu heilen. Für mich und vor allem für meine Kinder. Es ist tatsächlich nicht immer einfach und es fließen auch oft Tränen während einer Therapiestunde, aber es tut mir sehr gut.
Als wäre ein Kindheitstraumata nicht schon genug, habe ich noch die Diagnose ADHS erhalten. Für mich war die Diagnose ein Segen. Ich hatte neben meinen Kindheitstraumata noch mit anderen Dingen im Alltag zu kämpfen. Für mich war es sehr schwierig, Strukturen und Routine in den Alltag zu bekommen. Ich war überfordert mit aufräumen, Wäsche waschen, Abwasch erledigen.
Ich war schon immer sehr vergesslich und im Allgemeinen chaotisch.
Ich hatte auch schon immer starke Selbstzweifel und hatte es schwer, Freunde zu finden, beziehungsweise Freundschaften aufrechtzuerhalten. Die Liste könnte ich noch ewig so weiterführen. Ich dachte immer, mit mir stimmt etwas nicht oder meine Kindheit wär daran vielleicht Schuld. Doch dem war nicht so.
Seit der Diagnose gehe ich auch mit mir anders um. Nicht mehr so streng und selbstkritisch. Natürlich erschwert so eine neurodivergente Störung den Alltag als Mama zusätzlich in verschiedensten Situationen. Man ist ständig komplett reizüberflutet und wenn dann die Kinder einen Tag haben, an dem sie sehr laut oder mies gelaunt sind, dann kann das schon sehr herausfordernd sein.
Mittlerweile nehme ich auch Medikamente, die mir sehr guttun.
Ich bin ausgeglichener und in meinem Kopf herrscht weniger Chaos. Genau wie meine Kindheitstraumata sehe ich auch mein ADHS keinesfalls nur negativ. Ich bin ein sehr, sehr empathischer Mensch. Ich nehme kleinste Nuancen von Stimmungsschwankungen war und kann meine Kinder dadurch eher bei verschiedensten Gefühlen unterstützen und begleiten.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nicht verstanden wird. Wie man sich fühlt, wenn man klein und hilflos ist. Unser Alltag ist vielleicht nicht immer perfekt strukturiert, machmal auch ein bisschen chaotisch, aber das ist okay. Das Wichtigste ist, dass wir alles mit Liebe und Spaß machen. Klar gibt es Phasen, in denen ich mehr oder weniger zu kämpfen habe, aber ich habe gelernt, dass wenn man darüber spricht, es weniger schlimm ist.
In erster Linie natürlich mit meinem Mann, aber ich erkläre es auch meinen Kindern.
Ich sage dann zum Beispiel ‚Mama ist heute etwas überreizt‘ oder ‚Mama hat gerade etwas Chaos im Kopf‘ und dann beziehe ich sie einfach mit ein. Wir kuscheln uns dann einfach zusammen auf die Couch oder machen einen ruhigen Tag im Spielzimmer. Für sie ist es auch meistens okay, wenn ich mal kurz fünf Minuten alleine sein möchte und sie beschäftigen sich dann Mal zu zweit.
Natürlich klappt das nicht immer und ja, es gibt auch Momente, in denen mir alles zu viel wird, hin und wieder kommt es auch vor, dass ich mal kurz etwas lauter werde. Impulsivität ist, glaube ich, etwas, was jeder mit ADHS nachfühlen kann. Danach habe ich auch jedes mal ein furchtbar schlechtes Gewissen. Aber so etwas kann passieren, denn auch eine Mutter ist nicht perfekt und gerade, wenn man mit eigenem Traumata oder ADHS zu kämpfen hat, wird einem mal alles zu viel.
Das Wichtigste ist, mit den Kindern zu sprechen.
Sich zu entschuldigen, wenn man mal falsch gehandelt hat und die Situation zu erklären. Ich sage immer ‚Mama ist auch nicht perfekt und das ist okay. Fehler machen ist okay. Wichtig ist, dass wir darüber sprechen.‘ Ich werde noch einen langen Weg in Therapie vor mir haben. Ich werde manchmal Fehler machen, im Alltag zu kämpfen haben und das ist okay.
Solange man sich Hilfe von außen sucht und man seine Gefühlte kommuniziert. Natürlich wird man es nicht alleine schaffen und auch das ist okay.
Ich bin dankbar für meinen wundervollen Mann an meiner Seite und ich bin dankbar für meine Therapie.
Ich möchte mit meiner Geschichte anderen Müttern mit ähnlichem Hintergrund zeigen, dass niemand perfekt sein muss und es sollte kein Tabu sein, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht.”
Liebe Marissa (echter Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank, dass wir deine Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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