„Mein Mann möchte mehr Sex, ich mag aber nicht und fühle mich unter Druck gesetzt!“ Solche und ähnliche Erfahrungen lesen wir in unserer Community leider relativ häufig. Denn so schön die Zeit mit Baby für die meisten Paare auch ist, so anstrengend ist sie meistens auch. Und neben dem Alltag, den so ein kleiner Mensch ganz schön durcheinander wirbeln kann, entwickelt sich häufig auch das Bedürfnis nach Nähe und Intimität in verschiedene Richtungen.
Aber was tun, wenn ein*e Partner*in mit dem Liebesleben komplett unzufrieden ist, der bzw. die andere sich aber gerade nicht mehr vorstellen kann? Wie gehe ich damit um, wenn mein*e Partner*in mich deshalb unter Druck setzt? Und was können wir tun, um eine Trennung zu vermeiden? Das haben wir den Hamburger Paartherapeuten Eric Hegmann gefragt. Seine Tipps für alle betroffenen Paare verraten wir euch hier.
„Mein Mann droht mit Trennung, wenn wir nicht mehr Sex haben“
Vor einiger Zeit haben wir in unserer Facebook-Gruppe den Beitrag einer Mama gelesen, die mit ihren Neven am Ende war. Der Grund: Ihr Mann hat andere Vorstellungen vom gemeinsamen Liebesleben und setzt sie deshalb unter Druck. Mit dem Einverständnis der Mama dürfen wir den Post hier teilen:
„Ich bin mit meinem Mann 11 Jahre zusammen, 3 Jahre verheiratet, und wir haben zwei gemeinsame Kinder. Das Thema kommt mindestens einmal im Monat auf, und langsam hab ich keine Lust mehr auf das Theater: Mein Mann meint, wir haben zu wenig Sex. Vier- bis fünfmal im Monat, mal mehr mal weniger.
Ich kann einfach nicht öfter. Ich bin arbeiten, habe die Kinder, den Haushalt, und ich bin froh, wenn ich einfach mal Ruhe habe, und niemand an mir klebt. Gestern meinte er, dass wir kein Sexleben hätten, dass es zu wenig sei, und dass es für ihn auch ein Grund sei, sich zu trennen. Ich fühle mich gezwungen, mit ihm zu schlafen.“
Viele Eltern-Paare kennen das Problem
Und so erschreckend die Geschichte auf den ersten Blick klingt: Leider ist sie kein Einzelfall. Viel zu oft lesen wir, dass Mamas sich zum Sex drängen lassen – aus Angst den Partner zu verlieren.
Doch es gibt auch andere Erfahrungen zu diesem Thema: Bei einigen Paaren findet sich der Partner mit der Situation ab und drängt seine Partnerin nicht, ist dann aber unglücklich. Wieder andere Mütter schreiben uns, wie sehr sie selbst darunter leiden, dass sie nach der Geburt ihres Kindes keine oder nur selten Lust haben. Sie zweifeln an sich und vermuten hormonelle Ursachen. Zu guter Letzt gibt es auch Partner, die nach Schwangerschaft und Geburt plötzlich keinen oder nur noch weniger Sex möchten – und deren Partnerin sich häufig fragt, ob er sie nicht mehr attraktiv findet.
Doch so unterschiedliche die Geschichten auch sind, eins haben sie alle gemeinsam. Die verschiedenen Wünsche und Bedürfnisse in Bezug auf die Sexualität werden zum echten Problem für die Beziehung. Viele Mamas fühlen sich unsicher, zweifeln an sich selbst oder an der Partnerschaft.
Paartherapeut Eric Hegmann: „Ihr seid nicht allein damit!“
Dabei ist das gerade nach einer Schwangerschaft relativ normal, sagt der bekannte Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann. Wir haben den Experten gefragt, welche Ursachen hinter den verschiedenen Bedürfnissen stecken können, wie betroffene Paare am besten mit der Situation umgehen, und was dabei helfen kann, die Beziehung zu retten. Seine Tipps für alle betroffenen Elternpaare lest ihr hier:
1. Lieber Herr Hegmann, ein großes Thema in unserer Community sind die unterschiedlichen Bedürfnisse in Bezug auf die Sexualität nach einer Schwangerschaft bzw. Geburt. Wie häufig hören sie von Paaren, die das gleiche Problem haben?
„Das ist ein sehr häufiges Thema von Paaren, und wen das betrifft, den tröstet vielleicht: Ihr seid gewiss nicht alleine damit. Es verändert sich so viel in dieser Zeit (und danach), dass Konflikte dazugehören.“
2. Können Sie sagen, welche Gründe es dafür gibt bzw. geben kann?
„Die Prioritäten verschieben sich. Da ist ganz viel Vorfreude, da entstehen aber auch Ängste, und dann verändert sich auch der Körper. Das geschieht aber nicht bei beiden Partnern gleichermaßen, deshalb kommt auch viel Unverständnis hinzu: Bin ich nicht mehr begehrenswert? Wie kann ich zurückweisen, ohne zu verletzen? Die Partner fragen sich: Was bedeutet mir Sexualität? Was macht es mit mir, wenn wir weniger, andere oder keine Paarsexualität mehr haben? Und wie lange wird das dauern?“
3. Wenn Paare in diesem Dilemma stecken, welches wäre aus Ihrer Sicht der erste wichtige Schritt?
„Wenn irgend möglich: Besprecht vorher, wie ihr mit Veränderungen umgehen wollt. Weniger in dem Sinne, dass ihr schon eine Lösung findet, das wird meist nicht klappen. Aber insofern, dass ihr übt, Verhandlungen über unterschiedliche Bedürfnisse zu führen, solange ihr noch nicht eskaliert seid über eure Konflikte. Dazu gehört es, zu trainieren, schwierige Gespräche zu führen, Unterschiede auszuhalten und dennoch eine Verbindung zu spüren.“
4. Was können betroffene Paare tun, um eine Trennung zu vermeiden?
„Mein Rat hier ist externe Unterstützung. Denn die Partner eskalieren in solchen Situationen häufig darüber, wer nun „Recht“ hat, wessen Bedürfnisse wichtiger und gerechtfertigter sind. Das führt nach meiner Erfahrung meist zu einer Spirale von Ablehnung und Vorwürfen, aus der ein Paar alleine schwer herausfinden kann.“
5. Wann macht eine Paar-Therapie Sinn, und wie kann sie Betroffenen helfen?
„Es gibt kein „zu früh“ für eine Paartherapie. Denn dort lernen Partner, miteinander zu verhandeln und Unterschiede im besten Fall als Ergänzung zu erleben. Das macht viel mehr Spaß und ist erheblich zielführender, wenn das Paar noch nicht eskaliert ist. Also gerade wenn ihr denkt, ihr braucht sie nicht, genau dann sind Kommunikationsseminare beispielsweise eine ganz wunderbare Investition in die gemeinsame Zukunft.“
6. Was mache ich, wenn mein*e Partner*in keine Therapie machen möchte?
„Wer sich einer Therapie verweigert, verweigert sich häufig auch einer notwendigen Veränderung. Da darf jede*r für sich entscheiden, wie sie oder er mit jemandem umgehen möchte, der sich nicht verändern will. Niemand kann jemanden zu einer nachhaltigen Veränderung zwingen, die muss jede*r für sich wollen. Ein Grund, nicht in eine Therapie gehen zu wollen, ist die Sorge, verändert zu werden gegen den eigenen Willen. Da kann es helfen, sich im Vorfeld zu informieren, wie eine Paartherapie tatsächlich abläuft. (Oder mir in meiner ARD Serie „Die Paartherapie“ zuzusehen. Ich weiß, dass sie vielen die Furcht genommen hat.)“
7. Wir lesen immer wieder mit Erschrecken, dass viele Mütter sich zum Sex drängen lassen, obwohl sie nicht möchten – aus Angst, den Partner zu verlieren. Was würden Sie den Betroffenen in diesem Fall raten?
„Hier würde ich unbedingt Unterstützung von außen hinzuziehen. Wenn ein Partner die Wünsche und Bedürfnisse des anderen übergeht oder die eigenen Bedürfnisse aufzwingt, ist die Beziehung bereits nicht mehr auf Augenhöhe und gefährdet. Das wird dem Paar alleine nach meiner Erfahrung nicht gelingen, das zu richten, denn hier geht es um ein ganz grundsätzliches Problem, das auch nicht von alleine weggehen wird und betrachtet werden muss.“
8. Und zum Abschluss: Welche 3 Tipps würden Sie Paaren mit auf den Weg geben, bei denen die unterschiedlichen Bedürfnisse zu Problemen und Streit führen?
- „Denkt nicht zuerst an die Lösung, denn der Streit über diese wird euch höchstwahrscheinlich noch mehr entzweien, sondern findet erst einmal wieder eure Verbindung, damit ihr überhaupt wieder eine Lösung verhandeln könnt.“
- „Akzeptiert die Notwendigkeit zur eigenen Veränderung und wartet nicht darauf, dass sich der oder die andere für euch verändert, denn es wird niemals nachhaltig sein, wenn sich jemand verändern muss; nur selbst gewollte Veränderung hat Bestand.“
- „Lernt das Verhandeln von unterschiedlichen Bedürfnissen frühzeitig, ihr werdet es in eurer Beziehung auf jeden Fall irgendwann benötigen. Beispielsweise in Paar-Seminaren, in der Paartherapie oder mit Online-Kursen. Ich habe hierzu zahlreiche Angebote entwickelt, von meinem regelmäßigen Live-Online-Seminar „Grundlagen der Paarkommunikation“, bis zum meiner künstlichen Intelligenz Eric AI, eine KI, die ich selbst entwickelt und mit meinen Werkzeugen und Wissen trainiert habe.“
Vielen Dank, lieber Eric Hegmann!
Jetzt würde ich gern von euch wissen: Wie geht es euch mit diesem Thema in der Beziehung? Hat sich euer Liebesleben nach der Schwangerschaft bzw. Geburt verändert? Kennt ihr das Problem und habt vielleicht selbst Erfahrungen damit gesammelt?