Dajana (33) und ihr Mann Dirk sind Eltern eines sogenannten Spaltkindes. Ihr kleiner Fabian kam als Frühchen mit einer ausgeprägten doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (abgekürzt LKGS) auf die Welt. Wie sie die Diagnose erlebten, was sie für ihr Kind bedeutete und welche Schwierigkeiten sie mit sich brachte, erzählt uns Dajana hier in einem persönlichen Erfahrungsbericht. Ihr Anliegen dabei: Sie will anderen Eltern Mut machen und ihnen helfen, die vielen Fragen zu beantworten, die die Diagnose mit sich bringt. Fragen, die ihrem Mann und ihr damals zunächst niemand beantwortet hat.
Dajanas persönlicher Erfahrungsbericht über Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte:
„Meine Schwangerschaft verlief völlig komplikationslos. Abgesehen von ein wenig Morgenübelkeit war es geradezu eine Traumschwangerschaft.
Das änderte sich in der 31. Schwangerschaftswoche. Meine Ärztin äußerte bei einer Ultraschalluntersuchung den Verdacht, unser Baby könnte eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte haben. Das ist eine angeborene Fehlbildung, bei der die Oberlippe, der Oberkiefer und der Gaumen teilweise oder vollständig von einem Spalt durchzogen sind.
Auch mein Mann kam mit einer Lippen-Spalte zur Welt. Doch dass er diese unserem Kind vererben könnte, war uns nie in den Sinn gekommen. Auch die Ärzte hatten uns nie über dieses Risiko einer möglichen Vererbung aufgeklärt.
Meine Ärztin überwies mich nach der Untersuchung zunächst an einen Pränatalmediziner. Dieser bestätigte in der 32. SSW, dass wir ein Spaltkind bekommen würden – und ließ uns leider mit der Diagnose allein. Er konnte nicht einmal genau sagen, welche Klinik in der Umgebung eine LKGS behandeln kann.
Wir erhielten lediglich das Angebot eines Konfliktgesprächs. Eine Abtreibung? Ernsthaft? Das kam für uns auf keinen Fall infrage!
Da standen wir nun. Niemand nannte uns Kontaktstellen oder Adressen, wo wir hätten erfahren können, wie es weitergehen soll. Es gab keinerlei Info-Material, in dem erste Fragen geklärt worden wären.
Und wir hatten so viele Fragen!
Wie wird unser Kind aussehen?
Wie viele Operationen wird es brauchen?
Werde ich stillen können?
Was ist das Beste für unser Kind?
Wird das Kind unbeschwert leben und aufwachsen können?
Schaffen wir das alles überhaupt?
Wir waren ratlos und fühlten uns allein gelassen. Wir verließen die Praxis weinend und nervlich völlig am Ende.
Schon ein Faltblatt mit wenigen Tipps hätte uns gereicht. So aber blieb uns nur die Suche nach Informationen im Internet.
Dass das nicht immer eine gute Idee ist, ist ja nichts Neues. So stießen wir, wie zu erwarten, auch schnell auf erschreckende Bilder und unbestätigte, verunsichernde Informationen.
Dort hieß es beispielsweise, die Mutter sei verantwortlich, wenn ein Kind eine LKGS bekomme – weil sie sich in der Schwangerschaft falsch verhalten und etwa Alkohol getrunken, geraucht oder ihre Folsäure-Tabletten nicht genommen habe.
Wir waren erschüttert.
Warum diese Fehlbildung auftritt, hängt wohl von vielen Faktoren ab und ist noch nicht letztendlich geklärt. Neben all diesen verunsichernden Aussagen fanden wir bei unserer Suche jedoch auch die Information einer Fachstelle, dass eine LGKS meist genetisch bedingt sei, also vererbt wird.
Das leuchtete uns sofort ein – und war wohl bei uns der Fall. An diesem Wissen hielten wir uns fest und versuchten, die anderen beiseite zu schieben.
Schließlich bekamen wir über meine Gynäkologin einen Beratungstermin an der Uniklinik Köln. Doch bevor wir diesen wahrnehmen konnten, kam unser kleiner Schatz als Frühchen in der 34. SSW zur Welt.
Wir haben ihn trotz seines ‚Fehlers‘ direkt in den Arm genommen und geliebt.
Da die Klinik in Euskirchen keine Kinderstation hat, wurden wir auf meinen Wunsch in die Uniklinik Köln verlegt. Dort wurden wir bestens versorgt und haben endlich Informationen erhalten, konnten unsere Fragen loswerden, unsere Ängste und Sorgen teilen.
Für die ersten Monate bekam unser Sohn Fabian eine fleischfarbene Gaumenplatte, um besser Trinken zu können. Sonst wurde, abgesehen von vielen, vielen Untersuchungen, zunächst nichts weiter unternommen.
Das Füttern mit der Flasche klappte, aber es dauert immer sehr lange. Fabian brauchte pro Mahlzeit zwischen 60 und 90 Minuten. Dazu kamen noch einmal rund 30 Minuten für das Abpumpen der Muttermilch.
Nach dem Füttern mussten wir noch die Gaumenplatte und Fabians Mund- und Nasenraum reinigen. Es war furchtbar zeitaufwändig, aber Fabian wuchs und gedieh. Das war das Wichtigste!
Als wir im Alltag ankamen und mit Fabian im Kinderwagen spazieren gingen, erlebten wir immer wieder die gleichen Reaktionen: Die Leute lächelten in den Kinderwagen – und erstarrten dann.
Häufig wanderte ihr Blick gleich zu mir, und ich glaubte jedes Mal, darin Vorwürfe gegen mich als Mutter zu sehen.
Wenn die Leute mich wenigstens nach Fabians Zustand gefragt hätten! Ich hätte jede Frage bereitwillig beantwortet und wäre froh darum gewesen.
Doch den Mut hatten nur sehr wenige. Meist waren es aber Kinder, die uns ansprachen – sofern ihre Eltern sie nicht stoppten. ‚Blutet dein Baby?‘ wurde ich oft gefragt.
Ich habe mich darüber jedes Mal gefreut, denn dann konnte ich endlich erklären, statt nur angeguckt zu werden. Sehr häufig kamen aufgrund solcher verlegener Fragen sehr positive Gespräche zustande.
Wie ging es dann weiter? Fabians Gaumenplatte musste alle paar Wochen angepasst oder neu gefertigt werden. Sie sorgte mit dafür, dass der Spalt kleiner wurde, sich die betroffenen Gesichtspartien also aufeinander zubewegen. Außerdem konnte er durch sie besser trinken. Sie hielt auch seine Zunge in der richtigen Lage. Das war sehr wichtig für die Muskulatur, damit er später sprechen lernen konnte.
Mit acht Monaten wurde Fabian schließlich das erste Mal operiert. Dabei wurde die Lippe verschlossen. Während der vierstündigen OP wurden Nerven und Muskeln der Oberlippe miteinander verbunden und seine Nasenlöcher geformt.
Eigentlich wird diese OP schon mit drei bis sechs Monaten gemacht. Allerdings war Fabians Spalte sehr breit, und er hatte das Mindestgewicht von 5 Kilogramm aufgrund der Frühgeburt noch nicht erreicht.
Mit 13 Monaten musste er die zweite OP überstehen, bei der der Gaumen verschlossen wurde. Dank dieser Operation kann er nun richtig sprechen lernen und viel besser essen.Auch hier waren wir später dran als üblich: Die zweite OP wird normalerweise mit rund neun bis zwölf Monaten gemacht.
Fabians Kiefer ist weiterhin offen. Er wird erst mit ca. 10 Jahren geschlossen.
Fabian entwickelt sich seit den Operationen prima, aber regelmäßige Arzttermine begleiten uns weiterhin: Kontrollen beim Hals-Nasen-Ohrenarzt, wöchentlich Logopädie, um die Muskulatur gezielt zu aktivieren und zu stärken, Krankengymnastik, regelmäßige Kontrolle beim Kieferorthopäden und Zahnarzt sowie die Kontrolle in der Spaltsprechstunde. Dazu kommen tägliches Inhalieren und die Pflege der Narbe.
Trotz all dieser Termine, Sorgen und Herausforderungen haben wir uns in unserem ganz eigenen Alltag gut eingefunden. Doch es war und ist ein sehr harter Weg, der allen Beteiligten sehr viel Kraft und Nerven abverlangt.
Unsere Erlebnisse haben mich dazu bewogen, andere Familien zu unterstützen. Ich habe deshalb selbst einen Flyer entworfen, in dem ich allererste Infos und Anlaufstellen wie die LGK-Selbsthilfe oder den Arbeitskreis LGK zusammengefasst habe.
Meinen Flyer biete ich gezielt den Frauenarzt- und Pränatalpraxen an, damit sie es Eltern überreichen, die gerade die Diagnose bekommen haben. Damit sie nicht so hilflos und ratlos dastehen, wie wir es mussten.“
Dajanas Leseempfehlung für Eltern von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte ist das Buch „Das andere Lächeln“ von Kirsten Caspers.
Damit sich Eltern wie sie mit anderen Betroffenen austauschen können, gründete sie die Facebook Gruppe „LKGS – Na und?“. Hier „begegnen“ sich Eltern mit ähnlichen Fragen, Sorgen und Erfahrungen. Dieser Austausch mit anderen hatte auch Dajana in der schwierigen ersten Zeit immer wieder sehr geholfen.