Kinder essen selten so, wie Ratgeber es empfehlen – und das ist OK!

„Wenn man plötzlich beim Staubsaugen einen kleinen Müllberg – bestehend aus Schokoladenpapier und leeren Smarties-Packungen – unter dem Sofa findet, ist klar: Oh nein! Der Dreijährige nascht heimlich!

Neben Wut und Enttäuschung mischt sich irgendwie auch das blöde Gefühl, versagt zu haben. Wie konnte das denn nur passieren? Als Eltern hatten wir überzeugt und konsequent an der „Iss-pro-Tag-nur-so-viele-Süßigkeiten-wie-in-deine-Hand-passt“-Regel festgehalten. Erfolgreich waren wir damit offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Unsere Zuckerregeln haben einen Verzicht ausgelöst, der zu einem heimlichen und unkontrollierten Essverhalten geführt hatte. Und nun? Das Kind einfach essen lassen? Wohl kaum – oder doch?

So viel zur Vorgeschichte.

Drei Jahre und eine Buchveröffentlichung später ist uns klar: Kinder brauchen kein Ernährungswissen, um sich gesund zu ernähren. Ganz im Gegenteil: Was Kinder für eine ausgewogene Ernährungsweise brauchen, sind Vielfalt, Freude und unser Vertrauen. Denn Kinder essen besser, als wir denken.

Was aber auch zur Wahrheit gehört: Ja, Kinder ernähren sich selten so, wie Ernährungsexperten es empfehlen. Und ja: Das macht uns als Eltern manchmal zu schaffen. Aber wenn wir lernen, zu vertrauen und wenn Kinder selbstbestimmt essen (und naschen) dürfen, essen sie so, wie es ihre individuelle Entwicklung bestmöglich unterstützt. Und nein, dazu muss ein Kind nicht täglich fünf Portionen Obst und Gemüse essen. Und dafür braucht es auch keine Zuckerregeln – denn die machen es oft nur noch schlimmer. Siehe Schokoladenpapier unter dem Sofa.

Aber der Reihe nach…

Wir sind Katharina und Julia, die Gründerinnen von confidimus, einem Ernährungskonzept für Kinder. Wir coachen Familien zum intuitiven Essen in der Familie und sind selbst Mamas von insgesamt vier Jungs. Wir haben lange selbst darunter gelitten, dass unsere Kinder nicht so gegessen haben, wie es die Ernährungspyramide vorgibt. Und mal Hand aufs Herz: Diese Sorge kennen wir doch irgendwie alle, oder?

Früher oder später kommen wir an den Punkt, an dem wir denken: Irgendwas läuft schief beim Thema Ernährung. Entweder das Kind hat ständig Hunger und wir denken: Hilfe, es wird dick werden! Oder das Kind zählt zu den ‚schlechten Essern‘ – und in unserem Kopf ist ständig die Sorge: Bekommt es alles, was braucht? Warum müssen es immer nur Nudeln ohne Sauce sein? Was ist das Tolle an Pommes?

Und dann dieser ständige Kampf um die Süßigkeiten…

Und wenn wir ehrlich zu uns sind, helfen Zuckerfrei-Bücher an dieser Stelle auch nicht wirklich weiter, oder? Denn früher oder später kommen Kinder mit Süßigkeiten in Berührung. Und wir müssen uns irgendwann eingestehen, dass wir das Essverhalten von Kindern nicht ein Leben lang kontrollieren können. Eine Mutter schrieb uns dazu: ‚Ich kenne es von mir als Kind: das ganze Taschengeld für Süßigkeiten ausgeben. Bei Geburtstagen und Festen nur am Büffet stehen. Ich will das für meine Tochter nicht und deshalb versuchen wir jetzt, einen anderen Weg zu gehen.‘

Der andere Weg meint: weg von Kontrolle und Gesundheitsfokus, hin zu Vertrauen in den inneren Ernährungskompass – nämlich Hunger, Sättigung, Appetit und Bekömmlichkeit – und liebevolle Unterstützung auf Augenhöhe.

Warum uns Vertrauen beim Essen oft so schwer fällt?

Weil unzählige Regeln, Verbote und Gebote auf uns einprasseln, die uns vermitteln: Nur wenn ein Kind so-und-so isst, entwickelt es sich gesund. Was wir dabei oft nicht sehen: Gesunde Ernährung ist individuell. Und die Bedürfnisse von Kindern sind es auch.

Wie können also die ersten Schritte auf diesem neuen, vertrauensvollen Weg aussehen?

Wir können uns dazu entscheiden, auf das zu vertrauen, was die Kinder in puncto Ernährung schon alles mitbringen: Sie essen undogmatisch und mit Freude und sie vertrauen ihren Körpersignalen. Sie folgen Hunger und Sättigung – und sie essen das, was ihnen Appetit macht und ihnen gut bekommt. Ihr innerer Ernährungskompass ist also intakt. Bei uns Erwachsenen ist das oft anders: Wir fasten lieber im Intervall, statt auf Hunger und Sättigung zu vertrauen. Wir folgen Regeln, Kinder folgen ihrem Körpergespür.

Wir können uns dazu entscheiden, unsere Kinder essen zu lassen. Das bedeutet nicht, dass ab sofort immer alles erlaubt ist. Es geht uns um eine vielfältige Ernährung, die Freude und Genuss in den Mittelpunkt rückt. Und es bedeutet auch, achtsam zu sein – um frühzeitig erkennen zu können, wenn Essen zum Ventil für unangenehme Gefühle wird.

Wir können uns dazu entscheiden, nicht reflexhaft den Zucker als Übeltäter zu sehen.

Wenn Kinder sehr viel Süßes essen, steckt oft ein emotionales Essverhalten dahinter. Und wenn ein Kind eine seelische Not hat, ist es absurd, dieser seelischen Not mit der Ernährungspyramide zu begegnen.

Wir können uns dazu entscheiden, Kontrolle aufzugeben. Denn Kontrolle bringt den inneren Ernährungskompass aus dem Gleichgewicht. Und oft beginnt dann ein problematisches Essverhalten.

Wir können uns dazu entscheiden, unsere komplexe Welt als Chance zu begreifen.

Ja, es ist wichtig, dass Kinder möglichst viele natürliche Lebensmittel kennenlernen. Denn je natürlicher, umso besser können wir spüren, ob es uns gut bekommt. Aber es werden nicht von heute auf morgen alle Fertigprodukte und Süßigkeiten aus den Regalen unserer Supermärkte verschwinden. Ist es gerade deshalb nicht umso wichtiger, unseren Kindern einen guten Umgang damit zu vermitteln?

Wir können gemeinsam Chips probieren – und uns fragen: Wie fühlen sich die im Bauch eigentlich an? Wir können auch gemeinsam mit unseren Kindern den bunt-beworbenen Joghurt aus der Fernsehwerbung probieren – und vielleicht feststellen, dass er viel zu süß schmeckt. Damit wirken wir viel nachhaltiger auf das Essverhalten unserer Kinder ein als ein Verbot es jemals könnte. Denn wenn wir etwas verbieten, wird es umso interessanter…

Warum also nicht Dinge ausprobieren, achtsam hinspüren und Erfahrungen sammeln?

Drei Fakten, die helfen, das Essverhalten von Kindern (besser) zu verstehen

1. Die Präferenz für Süßes ist uns in die Wiege gelegt.

Es gibt kein Lebensmittel auf der Welt, das süß schmeckt und gleichzeitig giftig ist. Mit anderen Worten: Wir schmecken süß und wissen intuitiv: Dieses Lebensmittel wird mir körperlich nicht schaden! Das ist ein kluges Sicherheitsprinzip unseres Körpers. Denn er ist auf Überleben programmiert und hat kein Interesse daran, dass wir Stoffe zu uns nehmen, die uns nicht gut bekommen.

2. Wenn wir Kindern erklären, was gesund ist – nehmen wir ihnen damit langfristig die Lust auf Gesundes.

Eine Untersuchung mit Grundschülern hat gezeigt, dass Kinder den Begriff ‚gesund‘ assoziieren mit: ‚Das schmeckt mir eh nicht!‘ Warum ist das so? Der Begriff ‚gesund‘ fällt immer dann, wenn wir Kinder dazu animieren möchten etwas zu essen, das sie nicht so gern mögen. Wenn wir also oft von gesunden Lebensmitteln sprechen, entwickeln Kindern diesen Lebensmitteln eine innere Ablehnung – und die führt langfristig dazu, dass ihre natürliche Neugier verloren geht.

3. Ausgewogen – ja. Aber im Monatsdurchschnitt!

Es gibt immer wieder Phasen, in denen Kinder sehr einseitig essen. Das ist normal und in den allermeisten Fällen kein Grund zur Sorge. Auch hier noch einmal die Erinnerung: Unser Körper ist auf Überleben programmiert. Wenn wir uns über einen sehr langen Zeitraum einseitig ernähren, macht der Körper uns gezielt Appetit auf Neues. Er steuert eine ausgewogene Ernährung also von innen heraus!

Die wichtigste Voraussetzung dafür: Wir erleben Vielfalt. Denn wenn ein Kind beispielsweise nie Fisch angeboten bekommen hat, kann der Körper ihm darauf auch keinen Appetit signalisieren. Wichtig ist: Ein Kind muss nicht täglich abwechslungsreich essen, um sich gesund zu ernähren. Wir sollten eher den Monatsdurchschnitt betrachten – und dann werden wir feststellen: Kinder essen ausgewogener, als wir denken.

…und wie mache ich es nun mit dem Zucker?

Was uns wirklich am Herzen liegt: Bitte nicht direkt dem Zucker die Schuld in die Schuhe schieben, wenn Kinder viel Süßes essen. Auch Kinder essen aus emotionalen Gründen – und wenn dem so ist, helfen wir ihnen mit einem Zuckerverbot nicht, ihre unangenehmen Gefühle auszudrücken. Es greift zu kurz, per se den Zucker zu verteufeln.

Apropos Zucker – was passierte eigentlich nach dem Müllberg-Fund unter dem Sofa? Rückblickend war das für uns ein Wendepunkt. Der Startschuss für Vertrauen. Für eine ganz neue Sicht auf das Thema Ernährung: selbstbestimmt und ohne Ernährungsdogmen. Dafür im Einklang mit den individuellen Bedürfnissen unserer Kinder!”

Vielen Dank, liebe Julia und liebe Katharina, für euren Gastbeitrag!

Katharina Fantl und Julia Litschko

Katharina Fantl und Julia Litschko. Foto: Jette-Marie Schnell

Im März 2021 haben die beiden Ernährungsexpertinnen ihr Buch „Dein Kind isst besser, als du denkst!” (Affiliate Link) veröffentlicht. Darin erklären die beiden, warum es wichtig ist, die innere Stimme von Kindern über gesellschaftliche Zwänge zum Thema Ernährung zu stellen.

Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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