Ich habe die Elternzeit total genossen. Ein ganzes Jahr mit meiner kleinen Tochter. Ein ganzes Jahr voller Liebe, rund um die Uhr. Ein ganzes Jahr voller „erster Male“. Das erste Mal Drehen, das erste Mal Sitzen, das erste Robben, der erste Brei (und dann das erste Mal, dass der Brei auch im Mund geblieben ist) – es war so wunderschön, all diese Meilensteine mitzubekommen. Ich war gerührt, stolz wie Bolle und drückte meine Kleine jedes Mal juchzend an mich.
Dann kam sie in die Krippe, weil ich wieder anfangen musste zu arbeiten. Und ja auch wollte. Aber trotzdem blutete mir das Herz. Warum hatte ich nicht länger Elternzeit genommen? Sie war noch so klein. Ich würde nur noch wenige Stunden am Tag Zeit mit ihr verbringen können, und kaum noch etwas mitkriegen. Und: Sie konnte ja noch nicht mal Laufen!
Irgendwie machte mir dieser Punkt tatsächlich ziemlich zu schaffen. Was wäre denn, wenn sie dort ihre ersten Schritte machen würde? Ohne mich? Wie bitter wäre das denn? Für sie – aber auch für mich?
Nun, meine Tochter ließ sich Zeit mit dem Laufen… Und natürlich kam es so, dass sie ihren ersten richtigen, kleinen Weg tatsächlich – in der Krippe zurücklegte. Während ich nichtsahnend im Büro saß.
Als ich sie nachmittags aus der Krippe abholte, setzte die Erzieherin sie am anderen Ende des Raumes ab und ermunterte meine Kleine: „Los, zeig mal Mama, was du jetzt kannst!“ Und meine Tochter wackelte strahlend ein paar Meter auf mich zu.
Bäääm. Gefühlsaufruhr bei Mama. Totale Freude und Stolz – gemindert durch den großen Stachel, dass ich nicht bei den ersten richtigen Schritten dabei war. Irgendwie war ich richtig traurig. Und hatte auch ein schlechtes Gewissen. Es war genauso gekommen, wie ich es befürchtet hatte. Warum musste ich auch unbedingt arbeiten gehen!? (Um Geld zu verdienen und weil ich gerne arbeite – das wusste ich natürlich. Eigentlich.) Was war ich bloß für eine Mama!?
Abends zu Hause erzählte ich es dem Papa. Der war vernünftigerweise „nur“ stolz – und gar nicht traurig. Allerdings ist es wahrscheinlich ja auch noch etwas anderes, weil er nicht ein ganzes Jahr rund um die Uhr mit unserer Baby-Tochter verbracht hatte und viele erste Male nicht live mitbekommen hatte.
Fakt war, es ließ sich nicht ändern. Ich konnte einfach nicht mehr rund um die Uhr mit meiner Tochter zusammen sein. Und selbst wenn: Ich klagte einer Freundin mein Leid. Sie ist länger als ich mit ihrem Kind zu Hause geblieben. Als dieses seine ersten Schritte machte – war sie im Badezimmer duschen, während Oma nebenan mit ihrem Kind spielte. Vollzeit-Mama zu sein, war also auch keine Garantie auf ein Abo all der ersten Male.
Meilensteine zu verpassen, ist nicht nur eine Gefahr von arbeitenden Mamas – es gehört zum Elternsein leider dazu. Schließlich sind unsere Kinder eigenständige kleine Menschen, die sich entwickeln, wann und wie sie es möchten – und nicht, um ihre Mama glücklich zu machen.
Und so machte ich mich frei von meinen Schuldgefühlen und dem traurigen Kloß im Bauch. „Meine“ ersten Schritte waren dann eben die, als sie das erste Mal aus dem Wohnzimmer ganz zu mir in die Küche kam, wo ich den Tisch deckte. „Mein“ erster Satz war der, den sie gezielt an mich richtete. Und „mein“ erstes Mal auf der Toilette war der Moment, als ein paar Tropfen darin landeten, während ich neben dem Töpfchen saß und ihr ein Buch vorlas.
Ich kann nicht jede Sekunde des Tages bei meiner Tochter sein. Aber ich kann das Beste aus all den Momenten machen, die ich mit ihr verbringe. Denn das sind die wirklich magischen.
Ach, und übrigens: Vor einigen Wochen feierte meine kleine Große ihren Abschied in der Krippe, weil sie in die KiTa kam. Wir bekamen ein zauberhaftes „Portfolio“ geschenkt, in das ihre Erzieherin liebevoll Fotos eingeklebt und Notizen dazu gemacht hatte. Viele der Bilder hatte ich nie vorher gesehen. So so süß. Eine Seite hat mich aber besonders berührt: Sie zeigt tatsächlich die ersten Schritte meiner Tochter. Und um sie herum stehen die Erzieher und die anderen Kinder, jubeln und tanzen. Wenn das für sie nicht die schönste Reaktion auf ihre ersten Schritte war! Das musste ich kurz vor mir selbst zugeben. Und dann war ich vollends mit dem verpassten Meilenstein versöhnt.