„Ich bin Mama von zwei wunderbaren Kindern. Mein Sohn ist sechs und meine Tochter vier, beide verstehen sich (meistens ) gut, sind aber sehr unterschiedlich. Für mich sind sie natürlich beide etwas ganz Besonderes, deswegen finde ich es schade, dass mein Großer oft ein wenig untergeht.
Im Gegensatz zu seiner Schwester, die sehr laut und aufgeschlossen ist, ist mein Sohn eher ruhig und schüchtern.
Er ist ein ernster Junge, der sich viele Gedanken macht und nicht so schnell mit anderen ins Gespräch kommt. Er ist wohl das, was man introvertiert nennt und seine Schwester ist extrovertiert. Dadurch, dass meine Kinder so verschieden sind, fällt es vielleicht noch mehr auf.
Während sie im Kindergarten schon nach wenigen Wochen die ersten Freundschaften geschlossen hatte und es morgens kaum abwarten konnte, ihre Freundinnen wiederzusehen, konnte mein Sohn sich die erste Zeit gar nicht von mir trennen. Er brauchte damals extra viel Liebe und Kuscheleinheiten, bis er sich traute, meine Hand loszulassen. Obwohl er der Ältere ist, hat seine Schwester das Kommando.
Sie weiß immer sofort was sie will und ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, ihren Willen durchzusetzen.
Manchmal greife ich dann sogar ein, um meinem Großen etwas mehr Raum zu geben und ihn zu ermutigen, sich auch mal durchzusetzen. Innerhalb der Familie kann ich darauf achten und Rücksicht auf ihn nehmen, in Kita oder Schule geht das natürlich nicht. Mir ist schon oft aufgefallen, dass Außenstehende meinen Sechsjährigen gar nicht richtig wahrnehmen.
Beim Spielen wird er selten von anderen Kindern gefragt, ob er mitmachen will, traut sich aber auch selbst nicht zu fragen. Wenn ich an der Kita mit anderen Mamas ins Gespräch kam, die Kinder in der Gruppe meines Sohnes hatten, merkte ich, dass sie mich gar nicht richtig einordnen konnten. Mein Sohn war ihnen kein Begriff, er kam in den Erzählungen ihrer Kinder nicht vor und wurde auch nur selten zum Spielen eingeladen.
Zuerst dachte ich, ‚das ist eben so‘, aber nun sehe ich ja durch meine Tochter, dass das auch anders sein kann.
Neulich war ich bei meinem ersten Elternabend, mein Sohn besucht inzwischen die erste Klasse. Dort wieder das gleiche Spiel: Ich sprach seine Klassenlehrerin an und konnte richtig zusehen, wie es in ihrem Kopf ratterte, als ich den Namen meines Sohnes nannte, bis ihr endlich ein Licht aufging. Das, was sie dann über ihn sagte, war so allgemein, dass es zu jedem Schüler gepasst hätte. Ich glaube nicht, dass sie den Ansatz einer Ahnung davon hat, was ihn ausmacht.
Ein anderes Beispiel: Meine kleine Tochter gilt in der Kita als Sprachtalent. Schon früh wurde ich darauf angesprochen, dass sie für ihr Alter sehr gut spricht und einen großen Wortschatz hat. Ich, die beiden Kindern gleich viel Aufmerksamkeit schenkt, weiß ganz sicher, dass mein Sohn in ihren Alter mindestens ebenso gut sprechen konnte. Bei ihm ist es aber offenbar nie aufgefallen, weil er nicht so gerne vor Gruppen spricht und länger überlegt, bevor er sich äußert.
Ich weiß, dass mein Kind zu den ruhigen gehört, sie ungern im Mittelpunkt stehen und lieber vom Rand aus zusehen.
Andere Kinder, aber auch Lehrer und Erzieher gehen deswegen manchmal über ihn hinweg, sind vielleicht sogar froh, dass er nicht so viel Aufmerksamkeit einfordert wie andere Kinder. Grundsätzlich kann ich das verstehen und mir ist klar, dass es keine böse Absicht ist. Sicherlich hat es auch Vorteile, wenn das eigene Kind als unauffällig und pflegeleicht gilt. Trotzdem finde ich es schade, dass das auch bedeutet, dass es oft übersehen wird.
Menschen, die sich bewusst Zeit für meinen Sohn nehmen, merken schnell, wie viel in ihm steckt. Er liebt es, gemeinsam mit mir Bücher zu lesen, ist sehr kreativ und kann sich stundenlang damit beschäftigen, zu malen oder Lego zu bauen. Leider habe ich nicht das Gefühl, dass diese Stärken gesehen werden, im Gegenteil. Seine Zurückhaltung wird von vielen als Schwäche gesehen, die sich noch rauswachsen muss, wie neulich eine Nachbarin sagte.
Das finde ich schade.
Manchmal wirkt es auf mich fast so, als wäre unsere Welt eher für extrovertierte Kinder gemacht: Die Kinder, die keine Scheu haben, sich im Unterricht zu melden und sich ohne Zögern gegen andere durchsetzen. Die zaghaften, nachdenklichen Kinder fallen durchs Raster, dabei haben auch sie viel zu sagen, wenn man sie lässt.”
Liebe Johanna, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Müttern aus unserer Community.
WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]
Ganz genau! Ich bin selbst ein introvertierter Mensch und muss sagen: bei mir war es genau so in der Schule. Mir wurde ständig gesagt ich bin ruhig, schüchtern und „müsste noch aus mir rauskommen“. Dabei wollte ich gar nicht aus mir rauskommen, ich wollte mich nicht verstellen, weil ich so bin wie ich bin. Es wird wirklich leider immer als eine Schwäche angesehen, finde ich sehr schade. Denn wie sagt man so schön? Stille Wasser sind tief. Bin mal gespannt, welchen Charakter meine Kleine (gerade 5M) entwickeln wird 🥰