Mein Mädchen ging schon lange in die Krippe. Und sie war dort mehr als glücklich. Eine kleine Gruppe, super nette Erzieherinnen und auch ich als Mama fühlte mich hier immer sehr wohl. Bis zum Winter vor ihrem dritten Geburtstag.
Ich kam, nass vom Schneeregen und müde von der Arbeit, um sie abzuholen. Das Abholen war für mich immer ein besonders schöner Moment des Tages. Ich freute mich so unglaublich auf meine Tochter und den Nachmittag, den wir nun gemeinsam verbringen würden. Leider schien sie sich plötzlich gar nicht mehr zu freuen.
Sie kam aus dem Gruppenraum, grinste mir zu und verschwand. Nur um die Ecke, in einer Kita-Garderobe kann ein Kind ja nicht wirklich verschwinden. Aber in ihren Augen hatte sie sich super versteckt. Ich spielte das Spiel mit, allerdings lief sie sofort wieder von mir weg. Und immer wieder. Irgendwann fing ich sie ein, sagte, dass wir doch jetzt nach Hause wollten. „Neiiiiin“, schrie sie und wand sich aus meinem Arm.
Ich hielt sie fest, wollte ihr die Jacke anziehen, keine Chance. Nach einer halben Stunde war sie endlich fertig und wir gingen verließen die KiTa. Na gut, dachte ich, jeder hat mal einen schlechten Tag. Falsch gedacht.
Es wurden schlechte Wochen. Und es wurde immer schlimmer. Sie schrie und weinte beim Abholen, lief immer wieder weg, weigerte sich, Schuhe oder Jacke anzuziehen. Es gab in der Krippe ziemlich feste Abholzeiten, so dass die Garderobe immer relativ voll mit Eltern und Kindern war, wenn ich kam. Wenn wir gingen, war niemand mehr da. Es dauerte nämlich immer unglaublich lang und wurde immer von Tränen begleitet.
Was war nur los? Freute sie sich gar nicht, mich zu sehen? Wollte sie nicht nach Hause? Ich dachte mir schon, dass sie bestimmt sehr müde war, wenn ich kam. Also richtete ich es ein, dass ich sie früher abholen konnte. Mit dem gleichen Ende. Plötzlich freute ich mich nicht mehr auf das Abholen.
Zur gleichen Zeit hatte ich beruflich mit einer Kinderpsychologin zu tun. Vor lauter Verzweiflung schilderte ich ihr mein privates Problem, obwohl das nicht gerade professionell war. Sie erklärte mir, was gerade mit meiner Tochter los war, der Fall war nämlich überhaupt nicht ungewöhnlich.
Tatsächlich war meine Tochter müde. Aber mehr als das: Von morgens bis nachmittags hatte sie in der Krippengruppe „funktioniert“. Natürlich hatte sie sich auch ausgeruht und konnte sich immer zurückziehen, wenn sie wollte. Trotzdem fordert der Tag einen kleinen Menschen ganz schön. Wenn dann plötzlich Mama in der Tür steht, fällt alle Anspannung von ihr ab. Kleinere Kinder weinen dann manchmal, gerade zu Beginn der Krippenzeit.
Doch auch größere Kinder können den Gefühlsumschwung nicht immer gleich verarbeiten. Und drehen kurz mal durch. So wie meine Tochter. Sie steigerte sich dann auch gerne zusammen mit anderen Kindern in die Sache rein. Und provozierte mich. Sie fuhr ihr ganzes Trotzphasen-Repertoire auf. „Ruhe bewahren“, riet die Psychologin. „Es geht vorbei. Seien Sie der sichere Hafen für das Kind.“ Es war nicht wirklich einfach, ein Hafen für ein schreiendes Highspeed-Motorboot zu sein. Ich saß an ihrem Garderobenplatz und ließ sie Runde um Runde an mir vorbeirennen.
Mit der Zeit wurde ich aber doch zu dem Hafen, in dem meine Tochter anlegen konnte. Ich begann, erst einmal gar nicht zu reden. Stattdessen nahm ich sie, sobald möglich in den Arm. Oder streichelte sie nur. Hielt ihr die Jacke hin. Alles ganz langsam. Manchmal erzählte ich was von mir. Manchmal hatte ich einen Fruchtriegel dabei, den sie essen durfte, sobald wir draußen waren.
Irgendwann sagte ich, dass das Abholen ja wirklich wieder schön ist. Sie nickte nur. Denn auch meine Tochter hatte ziemlich drunter gelitten. Schließlich hatten wir beide uns so sehr aufeinander gefreut.