„Finn hat heute gesagt, ich darf nicht mitspielen. Weil ich ein Baby bin!“ Meine Tochter ist seit Kurzem in der „großen“ KiTa. Nachdem sie in der Krippe eine Zeit lang zu den Ältesten gehörte und ihr das natürlich einige Extra-Freiheiten und vor allem einen hohen Platz in der Kinder-Rangordnung verschafft hatte, ist sie nun mit ihren drei Jahren die Jüngste. Sogar die Jüngste unter den wenigen Dreijährigen. In ihrer Gruppe sind Kinder in einem Alter bis zu sechs.
Und hier lernt sie, das erste Mal in ihrem Leben, Ablehnung kennen. Die von mir heimlich so genannten Mini-Mobber können aber auch fies sein! Ganz oft höre ich von ihr abends, dass sie nicht mitspielen durfte oder aber dass Leon gesagt hat, dass ihr heißgeliebter Minnie-Maus-Rucksack „nicht cool“ sei. Sie erzählt es mir nicht todtraurig, aber natürlich schon sehr bewegt.
Und ich? Kann mir theoretisch vorstellen, dass das normal ist – möchte die Mini-Mobber am nächsten Tag aber trotzdem gerne unauffällig schubsen. Mein Mama-Herz blutet! Und ich bin ratlos… Das mit dem Schubsen ist natürlich nur ein blöder Gedanke, aber kann ich zumindest meine Tochter stark machen, so dass sie solche Erlebnisse nicht umhauen?
Ich hole mir Rat bei einer Fachfrau. Nicole Klütz, Erzieherin und Expertin in haltgebender Erziehung, kennt solche Situationen genau: „Diese Erlebnisse sind ganz normal. Deine Tochter ist neu in der Gruppe, und es ist immer so: Wer zuletzt kommt, stellt sich hinten an. Zudem sind solche Erfahrungen auch unglaublich wichtig für die Entwicklung unserer Kinder zu gesunden Erwachsenen, die im Leben bestehen können. Denn es ist doch so: Heute sind die meisten Kinder ständig im Erwachsenenfokus. Wir Eltern, Oma und Opa, Erzieher… unsere Kleinen haben ständig einen Erwachsenen vor der Nase, der für ihre Unterhaltung sorgt und ihnen so das Gefühl gibt, der Nabel der Welt zu sein.“ Das ist natürlich schön – kann aber, wenn es überhand nimmt, den Kindern ihre Zukunft schwer machen. Denn es besteht die Gefahr, dass sie ein übergroßes Ego entwickeln, dass ihnen als Erwachsene im Weg steht. Das Leben wird sie ja nicht immer so nachsichtig behandeln. Kommen in der Schule erste Probleme und strengere Regeln auf, kann schon ein Jugendlicher darunter zusammenbrechen – wenn sein Leben bis dahin zu überbehütet war.
Nicole Klütz: „Das Wichtigste ist erstmal: DU als Mama musst lernen, es auszuhalten, dass dein Kind jetzt quasi zum ersten Mal ,entthront`wird.“
Auch, wenn ich es natürlich nicht so richtig gerne hören mag – das leuchtet mir ein. Aber trotzdem – gibt es nicht etwas, das ich tun kann, um meiner Tochter genügend Sicherheit zu geben, um nicht allzu traurig zu sein?
„Ganz klar! Es ist für Kinder unheimlich wichtig zu wissen, dass Mama versteht, wie es ihr geht. Höre ihr aufmerksam zu, wenn sie von solchen Situationen erzählt. Sei da und tröste sie. Schimpfe mit ihr auf die Mini-Mobber: ,Das war ja wohl hundsgemein von Finn! Der hatte wohl keinen guten Tag heute…`Deine Tochter muss merken: ,Trotz der Ablehnung heute bin ich nicht allein. Mama ist immer für mich da.` Wenn wir unseren Kindern gute Wurzeln mitgeben, kann ihnen kein Sturm der Welt wirklich etwas anhaben.“ Danach sollte man ich aber gemeinsam mit dem Kind darauf besinnen, was gut war an diesem KiTa-Tag: „Und dann hast du aber einfach mit einem anderen Kind gespielt? Oh, erzähl mal…“
Ich finde, das hört sich alles nachvollziehbar an. Oh, da fällt mir doch gleich noch etwas ein: Wie verhalte ich mich richtig, wenn meine Tochter auf dem Spielplatz mit anderen im Clinch liegt?
Nicole Klütz lacht: „Oh ja, der Spielplatz. Ich habe immer das Gefühl, als ob die Kinder hier besonders unter der Beobachtung ihrer Eltern stehen. Dabei ist es doch der perfekte Ort, an dem Kinder ein soziales Miteinander üben können – ohne erwachsene Einflüsse.“ Das heißt: Nicht eingreifen. Nicht beim Streit um die Schaufel, nicht beim Vordrängen an der Rutsche, nicht, wenn einer nicht beim Versteckenspielen mitmachen darf. Das gilt übrigens unabhängig davon, welche Rolle das eigene Kind dabei einnimmt! „Natürlich greifen wir ein, wenn es zu Schlägen oder einem ernsthaften Geraufe kommt. Das ist selbstverständlich. Ansonsten gilt es: Zurückhalten – auch, wenn es schwer fällt. Ist das eigene Kind das abgelehnte, gilt dasselbe wie nach dem ,Kita-Mobbing`: Zuhören, die Situation besprechen, Verständnis ausdrücken. Ist das Kind der Mini-Mobber und hat sich so verhalten, dass wir es richtig schlimm finden, sollte man das ebenfalls ins Ruhe zu Hause ansprechen. ,Als du das vorhin gemacht hast, fand ich das richtig gemein und doof. Ich finde dich toll, gleichzeitig möchte ich nicht, dass mein Kind sich so verhält. Wie hättest du das denn anders lösen können?“
Verstanden. Meine Tochter kann mehr aushalten, als ich denke. Wenn sie merkt, das unsere Beziehung nichts erschüttern kann und sie zu Hause immer Liebe und Verständnis findet.
Und es ist wichtig, dass sie nicht nur schöne Momente voller Zuspruch erlebt. Denn die Realität ihres Lebens, die gar nicht mehr so weit weg ist, bietet eben auch eine Menge Gegenwind. Und dem standzuhalten, das muss sie üben. Mit meiner Unterstützung.
Unsere Expertin: Nicole Klütz lebt mit ihren zwei Töchtern bei Lübeck. Sie ist gelernte Erzieherin und hat ihre Berufung durch weitere Ausbildungen komplettiert. Sie hilft Familien durch ihre Mischung von haltgebender Pädagogik und effektivem therapeutischen Arbeiten, die langfristig entlasten. Außerdem bietet sie Elternkurse in ihrem Seminarhaus und Vorträge in Kindertagesstätten an. Mit erwachsenen Menschen arbeitet sie therapeutisch an den Themen, die ihnen bisher das Leben schwer gemacht haben.
In ihrem Blog www.meine-haltestelle.com erzählt sie hilfreich über diverse Kinder-, Eltern- und Erwachsenthemen. Ihre Praxisseite findet ihr unter www.haltestelle-kluetz.de