Lieblingskind. Pff, dachte ich als Ein-Kind-Mutter. Sowas kommt bei mir nicht vor. Ich werde meine Kinder immer gleich lieb haben, wenn es mal mehr als eines gibt. Immer gerecht sein und immer alle Interessen berücksichtigen. Wenn das mal nicht geht, würde ich weise und erwachsen vermitteln.
Kennt ihr das Emoji, das Tränen lacht? Wer das gerade im Kopf hatte, hat Recht. Und ist wahrscheinlich Mama von mehr als einem Kind. Totaler Quatsch. Geht gar nicht. Das mit dem „Immer gerecht-Sein“. Nie eines dem anderen gegenüber zu bevorzugen und seine Liebe absolut 50:50 zu verteilen (oder eben gedrittelt oder geviertelt, je nach Kinderzahl).
Nun habe ich zwei Kinder und eines vorweg: Ich liebe beide nicht nur bis zum Mond und zurück, sondern mindestens bis ans Ende des Universums, dort einmal über den Rand und wieder zurück. Diese Liebe ist unbeschreiblich und das Größte, was ich je empfunden habe. Aber: Es sind zwei Lieben. Zwei verschiedene Lieben. Die eine existiert seit über fünf Jahren, die andere bald zwei. Allein das unterscheidet sie schon enorm.
Also müssen mein Herz und mein Kopf seit fast zwei Jahren doppelte Arbeit leisten. Sie machen das gut. Aber manchmal funktioniert es eben auch nicht so gut. Nachts will der Kopf schlafen und Kraft sammeln. Wenn das kleine Kind dann aber ständig aufwacht, schafft der Kopf das nicht. Und er wird wütend auf das kleine Kind. Und fragt sich, warum es nicht so gut schlafen kann, wie das große Kind es schon immer getan hat. Und das Herz stimmt zu und schlägt kurz mal mehr für das große Kind.
Als ich mit dem kleinen Kind schwanger war, konnte ich mir nicht vorstellen, noch ein Kind so zu lieben, wie das erste. Ich hatte richtig Angst davor. Nun, so ist es gekommen. Ich liebe das zweite Kind nicht so wie das erste. Ich liebe es anders. Wie soll ich zwei Kinder gleich lieben, die so unterschiedlich sind? Junge und Mädchen, dreieinhalb Jahre Altersunterschied, die eine selbstbewusst, klug und empathisch, der andere ein sensibler Hau-Drauf, der ganz viel Körperkontakt braucht.
Meine große Tochter schlug letztens vor, einen Abendspaziergang zu machen. Nur wir zwei. Allein die Idee, aus ihrem Kopf, ließ mein Herz gerade nur für sie schlagen. Wir schlenderten nach dem Abendbrot durch den sommerlichen Park, sie erzählte vom Streit mit ihrer Freundin und wie sie ihn gelöst hatten. Ich erzählte etwas aus meiner Kindheit. Die Zeit verging und wir kamen erst spät zurück.
Zu Hause wartete der kleine Bruder, der – ziemlich müde – nicht verstand, warum seine Abendroutine plötzlich nicht wie gewohnt stattfand. Er spielte mit Papa, war aber deutlich unentspannt, weil Mama und große Schwester einfach verschwunden waren. An diesem Abend habe ich meine große Tochter klar bevorzugt. Aber ich wusste, dass es für sie wichtig war. Auch, wenn der Zeitpunkt, also die empfindlichen Abendstunden, nicht der beste war.
Anderer Zeitpunkt, anderes Kind: Auf dem Rückweg vom Kindergarten macht die Große einen Plan für den Nachmittag. Darin kam ihr kleiner Bruder nicht vor. Ich nickte nur, konzentrierte mich gerade auf den Verkehr. Kaum zu Hause, überkam den Kleinen ein schrecklicher Müdigkeits-Trotzanfall. Alles war ihm zu viel, er schrie und weinte. Das Einzige was ging, war Kuscheln. Schniefend hing er auf meinem Arm, völlig fertig mit der Welt.
Dafür hatte das große Kind natürlich absolut kein Verständnis. Schimpfend erinnerte sie mich an ihren Plan, den ich ihr ja bestätigt hatte. Ich wollte in diesem Augenblick aber nur Ruhe für den Kleinen und wies sie ab. Vor Wut kniff sie ihm ins Bein. Ich wurde sauer. Schreiend und schimpfend stampfte sie die Treppe hoch und verschwand in ihrem Zimmer. Ja, das war ungerecht von mir. Aber in diesem Augenblick waren die Bedürfnisse des Kleinen für mich wichtiger.
Die Balance zwischen den Bedürfnissen der beiden Kinder zu halten, ist schwerer als slacken (ihr wisst schon, auf einem breiten Band balancieren). Hinzu kommen auch noch meine Bedürfnisse. (Hier bitte wieder den Tränen-lachenden Emoji vorstellen). Tatsache ist aber, dass ich meine Bedürfnisse nicht immer hinten an stellen kann. Und es war mir damals ein Bedürfnis, Zeit allein mit meiner Großen zu verbringen. Vor allem, wenn sie so einen wunderbaren Vorschlag wie den Abendspaziergang macht.
Das war auch eigennützig von mir. Ich könnte sagen, das große Kind war in dem Moment mein Lieblingskind. Das kleine Kind kann es noch nicht ausdrücken, das große haut mir (in anderen Situationen) sehr wohl ständig ein „das ist ungerecht“ um die Ohren.
Schwierig wird es, wenn eines der Kinder eine schlimme Phase hat. Als Mutter weiß ich zwar, dass es vorbei geht, dass das Kind seine Gründe hat und es keinesfalls böse meint. Aber als Frau, die gleichzeitig und jeden Tag Haushalt, Kinder und Job hat, gelange ich auch mal an meine Grenzen. Auch gefühlsmäßig. Und schon ist das Kind, welches sich gerade nicht so anstrengend benimmt, das Lieblingskind. Oft nur für ein paar Stunden.
Es gleicht sich wieder aus, würde ich sagen. Das schlechte Gewissen dauert nur so lange, wie die jeweiligen Phasen dauern. Und unterm Strich habe ich am Schluss nicht nur ein Lieblingskind, sondern zwei.
Wie schön ist das denn?