„Ich wachte nachts plötzlich auf und spürte: Mein kleiner Engel ist tot.”

„Ich möchte Euch hier von der traurigsten Geschichte meines Lebens erzählen und davon, wie auch wir mit unserem Sohn starben.

Mein Mann und ich hatten beide schon eine Ehe hinter uns, als wir uns kennenlernten. Ich hatte schon zwei Kinder und auch er war bereits Vater. Unsere Liebe begann im Kindergarten der Kinder, er hatte eine Tochter, die im selben Kindergarten war wie meine. Zuerst tauschen wir nur Blicke und Lächeln aus und dann fragte er eines Tages, ob wir uns treffen wollen.

Ich war richtig nervös, aber wir redeten stundenlang und zwei Tage später gingen wir ins Kino. Von da an waren wir zusammen, schnell zog er zu mir und den Kindern, acht Monate später war ich mit unserer ersten Tochter schwanger. Sie wurde ein wahres Christkind, geboren am 24 Dezember.

Oh, wir hätten nicht glücklicher sein können!

Als sie ein Jahr alt war, heirateten wir und schon einige Monate später war ich unbemerkt schwanger. Es wäre ein kleiner Junge geworden, aber wir verloren unseren Sohn sehr tragisch durch einen Unfall. Ich erlitt einen Hörsturz und konnte zwei Monate nicht reden, wollte nur noch vergessen und rutschte in die Tablettensucht. Innerlich fühlte ich mich leer und kaputt.

Erst als ich drei Jahre später unseren zweiten gemeinsamen Sohn zur Welt brachte, waren wir wieder glücklich und beschlossen, neu anzufangen. Wir suchten uns eine neue Wohnung und starteten beruflich durch. Ich fing ein Fernstudium an zur Innenarchitektin. Ich war zu dieser Zeit Anfang 30 und nach unserer schweren Lebenssituation freuten wir uns, als ich im Februar 2008 wieder einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt.

Ich jubelte: Endlich sollte die Sonne wieder für uns scheinen und das Glück zurückkehren.

Ich hatte keinen Frauenarzt mehr und deswegen freute ich mich, dass ich schnell einen Arzt fand für den Termin. Es war eine ältere Praxis und ein älterer Arzt, aber dennoch wirkte alles freundlich. Allerdings bekam ich ein seltsames Gefühl, weil es keinen richtigen Ultraschall gab und überhaupt alles anders lief, als ich es kannte. Doch ich dachte, solange er sagt, dass alles gut ist, ist es das auch.

Der Frauenarzt sagte, wir bekommen ein Mädchen, aber mein Gefühl sagte mir, es wird ein Junge. Die Wochen vergingen, der Bauch wuchs und ich war unendlich stolz und glücklich. Trotzdem hatte ich schlimme Träume und spürte eine dunkle Vorahnung, dass ich dieses Baby nicht lange bei mir haben werde… Wie recht ich behalten sollte, ahnte ich nicht…

Der Entbindungstermin rückte näher und wir erwarteten voller Freude unser Baby.

Zwei Tage nach dem Termin wurde ich morgens nach einer unruhigen Nacht wach und dachte ‚jetzt geht’s los!‘ Ich wollte nur noch einmal das WC besuchen, bevor ich meinen Mann weckte, aber dann der Schock: Auf der Toilette bekam ich Bauchschmerzen und als ich aufstand, lief Blut meine Beine entlang.

Ich rief meinen Mann und spürte plötzlich einen Krampf. Das nächste, was ich merkte, war, wie unser Baby ins WC fiel. Ich erstarrte und schrie bis mein Mann kam, mich vom WC zog und unseren Sohn rausholte, ihm sofort die Nabelschnur abklemmte und immer wieder sagte ‚Ruf den Notarzt!‘

Aber ich stand völlig unter Schock.

Der Notarzt und ein Krankenwagen kamen, für den Kleinen extra noch mit Wärmebett. Es war ein Junge, unser kleiner Tamino. So ein Wonneproppen und wunderschön! Er sah gleich aus wie ein Engel und ich weinte vor Glück. Es ging uns beiden den umständen entsprechend sehr gut, trotzdem fuhr man uns ins Krankenhaus. Da folgte der nächste Fehler, denn dieses Krankenhaus hatte keinen Kinderarzt und eine Hebamme machte die U1.

Sie gratulierte mir zu unserem wunderschönen und gesunden Baby  und schickte uns nach Hause, keine Stunde waren wir da. Zu Hause hatten die Kinder ein Willkommen-Schild gemalt und mein Mann schon das Badezimmer gesäubert. Wir alle mussten erstmal realisieren, was geschehen ist.

Trotzdem waren wir vom ersten Moment an total verliebt in unseren kleinen Prinzen.

60 cm lang, 4 Kilo schwer. Wir ahnten nicht, dass er nur wenige Tage bleibt. Wir scherzten noch, dass wir ihn in einigen Jahren sicher oft von seiner Geburt erzählen werden. Ich war stolz, als die Hebamme mir sagte: ‚Er ist ein Marzipan-Baby, einfach wunderschön.‘ Da wir ein Mädchen erwartet hatten, war alles in rosa. Mein Mann kaufte erstmal Jungen-Sachen und ich erholte mich von der Geburt.

Ich war so unendlich dankbar für das Baby und meine anderen Kinder und dann schlug das Schicksal gnadenlos zu. Drei Tage nach der Geburt war Tamino plötzlich sehr unruhig und fing an zu schreien und zu weinen. Ich konnte ihn einfach nicht beruhigen und trug ihn durch die Wohnung. Irgendwann rief ich die Hebamme an, aber sie beruhigte mich.

Sie hatte zwar bei ihrem Besuch vor ein paar Stunden bemerkt, dass er etwas dunkler wirkte, aber alles wäre im Normalbereich.

Wir hatten am nächsten Tag eine U-Untersuchung und darauf vertröstete sie mich. ‚Wahrscheinlich hat er Bauchschmerzen‘, meinte sie noch. Also wiegte ich ihn weiter in meinem Arm und kuschelte mit ihm. Irgendwann schlief er dann ein und ich gab ihm einen Kuss und legte ihn ins Bettchen und ahnte nicht, dass er zu den Sternen gehen würde.

Ich legte mich auch kurz hin und schlief ein. Als ich aufwachte, hatte ich ein ganz komisches Bauchgefühl und innerlich rief eine Stimme ‚Tamino ist tot!‘ Ich machte panisch das Licht an, nahm ihn aus dem Bett und spürte sofort: er ist tot.

Ich schrie weinend bis mein Mann wach wurde.

Sofort nahm er ihn, versuchte ihn wiederzubeleben und rief den Notarzt. Dann lief alles wie in einem Horrorfilm ab. Ich saß da und weinte und sagte immer nur ‚Bitte lieber Gott, nicht schon wieder mein Kind.‘ Ich sah, wie Ärzte versuchten, ihn wiederzubeleben, wie unendliche viele Menschen plötzlich da waren und ich saß nur da und sagte immer wieder: ‚Er ist tot.‘

Dann rief ich meine Eltern an und erzählte ihnen, dass unser Tamino gestorben ist. Mein Papa fing sofort an zu weinen, das hörte ich. Irgendwann gab mir dann jemand meinen Sohn zum Abschied nehmen und sagte, dass der Bestatter käme. Mittlerweile waren auch die anderen Kinder wach und ich saß da mit meinem Baby im Arm und sagte immer nur ‚Wach auf, bitte!‘ Aber er war tot.

Ich weiß nicht, wie lange wir ihn noch hatten.

Dann war der Bestatter da und sagte ‚Es tut mir so leid, wir bringen ihren Sohn jetzt zur Obduktion.‘ Die Kinder haben ihm alle einen Kuss gegeben und konnten gar nicht verstehen, was geschah. Nur meine Tochter, die hat so bitterlich geweint und wir hielten uns weinend im Arm, als sie ihn raustrugen. Danach war plötzlich Stille.

Ich wollte nicht wahrhaben, was passiert war. Immer wieder brach ich weinend zusammen. Irgendwann kam meine Cousine, mein Mann hatte sie angerufen und ich weinte einfach nur. Am nächsten Tag kam auch meine Mama, doch ich war wie gelähmt, konnte nicht essen, nicht reden, nicht schlafen.

Aber der Alptraum sollte noch viel schlimmer werden.

Einige Tage vergingen und die Beerdigung rückte näher, als die Kripo anrief wegen des Obduktionsberichts. Mein Mann ging ran und ich sah wie er anfing zu weinen. Er sah mich an, nahm meine Hand und sagte: ‚Tamino war sehr krank, er hatte einen Herzfehler und eine Gehirnschwellung.‘ Dann versagte ihm die Stimme.

Das war ein Schock für uns. Unser Wonneproppen soll so krank gewesen sein? Das konnte ich nicht glauben. Es war wie ein Alptraum, der einfach immer schlimmer wurde. Meine Mama entschied, ihn in meiner alten Heimat zu beerdigen, 400 km weit weg von mir und wir sollten zurückziehen. Wir ließen es einfach geschehen.

Die Beerdigung war sehr emotional und schwierig.

Langsam realisierten wir, was geschehen ist, aber es sollte noch schlimmer kommen. Denn ich träumte jede Nacht von Tamino, wie er mir sagte, er wollte nicht sterben und er war nicht so krank. Eines Tages sagte ich zu meinem Mann, dass ich die Arztberichte sehen möchte. Ich erzählte ihm von meinen Träumen und er rief einen Anwalt an.

Nach einer Weile wurden wir dann wieder von der Kripo angerufen. Wir wurden informiert, dass sie inzwischen Ermittlungen gegen den Frauenarzt und das Krankenhaus aufgenommen hätten. Um mehr zu erfahren, sollten wir aufs Revier kommen. Völlig geschockt fuhren wir hin. Dort erzählte man uns, dass mein Frauenarzt gar keine Genehmigung mehr zum Praktizieren hatte und sie ihm die Praxis geschlossen haben.

Auch dem Krankenhaus waren Fehler nachzuweisen, denn dort hatte man im Bericht vermerkt, dass man die Gehirnschwellung bemerkt hatte, aber davon ausgegangen sei, dass sich das geben würde. Für mich starb Tamino in diesem Augenblick ein zweites Mal. Mein Gefühl hatte die ganze Zeit recht und ich machte mir große Vorwürfe, dass ich nicht auf dieses Gefühl gehört habe.

Sie nahmen seinen Tod einfach in Kauf.

Es folgten Anwaltsschreiben, aber die Klinik kehrte alles unter den Teppich. Die dienst-habenden Ärzte und Sanitäter waren nicht mehr zu ermitteln und die Unterlagen waren plötzlich verschwunden. Mein Frauenarzt verlor zwar die Praxis und bekam eine Geldstrafe, aber es konnte nicht eindeutig bewiesen werden, dass er etwas übersehen hatte.

Ich erkämpfte mir vor Gericht eine Umbettung von Tamino zu uns auf dem Friedhof und holte ihn zurück. Schon kurz nach seinem Tod stellte sich bei mir wieder ein heftiger Kinderwunsch ein. Ich wollte nicht mit meiner Trauer abschließen und hoffte, wieder einen Jungen zu bekommen.

An Taminos ersten Geburtstag testete ich plötzlich wieder positiv und wir bekamen noch eine gesunde Tochter. Weitere zwei Jahre später erschien mir Tamino wieder im Traum und erzählte mir, dass er zurück käme, aber als Mädchen und er sich so freuen würde. Er sagte, ich würde bald einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand halten.

So geschah es: Ich testete positiv und war schwanger mit einem Mädchen.

Unsere Tochter sollte an Taminos Geburtstag kommen, kam aber sechs Tage früher. Es folgte zwei Jahre später noch eine Tochter, sie war Zwilling, aber ihr Geschwisterchen starb leider noch im Bauch. Dann folgte 2016 Folgewunder Nr. 4, ein Junge. Bei seiner Geburt erlitt ich einen schweren Plazenta-Vorfall und musste not-operiert werden.

Vor einem Jahr bekamen wir trotzdem noch einen Sohn, der eigentlich Drilling war, doch leider überlebte nur er. Nach dieser Geburt entschloss ich mich dann zu einer Sterilisation. Wir mussten also in den letzten Jahren viele Verluste erleiden und am Ende ist mein Mann daran zerbrochen. Er ist in die Alkoholsucht gestürzt und wir kämpfen sehr, um uns nicht ganz zu verlieren.

Trotzdem halte ich mich daran fest, dass uns nach Taminos Tod noch fünf Wunder geschenkt wurden.

In jedem von ihnen steckt ein Teil von Tamino. Wir kämpfen uns seit fast 13 Jahren durchs Leben und unser Engel ist immer bei uns. Wir reden mit ihm und über ihn und niemals könnte ich ihn vergessen. Auch wenn unser Glück nur 72 Stunden hielt und sein Papa daran zerbrochen ist, ich weiß, er hätte nie gewollt, dass wir uns trennen oder aufgeben. Die Zeit vergeht , aber die Liebe ist unsterblich.

In ewiger Erinnerung an Tamino 17.-20.10.2008.


Liebe Kerstin, vielen Dank für deine Geschichte. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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