Stereotype für Erziehungsstile kennen wir (inzwischen) viele: Der bekannteste und meist diskutierteste Begriff sind wohl die Helikopter-Eltern. Aber auch Rasenmäher-, U-Boot- und Schneepflug-Eltern sind uns schon über den Weg gelaufen. Nicht zu vergessen die vielen Beispiele aus dem Tierreich, wie Delfin-, Quallen– oder Tiger-Eltern. Dazu kommt jetzt ein neuer Begriff, der erst einmal relativ niedlich klingt: die Koala-Eltern. Was es mit diesem bindungsorientieren Erziehungsstil auf sich hat, und warum er für eine besonders enge Eltern-Kind-Bindung sorgen soll, verraten wir dir jetzt.
Was typisch für Koala-Eltern ist
Der Name des Erziehungsstils kommt natürlich nicht von ungefähr und passt in diesem Fall perfekt. Denn typisch für Koalas ist, dass sie sehr fürsorglich sind und ihre Babys rund sechs Monate lang in ihrem Beutel ganz dicht bei sich tragen. Der kleine Koala ist dadurch optimal geschützt, fühlt sich sicher und kann so nah wie möglich bei seiner Mama sein. Und auch, wenn er der Nachwuchs den Beutel schließlich verlässt, trägt die Koala-Mama ihn noch eine ganze Weile auf ihrem Rücken.
Übertragen auf den Erziehungsstil setzen Koala-Eltern also auf möglichst viel Nähe und emotionale Sicherheit, um eine besonders starke Eltern-Kind-Bindung zu fördern. Das stimmt mit dem Begriff der bindungs- bzw. bedürfnisorientierten Erziehung überein, der von dem amerikanische Kinderarzt William Sears maßgeblich geprägt wurde.
Demnach orientieren sich Koala-Eltern an bestimmten Prinzipien, die Sears folgendermaßen definiert hat:
Die 7 „Baby B“-Prinzipien der Koala-Erziehung
Um Verwirrung zu vermeiden, einmal zur Erklärung: Der Begriff „Baby Bs“ leitet sich davon ab, dass William Sears alle Prinzipien, die er für die bindungsorientierte Erziehung definiert hat, im Englischen mit dem Buchstaben B beginnen. Wenn man sie ins Deutsche übersetzt, passt der Begriff demnach eigentlich nicht mehr, ist aber trotzdem relativ bekannt. Deshalb verwende ich ihn hier auch, bitte nicht wundern.
Die sieben Prinzipien sind folgende:
1. Bonding: Direkter Hautkontakt
Das Bonding bezeichnet den direkten Hautkontakt zwischen Mama bzw. Papa und Baby von Geburt an. Das Baby fühlt sich dadurch seinen Eltern besonders verbunden, sicher und geborgen. Auch in den nächsten Woche und Monaten spielen Hautkontakt und viel, viel Kuscheln eine große Rolle in der Erziehung von Koala-Eltern. Es ist ihnen besonders wichtig, auf die Bedürfnisse des Babys einzugehen und von Anfang an den Grundstein für eine gesunde und starke Bindung zu legen.
2. Stillen (Breastfeeding)
Viele Koala-Eltern legen Wert darauf, dass ihr Baby in den ersten Monaten ausschließlich gestillt wird. Denn sie gehen davon aus, dass durch das Stillen die körperliche Verbindung zu ihrem Baby gestärkt wird. Das ist grundsätzlich auch richtig, allerdings gibt es inzwischen Studien, die belegen, dass Eltern, die ihrem Baby das Fläschchen geben, eine genauso enge Bindung zu ihrem Kind aufbauen können.
3. Tragen (Baby-Wearing)
Wenn du das Baby in einem Tragetuch oder einer Babytrage dicht an deinem Körper trägst, fühlt es sich sicher und geborgen – wie das Koala-Baby im Beutel seiner Mutter. In vielen Fällen beruhigt es sich schneller, und du erleichterst ihm den Übergang zwischen der Zeit in deinem Bauch und seinem Start auf dieser Welt.
4. Nähe beim Schlafen (Bedding close to the baby)
Zum Thema Schlafen hat William Sears eine klare Meinung, die auch Koala-Eltern vertreten: Ein Baby gehört zu seinen Eltern und nicht allein in seinem Bett im eigenen Zimmer. Dabei muss es nicht unbedingt das Familienbett sein, viele Eltern nutzen auch ein Beistellbett. So ist Mama (oder natürlich Papa) immer in der Nähe und kann schnell reagieren, wenn das Baby nachts aufwacht.
5. Bitte nicht schreien lassen (Belief in the language value of the baby’s cry)
Eine Koala-Mama würde ihr Baby niemals ignorieren, wenn es weint. Genauso sind auch Koala-Eltern immer direkt da, wenn das Baby schreit. Sie nehmen die Bedrüfnisse des Babys ernst und Schreien Lassen ist nie eine Option.
6. Bitte keine Trainings! (Beware of baby trainers)
Für Koala-Eltern stehen die Bedürfnisse ihres Kindes im Vordergrund. Deshalb sind Schlaftraining oder Füttern nach Plan für sie keine Option – genau wie für die Vorbilder in der Natur.
7. Selbstfürsorge (Balance)
Auch wenn die Bedürfnisse des Babys im Mittelpunkt stehen, solltest du deine eigenen nicht vergessen. Denn nur, wenn es dir selbst gut geht, kannst du auch ganz für dein Baby da sein.
Wie dein Kind und du von Koala-Erziehung profitieren können
Koala-Eltern legen von Anfang an Wert darauf, eine gesunde und starke Eltern-Kind-Bindung aufzubauen. Und dieser Erziehungsstil kann viele Vorteile für beide Seiten haben:
- Sie gibt deinem Baby emotionale Sicherheit.
- Sie sorgt für eine starke Bindung zwischen dir und deine Kind.
- Dein Kind kann Stress besser bewältigen.
- Die Chance, dass das Stillen klappt, steigt – auch langfristig.
- Das Risiko für den plötzlichen Kindstod sinkt – wenn ihr euch an die Empfehlungen haltet (Beistellbett und Co.)
- Dein Kind kann starke Beziehungen zu Gleichaltrigen aufbauen.
- Auch die schulischen Leistungen können besser sein.
- Außerdem profitiert es im Erwachsenenalter von besseren sozialen Kompetenzen.
- Es ist unabhängiger und kommt besser mit Schwierigkeiten zurecht.
Achtung: Koala-Eltern droht das Eltern-Burnout
Das klingt doch alles wunderbar, oder? Allerdings gibt es leider auch bei der Koala-Erziehung ein ABER. Denn weil Koala-Altern die Bedürfnisse ihres Kindes immer in den Vordergrund stellen und rund um die Uhr für den Nachwuchs da sind, kommen ihre eigenen Bedürfnisse häufig zu kurz. Die hohe Belastung kann auf Dauer zu einem Eltern-Burnout und langfristig sogar zu Angststörungen oder Depressionen führen. Deshalb gilt wie bei jedem Erziehungsstil: Bitte verliert euch selbst nicht aus den Augen!
Ein weiterer Nachteil: Wenn das Kind rund um die Uhr umsorgt wird, sollten Koala-Eltern unbedingt darauf achten, ihm genug Zeit zu geben, die Welt auch allein zu erkunden. Denn sonst kann es passieren, dass es komplett abhängig von seinen Eltern wird und bleibt, und keine Selbstständigkeit entwickelt.
Koala-Erziehung passt nicht zu dir? Vielleicht gehörst du ja zu diesen Elterntypen:
- Rasenmäher-Eltern: Aus dem Weg, hier kommt mein Kind!
- U-Boot-Eltern: Was soll denn das sein!?
- Qualleneltern: Wenn die Kinder entscheiden – und zwar immer
- Was wir alle von Delfin-Eltern lernen können
- Sind Tiger-Eltern wirklich zum Fürchten? Jep, sind sie!
- Scrunchy Mom: Der Erziehungstyp für alle Unentschlossenen
- Schneepflug-Eltern: Wie sie ihren Kindern (versehentlich) schaden
- Bist du eine Crunchy Mom? Welche Eigenschaften typisch sind
- Bist du auch eine Helikopter-Mama? Was das für dein Kind bedeutet