Die Diagnose Krebs ist schlimm. Doch selbst wenn die Todesgefahr gebannt ist, kann sie deine Gesundheit oder die deines Partners stark beeinträchtigen. Vor allem, wenn ein Kinderwunsch besteht.
Tumortherapien schaden nämlich nicht nur den kranken Zellen – sondern auch den Samen- und Eizellen, was die Fruchtbarkeit einschränkt. Die Stammzellen der Männer, die an der Produktion der Samenzellen beteiligt sind, leiden darunter. Bei den Frauen sind eventuell auch die Gebärmutter und die Eierstöcke betroffen.
Immer mehr Krebskranke lassen sich deshalb ihre Zellen entnehmen und einfrieren, so der Tagesspiegel. Der Gedanke: Die gesunden Ei- und Samenzellen zu retten, um sie nach Ende der akuten Krankheitsphase wieder einsetzen zu lassen.
„Bei jungen Männern geschieht das heute im Grunde routinemäßig“, sagt Maike de Wit, Chefärztin des Onkologischen Zentrums am Vivantes-Klinikum Neukölln. Das Einfrieren von Spermien sei sofort möglich, ohne kostbare Zeit für die Behandlung zu verlieren. Man müsse nur daran denken und die Patienten manchmal auch „etwas schubsen“, berichtet de Wit. „Das Problem der eigenen Kinder steht ja für sie nicht im Vordergrund, wenn sie die Diagnose erfahren.“
Eizellen zu gewinnen ist etwas schwieriger und kostet mehr Zeit, denn die jungen Frauen brauchen zuvor eine Stimulation mit Hormonen. In den meisten Fällen sei dafür vor der Krebsbehandlung aber genug Zeit, versichert de Wit. „Die Schwere der Erkrankung erschlägt aber oft auch uns Ärzte. Dann kann es zu einer irrationalen Geschwindigkeit kommen.“
Und diesem Tempo fällt dann ausgerechnet das Thema Kinder zum Opfer, das wie kein anderes beweisen könnte: „Meine Ärzte haben Hoffnung, dass ich wieder gesund werde und ein normales Leben führen werde.“
Denn Zellen in flüssigem Stickstoff wegfrieren – längst Routine! Seit einigen Jahren ist ein Verfahren zum Schock-Gefrieren in flüssigem Stickstoff („Vitrifikationstechnik“) verfügbar, das sich für unbefruchtete Eizellen eignet: ein immenser Vorteil für ganz junge Frauen, die sich noch gar nicht vorstellen können, wer einmal der Vater ihrer Kinder sein wird.
„Heute sind das völlig unkomplizierte Routineverfahren, die Verfahrenstechnologie ist deckungsgleich mit der bei Patienten mit akutem Kinderwunsch“, sagt Peter Sydow, Gynäkologe und Leitender Arzt im Medizinischen Versorgungszentrum VivaNeo.
In einigen Fällen kommt auch eine kompliziertere Methode infrage: Gewebe aus einem Eierstock wird bei einer Bauchspiegelung entnommen, eingefroren und nach der Behandlung wieder eingepflanzt. Studien haben belegt, dass in diesem Gewebe später wieder Eizellen heranreifen können – die dann auf natürlichem Weg oder künstlich befruchtet werden können.
Eine weitere Möglichkeit sind Medikamente, die vorübergehend die Ausschüttung der Hormone LH und FSH durch die Hirnanhangdrüse verhindern. Dadurch wird die Reifung von Eizellen zeitweise blockiert, die Fruchtbarkeit soll erhalten bleiben. Ob Spritzen mit diesen GnRH-Agonisten tatsächlich den gewünschten Erfolg erzielen, ist aber umstritten. Nach der Durchsicht der einschlägigen Studien kamen amerikanische Forscher um Lisa Hickman im letzten Jahr zur Einschätzung, der Ansatz sei noch als experimentell zu werten. „Obwohl die Beweislage eher dünn ist, zahlen die Kassen die Spritzen“, sagt Sydow.
Auf den Kosten für hormonelle Stimulation, Entnahme, Einfrieren und Lagerung von Eizellen oder Spermien bleiben die jungen Patienten dagegen meist sitzen.
Die Deutsche Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs möchte das durch einen neuen Passus im Sozialgesetzbuch V ändern. Einer kleinen Gruppe junger Menschen würde damit nach einer schweren Krankheit und einer anstrengenden Behandlung zu mehr Freiheit in der persönlichen Lebensplanung verholfen.
Freiheit, die sie so oder so nutzen können:
So gab ein junger Mann, der mit 22 Jahren Krebs hatte und Samenzellen einfrieren ließ, in der Umfrage zu Protokoll, er glaube derzeit eher nicht, dass er einmal Kinder haben möchte. „Allerdings ist es doch immer noch sehr beruhigend, dass mir diese Entscheidung nicht aufgrund einer Erkrankung abgenommen wurde.“
Die Wahlmöglichkeit an sich ist also schon wichtig genug.