Es ist eine dieser Meldungen, die mich als Mama besonders betroffen machen. Die neueste Kriminalstatistik zeigt einen deutlichen Anstieg bei Gewaltverbrechen durch Kinder und Jugendliche. Oder anders gesagt: Immer mehr Minderjährige werden zu Straftätern. Aber woran liegt es, dass teilweise schon die Jüngsten gewalttätig werden? Eine mögliche Erklärung liefert die Statistik gleich mit.
Die Nachricht klingt erst einmal gut:
Die Gesamtzahl der Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr etwas zurückgegangen. Das geht aus der neuesten Polizeilichen Kriminalitätsstatistik hervor, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgestellt hat.
Jetzt kommt allerdings das große Aber: Denn im gleichen Zeitraum hat die Anzahl der Gewaltverbrechen zugenommen – und zwar auch bei Kindern und Jugendlichen. Während die Anzahl der Tatverdächtigen bei den Jugendlichen mit 31.383 im Vergleich zu 2023 um 3,8 % zugenommen hat, waren es bei den Kindern sogar 11,3 % mehr als im Jahr davor – nämlich 13.755.
Mehr als 13.750 Gewalttaten wurden 2024 also mutmaßlich von Kindern begangen.
Das heißt, die Täter*innen waren maximal 13 Jahre alt. Bis zu diesem Alter gilt man in Deutschland nämlich vor dem Gesetz als Kind. Das bedeutet gleichzeitig, dass eine Strafunmündigkeit besteht. Die Kinder können also für ihre Taten zumindest juristisch nicht zur Verantwortung gezogen werden – ganz egal, wie schlimm sie sind.
Als Mama von zwei Kindern finde ich diese Zahlen einfach nur erschreckend! Und ich frage mich natürlich:
Woran kann es liegen, dass so viele Kinder schon in so jungem Alter gewalttätig werden?
In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird die „steigende Verbreitung psychischer Belastungen“ als möglicher Grund angegeben. Diese würde zwar „keine direkte Ursache für delinquentes Verhalten darstellen“ – delinquent bedeutet, dass jemand eine Straftat begeht – könne aber „im Zusammenwirken mit anderen ungünstigen Faktoren die Wahrscheinlichkeit der Begehung von (Gewalt-)Straftaten erhöhen“.
Aber woran liegt es, dass unsere Kinder offenbar immer größerem psychischen Druck ausgesetzt sind?
Dieses Thema greift auch die Serie „Adolescence“ auf.
Die Mini-Serie bricht gerade alle Rekorde bei Netflix. In nur drei Wochen wurden die vier Folgen insgesamt fast 100 Millionen Mal abgerufen. Auch wenn die Serie, anders als oft behauptet, nicht auf einer wahren Begebenheit beruht, dienten den Autoren verschiedene Berichte über jugendliche Gewalttaten als Inspiration.
In „Adolescence“ geht es um den 13-jährigen Jamie, der seine Mitschülerin Katie ersticht. Während die Familie beim Frühstück sitzt, stürmt die Polizei das Haus, nimmt Jamie mit – und lässt seine Eltern hilflos und fassungslos zurück. Im Laufe der Serie kommen durch die Arbeit der Polizeipsychologen die Themen Cybermobbing, soziale Isolation und das Bild einer toxischen Männlichkeit zur Sprache, das Kindern und Jugendlichen über das Internet und Soziale Medien vermittelt wird.
Das Stichwort lautet in diesem Fall „Incel-Ideologie“.
Dabei steht Incel für „involuntar celibate“ und bedeutet übersetzt „unfreiwillig zölibatär“. Dahinter verbirgt sich eine Bewegung von Männern, die einen tiefen Hass auf Frauen entwickeln, weil sie sich von ihnen sexuell abgelehnt fühlen. Diesen Hass verbreiten sie auf Social Media und in Foren – und erreichen damit auch Kinder und Jugendliche. Übrigens genauso wie andere Gewaltverherrlichungen, Missbrauch und Mobbing.
Für Stephen Graham, der Jamies Papa spielt und gleichzeitig einer der Erfinder der Serie ist, ist daher die Kernfrage: „Welche Einflüsse Gleichaltriger, aus dem Internet und sozialen Medien üben Druck auf unsere jungen Männer aus?“.
Sind das Internet und Social Media die Ursache für die zunehmende Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen?
Fakt ist, dass durch die einfachen Möglichkeiten, an (ungeprüfte) Informationen zu kommen und Idealbilder, die online aufgebaut und präsentiert werden, ein gewisser Druck entsteht. Und der kann gerade für jüngere Kinder und Jugendliche schnell überfordernd werden. Ob bzw. wie oft das tatsächlich zu Gewalttätigkeit führt, kann ich an dieser Stelle nicht beurteilen.
Allerdings gab es auch an der Schule meiner Tochter schon negative Erfahrungen. Dort wurden zum Beispiel WhatsApp-Gruppen genutzt, um Mitschüler*innen zu mobben. Neben einem absoluten Handyverbot an der gesamten Schule gibt es deshalb inzwischen regelmäßig Infoveranstaltungen und eine Initiative, die sich dafür einsetzt, Kindern den Zugang zu WhatsApp und Co. nicht vor dem 14. Lebensjahr zu erlauben.
Helfen Handy- und Social Media-Verbot?
Genau wie an unsere Schule ist auch in Hessen ein grundsätzliches Handy-Verbot an Schulen geplant. Bildungsminister Armin Schwarz sprach in dem Zuge von Schulen als sicherem Ort zum Lernen, ohne ständige Ablenkung durch Social Media & Co. Er warnte außerdem ebenfalls vor negativen Folgen für die psychische Gesundheit, die eine exzessive Handynutzung für Kinder und Jugendliche haben könne.
Meine Kollegin Lena hat das Thema aufgegriffen und schon vor längerer Zeit einen Text dazu geschrieben, ob und warum ein Handy-Verbot an Grundschulen sinnvoll sein könnte.
Ob es hilft, Kindern und Jugendlichen bis zu einem gewissen Alter die Nutzung von Handys Social Media und Co. zu verbieten? Klar ist zumindest, dass 25 % aller 10- bis 17-Jährigen einen riskanten oder krankhaften Medienkonsum haben, wie die aktuelle Studie einer Krankenkasse zeigt. Vor der Corona-Pandemie waren es im übrigen „nur“ 11,4 %.
Das kann gesundheitliche Folgen für die Kinder haben.
Die zeigen sich unter anderem in Angst- oder Schlafstörungen oder Depressionen. Außerdem können Gewaltdarstellungen dazu führen, dass besonders bei jüngeren Kindern den Eindruck entsteht, dieses Verhalten sei normal. Nicht zu vergessen, der oben genannte Druck durch vermeintliche Idealbilder, vermittelte Ideologien oder andere Extreme.
Mich macht die Vorstellung einfach unfassbar traurig, dass Kinder, die nicht viel älter sind als meine beiden, keine andere Möglichkeit sehen, ihre Probleme zu lösen, als Gewalt.
Umso wichtiger, dass wir als Eltern genau im Blick haben, womit sich unsere Kinder (wie lange) beschäftigen – und offen mit ihnen über mögliche Gefahren sprechen, ohne Angst zu machen. Und dass wir ihnen das Gefühl geben, dass sie mit ihren Ängsten und Sorgen jederzeit zu uns kommen können. Auch wenn das alles natürlich keine Garantie ist, ist es zumindest ein guter Anfang.
Wie seht ihr das: Welchen Einfluss haben Handys, Social Media und Co. auf (eure) Kinder? Und wie regelt ihr zuhause den Umgang mit digitalen Medien?