„Ich bin alleinerziehende Mutter eines achtjährigen Sohnes und möchte hier anonym unsere Geschichte erzählen, in der Hoffnung, dass ich anderen Familien vielleicht damit helfen kann. Ich schäme mich rückblickend für mein Verhalten und hoffe deswegen, dass ihr mich nicht verurteilt.
Als Baby war mein Kleiner unauffällig, er ist mein erstes und einziges Kind, damit hatte ich auch keinen direkten Vergleich. Rückblickend würde ich sagen, dass er beim Sprechen etwas hinterher hing. Ansonsten war er ein auffällig braves und liebesbedürftiges Kleinkind, das sich am liebsten hinter meinen Beinen versteckte, wenn es angesprochen wurde.
Ich dachte: So ist er eben, das ist sein Charakter.
Etwas auffälliger wurde es, als er mit drei Jahren in den Kindergarten kam. Er tat sich sehr schwer damit, Freunde zu finden. Wenn überhaupt, dann hatte er eine Bezugsperson, mit der spielte. Oft saß er aber auch alleine in einer Ecke und träumte oder beobachtete draußen Insekten. Je älter er wurde, desto mehr fiel mir auf, dass ich oft das Gefühl hatte, gegen eine Wand zu reden. Manchmal schien das, was um ihn herum geschah, gar nicht zu ihm durchzudringen.
Wenn ich ihn um Kleinigkeiten bat, brauchte er meistens ewig, um diese Dinge umzusetzen. Diese Langsamkeit brachte mich ab und zu an meine Grenzen. Seine Oma meinte zu mir, dass er das extra machen würde, damit wir es ihm abnehmen. ‚So ein Faulpelz‘, ärgerte ich mich von da an, wenn es morgens mal wieder extrem lange dauerte. Manchmal wurde ich dann auch richtig wütend und ungehalten, schließlich musste ich pünktlich bei der Arbeit sein.
Dann wurde er eingeschult.
Unsere Bindung war vorher sehr eng, doch mit der Schule änderte sich alles. Schon nach wenigen Monaten suchte seine Klassenlehrerin das Gespräch mit mir. Sie erzählte mir, dass mein Kind ständig nur aus dem Fenster sehen und träumen würde. Dass er immer wieder Jacke, Schultasche oder Sportkleidung in den Räumlichkeiten vergesse und schon jetzt beim Lernstoff den Anschluss verloren hat.
Ich war total geschockt und fühlte mich angegriffen. Gleichzeitig machte ich mir selbst Vorwürfe: Hatte ich meinen Sohn zu wenig gefördert? Vielleicht hatte meine Familie doch recht, die ständig sagte, dass ich ihn zu sehr verwöhnen würde. Ich wollte unbedingt, dass mein Sohn das Abitur machte und jetzt scheiterte er schon an der Grundschule. Also traf ich den folgenschweren Entschluss, strenger zu sein.
Damit begann die schlimmste Zeit in unserem Leben.
Ich hielt meinem Kind eine gepfefferte Strafpredigt, als ich von dem Gespräch mit seiner Lehrerin nach Haus kam und erteilte absolutes Medienverbot. Wenn ich daran denke, bricht mir das Herz, aber in dem Moment sah ich keinen anderen Weg. Ich weiß noch genau, wie er geweint hat und die Welt nicht mehr verstand.
In den folgenden Monaten setzen wir uns täglich zusammen hin und wiederholten abends den Unterrichtsstoff, beide übermüdet und gereizt. Oft verlor ich die Geduld, denn egal wie oft wir übten, mein Sohn ließ sich ständig ablenken und konnte sich Buchstaben und Zahlen einfach nicht merken. Wir hatten überhaupt keine schönen Momente mehr, denn ich ermahnte ihn ständig, nicht mehr so viel zu träumen und in jeder freien Minute versuchte ich, mit ihm zu lernen.
Bis dann seine Lehrerin wieder anrief.
Sie fragte vorsichtig, wie ich die Situation einschätzen würde und machte mir klar, dass sie überhaupt keine Verbesserungen sah. Ich brach heulend zusammen und berichtete unter Tränen von meinen Versuchen, mit meinem Sohn den Lernstoff nachzuholen. Sie hörte sich alles schweigend an und legte mir dann dringend ans Herz, den Kinderarzt aufzusuchen, um mich zu einem Experten überweisen zu lassen.
Noch heute erinnere ich mich genau, wie sie sagte: „Möglicherweise fällt ihrem Sohn das Lernen einfach schwerer als den anderen Kindern.” Also machte ich einen Termin und landete dann recht schnell mit meinem Sohn beim Kinderpsychologen. Nur wenige Wochen später hatten wir schwarz auf weiß eine Diagnose.
Mein Sohn leidet an einer LRS, einer Lese-Rechtschreib-Schwäche in Kombination mit ADS, ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ohne Hyperaktivität.
Von ADHS hatte ich zuvor schon mal gehört, doch niemals wäre ich darauf gekommen, dass mein Sohn unter etwas Ähnlichem leiden könnte. Schließlich dachte ich bei ADHS sofort an den typischen Zappelphilipp. Kinder mit ADS haben ebenfalls große Konzentrationsprobleme, sind dabei aber auffallend ruhig und sehr verträumt – genau wie mein Sohn eben.
Mein Kleiner bekommt seitdem sehr gering dosierte Medikamente, die ihm bei der Konzentration helfen. Außerdem sind wir regelmäßig bei der Lerntherapie und auch ich habe mich professionell beraten lassen, wie ich meinem Kind am besten helfen kann. Dabei habe ich gelernt, dass es ganz wichtig ist, das Selbstwertgefühl meines Kindes zu stärken.
Strafen oder Schimpfen machen also alles nur noch schlimmer.
Inzwischen kommt mein Sohn in der Schule viel besser klar, seine Leistungen sind meistens durchschnittlich und er scheint glücklich zu sein. Doch ich habe bis heute ein sehr schlechtes Gewissen, dass ich ihn so unter Druck gesetzt habe. Wenn ich jetzt daran denke, dass ich mich über ihn geärgert habe, weil ich dachte, dass er faul und bockig ist, kommen mir immer noch die Tränen.”
Liebe Mama (Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank für deine Geschichte. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
Diese Echte Geschichte protokolliert die geschilderten persönlichen Erfahrungen einer Mama aus unserer Community.
WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
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Mein Sohn hat genau die gleiche Diagnose …. es ist sehr schwer und wir suchen verzweifelt eine Lerntherapie … es gibt keine freien Plätze 🙁
Liebe Mama, ich habe zwei Söhne mit „special effects“ und eine Anleitung ist halt leider nie dabei. Quälen sie sich nicht mit einem schlechten Gewissen. Das hilft ihrem Kind nicht und die meisten Kinder würden das auch nie wollen. Seien sie ehrlich zu ihm und geben sie den Fehler ganz offen zu und entschuldigen sie sich. Kinder können meist überraschend gut mit solchen Eingeständnissen leben und es hat den positiven Effekt das sie sich ernstgenommen und gewertschätzt fühlen.
Liebe Grüße
Marianne
Hallo,gehen Sie bitte zu einem Familienzentrum oder Kinderpsychologen. Beide können helfen!
Liebe Grüße Bea
Liebe Mama,
sie haben wirklich aber wirklich eins zu eins von Anfang an meinen Sohn beschrieben. Das einzige was bei uns noch nicht feststeht ist die Diagnose, wir haben demnächst unsere Anschlussgespräch. Zumindest kann ich mich jetzt schon eventuell drauf einstellen was kommen könnte. Die Reaktion wie sie gehandelt haben sind die selben wie bei mir und meiner Frau. Man weiß einfach nicht weiter und versucht dann das bestmögliche rauszuholen und merkt später das es nur in die falsche Richtung gegangen ist. So einen Bericht wie ihren habe ich noch nie gelesen und bin froh (wenn es auch traurig ist) das wir nicht die einzigen mit solchen Problemen sind und Gott sei Dank es mittlerweile dafür Hilfe gibt. Ich will auch nur das Beste für mein Kind. Gutes gelingen und viel Glück.
Diese Geschichte berührt mich sehr, denn ich habe eine ähnliche Phase mit unserem Sohn durchlebt. Etliche Therapien für die Konzentration, Gespräche mit Erzieherinnen und Lehrern, die alle die gleichen Dinge schilderte. Das unser Sohn zwar irgendwie lernen und mitmachen will, aber es nicht kann/schafft. Einige waren sehr lieb und verständnisvoll, aber einige meinten auch, unser Sohn hat keinen Bock. Nur durch ein Gespräch mit dem Kinderarzt auch aufgrund der Corona Situation, wurde unser Sohn zu einem Spezialisten überwiesen und es wurde festgestellt unser Sohn hat ADS. Er ist durch Einnahme eines Medikamts ein fröhliches und motivierter Junge und hat Spaß und Erfolgserlebnisse in der Schule. Es tut mir auch in der Seele weh, wenn ich daran denke, wS unser Sohn leiden musste. Er hatte sich so sehr in der Schule angestrengt und gelernt, aber fast immer ohne Erfolge. Alles Gute und an alle die das lesen. Lieber ein Gespräch mehr mit dem Kinderarzt oder eine weitere Untersuchung mehr, als das unsere Kinder leiden müssen. Sie haben sich diese Dinge nicht ausgesucht.
Hallo liebe Mami! Was für regelmäßig Lerntherapien habt ihr wahr genommen, und wo kann man sich professionell beraten lassen? Ich freue mich auf deine Antwort!