„Ich bin introvertiert, mein Kind extrovertiert – und das ist wirklich hart.“

Klar mag ich Menschen! Es dürfen aber nicht zu viele auf einmal sein. Und so richtig wohl fühle ich mich mit ihnen nur, wenn ich sie gut kenne. Dann kann ich mich entspannen, fallen lassen, die Gespräche genießen.

Menschenmassen oder fremde Menschen schüchtern mich ein. Smalltalk? Kann ich nicht. Und auch, wenn die Personen sehr nett wirken – mein Gehirn ist auf einmal leer, mein Sprachzentrum gestört. Und wenn ich etwas rausbringe, kommt es mir belanglos und dumm vor.

Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich weiß nur, dass ich mich prima mit meiner Introversion arrangiert hatte. Ich habe meinen Freundeskreis, wie ihr euch sicher denken könnt, ist er eher klein. Und voller Vertrauen.

Wer sich wohl allerdings nie damit arrangieren wird, ist meine kleine Tochter.

Sie ist fünf – und das komplette Gegenteil von mir.

Meine Tochter ist strahlend, fröhlich, laut, freundlich, offen – und sie lebt von Interaktion mit anderen.

Es gibt auf dem Spielplatz genügend freie Bänke, auf denen ich ganz in Ruhe sitzen und träumen könnte, während sie übers Klettergerüst fegt. Aber nein – sie peilt die einzige Sitzgelegenheit an, auf der schon eine Mutter sitzt. „Hallo!“ strahlt sie die fremde Frau an und verteilt unser Hab und Gut neben ihr. Die Frau rückt zur Seite und lächelt mich einladend an – jetzt das ganze Gepäck wieder zu nehmen und auf eine andere Bank umziehen käme mir wie ein Affront vor. Also setze ich mich hin, schaue stur geradeaus und bekommen feuchte Hände und rasende Gedanken: ,Los, sag was. SAG WAS! Die Frau sieht doch so nett aus!‘ Ich merke, wie sie mich von der Seite anlächelt, aber ich kann sie nicht anschauen. Irgendwie geht es nicht. Kurze Zeit später packt sie ihre Sachen, nimmt ihre zwei Kinder an die Hand, grüßt mich knapp und geht davon.

Und ich? Fühle mich mal wieder völlig bescheuert.

Von diesen Situationen könnte ich wohl Hunderte aufzählen. Immer wieder bringt mich dieses herrliche, furchtlose Kind in Situationen, die mich wirklich fordern. Überfordern! Entweder stehe ich sie schweigend durch – oder ich schaffe es tatsächlich, mich zu überwinden. Auf Schulfesten landen wir immer an dem belebtesten Tisch. Auf Reisen müssen wir am Pool direkt neben der Familie liegen, deren Kinder sie als ihre Urlaubs-Buddies auserkoren hat – und uns mit ihnen zum Abend-Buffet und für einen Ausflug verabreden.

Wir wohnen in einer Neubau-Siedlung, umzingelt von Familien. Immer wieder finde ich meinen kleinen Wildfang in fremden Gärten auf Trampolinen und Baumhäusern und ich überwinde mich, mache mich gerade, lächle die Eltern an. Führe kleine Gespräche, übers Wetter, den Inhaberwechsel des kleinen Supermarkts, den zu langen Rasen des unbeliebtesten Nachbarn der Siedlung… und nehme anschließend meine überglückliche kleine Maus wieder mit nach Hause. Sie sprudelt nur so über vor lauter neuen Eindrücken. Ich mache dicht und muss mich sammeln. Sehne mich nach meinem Sofa, auf dem ich abends alleine liegen werde.

Wahrscheinlich ist das alles gut für mich. Durch meine Tochter habe ich natürlich auch schon viele nette Gespräche mit tollen Leuten geführt, die ich sonst nie kennengelernt hätte.

Ich hoffe ja noch immer, dass das Ganze für mich mal wie eine Konfrontations-Therapie wirkt und mir dieses „Soziale“ leichter fällt. So ist es aber nicht.

Ich bin so stolz auf meine Tochter, die voller Neugier und Selbstvertrauen durch ihr Leben tanzt. Die Menschen trifft, eine gute Zeit mit ihnen hat und sie dann vielleicht auch nie wieder sieht. Oder in ihnen neue Freunde findet. Alles ist ihr möglich.

Und ich? Ich bin so verdammt müde. Es ist so hart für mich, auch, wenn ich mich selbst nicht verstehe.


Liebe Marina, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Tochter alles Liebe für die Zukunft!

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Laura Dieckmann

Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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Chrissi
Chrissi
7 Monate zuvor

Hier genauso!! Mein Mann und ich sind beide Intros und unsere mittlere Tochter absolut extrovertiert. Es ist wirklich faszinierend und ich bin so stolz auf sie. Und fühle mich gleichzeitig oft so unzulänglich, weil ich/wir eben ganz anders sind und ihr oft gefühlt nicht das geben können was sie eigentlich braucht. Wir haben 4 Kinder, zusätzlich arbeite ich noch im sozialen Bereich und bin so mit der täglichen „Sozialaktivität“ absolut oberkante ausgelastet. Hab ich wirklich mal bissl Zeit für mich MUSS ich sie allein mit mir selber und sonst niemandem verbringen sonst geh ich hier wirklich ein. So haben wir halt keinen wirklichen engen Freundeskreis, weil ich, um den zu pflegen, keine soziale Energie mehr übrig habe. Wir sind nicht ständig auf irgendwelchen Grillabenden oder unternehmen was mit anderen Familien.(Ab und zu ja, aber eher selten.)
Zum Glück hat sich meine nun 10-jährige Tochter inzwischen selbst einen Freundeskreis kreiert und wird von deren Familien dann oft ganz automatisch in deren Familienaktivitäten mit reingenommen. Ich frage mich aber ob sie uns das später mal ankreidet, dass wir eben nicht so ’sozial aktiv ‚ sind wie andere Eltern. Bisher realisiert sie das noch nicht, sie ist zu ihrer Extraversion auch zum Glück jemand der das Leben leicht nimmt und sich nicht allzuviele Gedanken macht. Die mache ich mir dafür umso mehr. Typisch Intro halt. 😉 Wünsche der Artikel Schreiberin jedenfalls viel Kraft und Liebe vor allem auch für sich selbst. Denn eigentlich ist Intro sein ja genauso großartig wie extro sein, wenn auch anstrengender, hab ich das Gefühl. Ich wäre hier auf alle Fälle jemand der sie ganz gut versteht und ähnliches durchmacht!!