Eine Kinderarzt-Praxis in Baden-Württemberg sorgt aktuell im Netz für Diskussionen. Denn am Eingang steht dort ein Schild, auf dem zusammengefasst steht: Nur wer Deutsch spricht, wird behandelt. Ich gebe zu, als ich die Überschrift dieser Meldung gelesen habe, war meine erste Reaktion: Empörung! Dann habe ich allerdings den Text gelesen (was meistens ratsam ist 😉) und muss ehrlich sagen: Ich kann es nachvollziehen. Warum, verrate ich euch hier.
Schild in der Praxis sorgt für Shitstorm
„Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – außer in Notfällen – zukünftig ablehnen.“
Dieses Schild steht am Eingang der Kinderarztpraxis von Ulrich Kuhn und Stefan Gaißer in Kirchheim (Baden-Württemberg), wie die regionale Tageszeitung Teckbote berichtete – und damit eine Welle der Empörung auslöste. Viele Nutzer*innen in den Sozialen Medien werfen den Ärzten Rassismus vor und kritisieren das Vorgehen scharf. Und ich gebe zu, auch ich war anfangs, sagen wir mal, irritiert. Zwei Kinderärzte, die Kindern die Behandlung verweigern, weil sie eine andere Sprache sprechen?
Das kann es doch wirklich nicht sein. Oder?
Ganz ehrlich, nachdem ich mich in meiner Empörung mit dem Thema beschäftigt habe, sehe ich das Ganze etwas anders. Es ist nämlich nicht so, dass die beiden Ärzte sich grundsätzlich weigern, ausländische Kinder zu behandeln. Es geht viel mehr darum, dass sie die Sicherheit ihrer kleinen Patient*innen nicht gewährleisten können, wenn es nicht möglich ist, sich zu verständigen.
Wenn Arzt und Kinder bzw. Eltern sich gegenseitig nicht verstehen, weiß der Mediziner zum Beispiel nichts über die Vorgeschichte des Kindes. Hat es irgendwelche Allergien? Verträgt es bestimmte Medikamente nicht? Was genau sind die Symptome, und wann sind sie aufgetreten? All das sind wichtige Fragen, um die richtige Diagnose zu stellen.
Und nicht nur das: Auch wenn der Arzt dem Kind Medikamente verschreibt, ist es wichtig, dass die Eltern die Informationen zu Dosierung und Einnahmedauer verstehen. Genau wie sie bei einer Impfung ihr Einverständnis geben müssen, ohne blind etwas zu unterschreiben oder abzunicken.
Ist das alles nicht möglich, weil Arzt und Patient*in oder Angehörige sich aufgrund verschiedener Sprachen nicht verständigen können, kann es leicht zu Missverständnissen kommen, die für die kleinen Patient*innen im schlimmsten Fall gefährlich werden können. Und für die Ärzte übrigens auch. Denn sie müssen sich natürlich genauso absichern, dass sie die Kinder richtig behandeln.
Ein weiteres Problem: Kinderärzte sind chronisch überlastet
Dazu kommt ein weiteres Problem: Sprachbarrieren zu überwinden, kostet häufig sehr viel Zeit. Und genau die haben die meisten Mediziner*innen leider nicht. Denn wie bei fast allen anderen Fachärzt*innen gilt auch bei Kinderärzt*innen: Das Angebot ist kleiner als die Nachfrage. Heißt: Es gibt viel zu wenig Kinderärzt*innen für alle die kleinen Patienten. damit trotzdem möglichst viele behandelt werden können, müssen die Mediziner*innen möglichst effektiv arbeiten. Oder anders ausgedrückt: Es bleibt einfach nicht die Zeit, um Sprachprobleme zu lösen. Bitter, aber leider wahr.
Was ich letztes Jahr im Urlaub beim Arzt erlebt habe
Als ich über die Geschichte nachgedacht habe, fiel mir meine eigene Erfahrung aus dem letzten Sommerurlaub ein. Wie es immer so ist, wurde ich nämlich genau in diesen zwei Wochen krank und musste zum Arzt. Wir waren zwar „nur“ in Dänemark, wo wirklich viele Menschen Deutsch sprechen, und man auch mit Englisch gut vorankommt. Und trotzdem: Bei den medizinischen Fachbegriffen wurde es für beide Seiten etwas schwieriger. Wir haben es mit einer Mischung aus Englisch und Deutsch versucht und die komplizierteren Begriffe per Google übersetzt. Nicht ideal, aber es ging.
Wenn ich mir aber vorstelle, es wäre ein Land gewesen, in dem Englisch und Deutsch nicht gesprochen werden, hätte ich ein Problem gehabt. Denn auf die Übersetzungen von Google kann man sich auch nicht unbedingt zu 100 % verlassen.
Deshalb werden sie übrigens auch in der Kinderarztpraxis in Baden-Württemberg nicht als Lösung zugelassen. Einen Dolmetscher darf sich aber hier jede*r mitbringen und wird dann auch behandelt. Das Gleiche gilt natürlich auch für Notfälle, wie das Schild ja deutlich aussagt.
Wie seht ihr das: Verständlich oder klares No-Go?
Jetzt würde mich sehr interessieren, wie ihr das Ganze seht. Könnt ihr die Kinderärzte verstehen? Oder geht es gar nicht, Patient*innen abzuweisen, weil sie die Sprache nicht sprechen?
Was soll die Aufregung?
Der Arzt hat Recht!
Die Bewertungsfunktion der Praxis deshalb bei Google mit 1-Sterne-Bewertungen vollzumüllen ist unterirdisch und schlichtweg polemisch.
Wer kleine Kinder hat oder hatte weiß, dass es manchmal verdammt schwer ist oder war, herauszubekommen was dem Zwergle fehlt. Da braucht/e es das Gespräch und die Beobachtung. Da hilft auch kein (Schul)englisch (sofern das von den Migranten überhaupt gesprochen wird) oder gar eine Übersetzungs-KI.
Und Zeit für Hand-und-Fuß-Gespräche haben die Ärzte beim heutigen Praxis- und Ärztemangel und Patientenaufkommen einfach nicht. Für dieses hausgemachte deutsche Problem können die Ärzte nichts.
Deshalb. Erst Hirn einschalten und sich dann sittlich empören.
Lieber Thorben,
vielen Dank für Deine Antwort und Deine Gedanken zu meinem Text. Ich verstehe sehr gut, dass es auch andere Ansichten zu dem Thema gibt. Mit Gleichgültigkeit hat meine Meinung allerdings nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Als Mama wünsche ich mir für meine und alle anderen Kinder die bestmögliche (und vor allem richtige) Behandlung. Wenn ich das Gefühl hätte, der Arzt versteht mich nicht (und ich ihn auch nicht), würde ich mich nicht gut aufgehoben fühlen. Im schlimmsten Fall führen die Verständnisprobleme zu einer falschen Behandlung, und damit wäre auch niemandem geholfen.
Im Notfall ist das natürlich etwas Anderes, aber es wird ja ganz klar gesagt, dass Notfälle nicht abgewiesen werden.
Du sprichst meine Erfahrungen im Ausland an. Dazu möchte ich gern sagen, dass es in dem Ferienort extra eine Info gab, an welche Ärzte man sich wenden kann. Die Praxen waren also darauf eingestellt, sich in anderen Sprachen zu verständigen. Und obwohl ich Englisch spreche, war es schwierig, sobald es um medizinische Fachbegriffe ging. Damit bin ich vermutlich nicht die einzige, und viele Menschen sprechen gar kein Englisch. Wirklich lösen würde das das Problem aus meiner Sicht also nicht.
Natürlich gibt es Übersetzungs-Apps. Allerdings sind die Ergebnisse (zumindest aktuell noch) doch manchmal sehr abenteuerlich. Es mag sein, dass sich das durch die immer besser werdende KI jetzt ändert. Wenn es dadurch eine Lösung gibt, würde ich mich auch freuen.
Bei den Rezensionen gebe ich dir vollkommen recht. Natürlich bietet so ein Thema einigen Menschen leider die perfekte Plattform, um ihre rassistischen Ansichten zu verbreiten. Wir haben hier deshalb auch lange überlegt, ob wir diesen Text schreiben oder nicht. Allerdings hat man zum Glück ja immer die Möglichkeit, auf Kommentare zu reagieren, und sich klar zu positionieren. Vielleicht wird die Praxis das ja auch noch tun.
Viele Grüße,
Wiebke
Er hat vollkommen recht. Im Notfall muss und wird sicherlich immer geholfen – bei Terminen oder normalen Untersuchungen heißt es Dolmetscher wenn kein Deutsch gesprochen wird.
Wo in der Welt frage ich mich geh ich zu einem Arzt und erwarte dass er mich versteht oder mit einer übersetzungs app handelt ….
Ein Wahnsinn über was hier diskutiert wird.
Wie du an deiner Auslandserfahrung siehst gibt man sich im Ausland Trotz Barriere die Mühe und nimmt sich die Zeit. Was ist das bitte für eine Gleichgültigkeit wenn man bei notwendigen medizinischen Untersuchungen von Kindern einfach sagt „Es bleibt einfach nicht die Zeit, um Sprachprobleme zu lösen.“ Natürlich bleibt diese Zeit und wenn man auf dem Schild versuchen würde zu helfen anstatt auszugrenzen könnte man dort Tipps für eine bessere Kommunikation geben. Wir leben nicht mehr in der Steinzeit, Übersetzer und AI‘s sind in der Lage jede Sprache auf der Welt in Echtzeit zu übersetzen. Übrigens gibt es auch Deutschsprachige Menschen mit Sprachprobleme, bleibt für Legastheniker und behinderte Kinder dann bald auch keine Zeit mehr zum zuhören? Ich studiere Psychologie in den Niederlanden und kenne viele Medizinstudenten. Jeder von uns wird auf Englisch geschult! Fast die gesamte Fachliteratur in der Medizin ist auf Englisch! Wer da als Arzt keine Englischkenntnisse mitbringt ist nicht nur ein schlechter Arzt sondern projiziert diese mangelnden Kompetenzen dann auch noch auf die Patienten. Hier in den Niederlanden kann sich übrigens auch jeder auf Englisch behandeln lassen, genauso wie in jedem anderen Land in dem ich bisher war. Ich bin ehrlich gesagt fassungslos über diesen Artikel und den Mangel an Solidarität. Ich glaube wärst du einem Schild in Dänemark begegnet, welches dich ausgrenzt weil du nicht dänisch sprichst, und es wäre um dein Kind gegangen würdest du nicht so gleichgültig reagieren. Wir leben in einer multikulturellen Welt die mehr als eine Sprache kennt, wann fangen die Deutschen an sich auch mal so zu verhalten?
„Rassismus gedeiht da, wo er geleugnet wird.“
PS. Lest euch mal die Google Rezensionen der Praxis durch. Da wird offensichtlich welche Menschen sich jetzt an dieser Ausgrenzung ergötzen und wie wenig es hier eigentlich um Sprachkenntnisse geht.
Ich bin selber mfa und kenne die Problematik… Ich verstehe die Entscheidung und finde sie gut. Jeder sollte in der Lage sein, in irgendeiner Weise sich in der Landessprache zu verständigen und sei es über einen dolmetscher. Darum muss man sich eben selber kümmern.