Als Annas Schwester schwer krank wurde, stand eine unausweichliche Frage im Raum: Was würde mit ihrem sechsjährigen Sohn Felix geschehen? Anna, selbst Mutter von zwei Kindern, rang mit sich – sollte sie Felix zu sich nehmen? Schließlich traf sie eine schwere Entscheidung: Nein. Heute weiß sie, dass es die richtige war – vor allem für Felix.
„Als mein Mann und ich uns kennenlernten, waren wir beide bereits 31 Jahre alt – ich kinderlos, er bereits Vater eines 8- und eines 9-jährigen Jungen. Wir bekamen schnell zwei weitere Kinder, und damit war unsere Familienplanung eigentlich abgeschlossen. Mein Mann wollte kein fünftes Kind, und ich wollte kein drittes.
Dann wurde meine Schwester schwer krank.
Es war nicht die Frage, ob, sondern wann sie gehen würde. Ihr Sohn Felix, mein Patenkind, war damals sechs Jahre alt. Wir versuchten mehrfach, mit ihr darüber zu sprechen, was nach ihrem Tod mit ihm geschehen solle. Doch sie wich dem Thema aus, wollte sich unter keinen Umständen damit auseinandersetzen. Ich hätte mir gewünscht, dass sie eine klare Entscheidung trifft oder zumindest äußert, ob sie bereits vorgesorgt hat. Doch trotz vorsichtiger Nachfragen erhielten wir nur Schweigen.
Felix‘ leiblicher Vater spielte keine Rolle. Die beiden hatten sich direkt nach der Geburt getrennt, und bis heute hat er kein Interesse an seinem Sohn gezeigt. Auch Felix’ Stiefvater zeigte keinerlei Verantwortung und gab ihn bereits in unsere Obhut, als meine Schwester noch im Krankenhaus lag. Es gab keine Option – wir mussten eine Lösung finden.
Mein Mann und ich verbrachten unzählige schlaflose Nächte mit Diskussionen.
Ich war überzeugt, dass Felix in der Familie bleiben müsse. Mein Mann hingegen fühlte sich nicht in der Lage, noch einmal mit einem jüngeren Kind von vorn anzufangen. Wenn er sich dann mit dem Gedanken anfreundete, bekam ich Zweifel und sah mich nicht in der Lage, die Verantwortung für ein weiteres Kind zu übernehmen – zumal mein Mann durch seine beruflichen Verpflichtungen oft nicht da war. Wir änderten ständig unsere Meinung, aber leider nie zur selben Zeit.
Auf Unterstützung aus der Familie konnten wir nicht hoffen. Unsere Eltern waren durch den Verlust meiner Schwester emotional am Ende, mein Bruder alleinerziehend mit einer eigenen Tochter. Hilfe hätten wir also keine gehabt.
Als meine Schwester verstarb, lebte Felix zunächst vier Monate bei uns.
Doch da sie das alleinige Sorgerecht hatte, wurde das Jugendamt eingeschaltet. Nach reiflicher Überlegung kamen wir zu dem Entschluss, dass es das Beste für Felix wäre, ihn in eine liebevolle Pflegefamilie zu geben – eine Familie, die sich von Herzen ein Kind wünschte und ihm die volle Aufmerksamkeit und Fürsorge schenken konnte.
Das bedeutete nicht, dass ich ihn nicht liebte oder nicht alles für ihn tun würde. Deshalb habe ich sofort die Vormundschaft für ihn übernommen. Innerhalb meiner Familie und meines Bekanntenkreises stieß diese Entscheidung auf großes Unverständnis.
‚Du bist doch seine Patentante, du musst ihn aufnehmen‘, hieß es oft.
Doch eine Ehe bedeutet, Entscheidungen gemeinsam zu treffen – und genau das haben wir getan. Viele meinten, sie würden es in unserer Situation ganz sicher anders machen. Familienmitglieder fragten, wie ich zulassen konnte, dass Felix in eine Pflegefamilie kommt – schließlich hätten wir doch das Geld und den Platz. Was wir nicht hatten, war Zeit. Mein Job für mehrere Jahre zu pausieren, war für mich keine Option.
Heute lebt Felix seit sieben Jahren in seiner Pflegefamilie. Er ist ein glücklicher, stolzer großer Bruder geworden. Wir telefonieren so oft es geht, besuchen uns regelmäßig, und auch mit der Pflegefamilie gibt es einen engen, vertrauensvollen Austausch. Wichtige Entscheidungen treffen wir immer gemeinsam.
Ich bin überzeugt, dass wir die absolut richtige Entscheidung getroffen haben – nicht nur für uns, sondern vor allem für Felix.”
Liebe Anna (Name von der Redaktion geändert), vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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Wow!!! Ich kann nicht ein Mal annähernd erahnen, was das für eine schwierige Situation gewesen sein muss. Mein größten Respekt für euch! Du hast auch eine Schwester verloren und kaum Zeit gehabt, das zu verarbeiten. Es ist schwer für jemand anderen zu entscheiden und man kann es nie allen Recht machen. Daher ist eine Entscheidung besser als keine. Ihr habt es im Besten Gedanken an den kleinen und für euch entschieden und es genau richtig getan. Ich finde es toll, dass ihr weiterhin Kontakt habt und euch weiter so herzlich für ihn einsetzt. Das kostet auch Zeit und Mühe. Familie ist wichtig und Zusammenhalt steht an oberster Stelle. Und das kann man einem kleinen Menschen auch mit solch einem Familienmodell beibringen.
So eine traurige Geschichte 🙁
Ein kleiner Junge mit Vater, Stiefvater, beiden Großeltern, Tante und Onkel… und niemand nimmt sich seiner an…