Marlies’* Tochter ist sehr beliebt, weil sie sich gerne um andere kümmert und immer ein offenes Ohr hat. Doch ihrer Mutter macht genau das manchmal Sorgen. Warum, das erzählt euch Marlies am besten selbst.
„Meine Tochter ist sehr hilfsbereit und besonnen. Sie ist eine gute Zuhörerin und nimmt sich gerne für andere zurück. Inzwischen ist sie 15 Jahre alt, das war aber schon immer so, seit der Grundschule auf alle Fälle.
Schon damals stand in ihrem Zeugnis: ‚Sie ist der ausgleichende Ruhepol der Klasse.
Wenn sie nicht da ist, ist es sofort unruhiger. Sie ist immer zur Stelle, wenn jemand Probleme hat, schlichtet Streits, findet Lösungen und Kompromisse, hilft lernschwächeren Kindern, die Inhalte zu verstehen.‘
Das ging so weit, dass sie in der Grundschule statt in ihren eigenen Deutsch-Unterricht in den Deutsch-Unterricht der Integrationsklasse mitgegangen ist, um die Lehrerin zu unterstützen. Sie hat dort den Kindern geholfen, die Sprache zu lernen und sich mit ihnen angefreundet. Die Mädchen, die besonders schnelle Fortschritte gemacht haben, sind dann in ihre Klasse gekommen, und dort hat sie ihnen dann weiter auch in allen anderen Fächern geholfen.
Und so ist es noch heute.
Meine Tochter war aber zum Beispiel nie Klassensprecherin, sie ist nämlich kein ‚Lautsprecher‘. Sie ist vom Typ her leise, ruhig und besonnen und sehr harmoniebedürftig. Die Aufgabe einer Klassensprecherin würde ihr Angst machen. Sie spricht nicht gern vor anderen und streitet sich nicht gern um Dinge. Sie agiert mehr im Hintergrund, wird aber oft um Rat gefragt. Jetzt in diesem Alter bilden sich natürlich in der Klasse Grüppchen, aber alle mögen sie.
Selbst die Mädels, mit denen sie nicht befreundet ist, kommen zu ihr und vertrauen sich ihr an. Auch Lehrer sprechen mit ihr über ihre Eheprobleme, da bin ich dann neulich mal eingeschritten. Ein Extremfall, der deutlich macht, warum ich mir trotz – oder gerade wegen ihrer Beliebtheit – manchmal Sorgen um sie mache. Denn eigentlich könnte man ja denken: Das klingt doch alles super, sei doch stolz auf dein Kind. Und ja, ich bin auch sehr stolz auf meine soziale, engagierte und liebenswerte Tochter.
Doch ich sehe auch ein großes Problem dabei:
Sie wird selbst gar nicht gesehen. Weil sie immer anderen hilft, geht es total unter, wenn es ihr mal schlecht geht. Sogar in unserer Familie ist das so. Weil sie sensibel ist und eine gute Zuhörerin, vergisst ihr Umfeld manchmal, dass sie noch keine Erwachsene ist, sondern mitten in der Pubertät steckt, mit vielen eigenen Herausforderungen, bei denen sie liebevoll aufgefangen und begleitet werden darf.
Ich muss zum Beispiel Lehrpersonen immer wieder daran erinnern, dass auch sie Unterstützung beim Lernen der Inhalte benötigt. Meine Tochter bringt sich den ganzen Stoff zu Hause selbst bei, weil es in ihrer Klasse so laut zugeht und die Lehrer sich nur um die Lauten und die Mobber kümmern.
Und die zweite Gefahr: Sie fühlt sich für alle verantwortlich.
Das war zum Beispiel im Fall einer früheren, zeitweise suizidgefährdeten Freundin ziemlich heftig für sie. Aber auch in der Grundschule gab es schon Fälle, in denen ich ihr dann ‚den Kopf gerade rücken‘ und ihr klarmachen musste: Nein, du bist nicht verantwortlich dafür, wie es allen anderen geht.
Du darfst dich vor allem um dich selbst kümmern und darum, dass es dir gut geht.
Ihre Hilfsbereitschaft wird nämlich auch sehr gern ausgenutzt. Sie hat zum Glück inzwischen gelernt, Grenzen zu ziehen und sich auch von Menschen zu distanzieren, die sie ausnutzen und/oder toxisches Verhalten an den Tag legen. Aber das war auch ein ganz schöner Weg, bis sie das begriffen und verinnerlicht hatte.
Als Mama bin ich also hin- und hergerissen zwischen Stolz und Sorge.
Mein Kind hat ein riesiges Herz, was ich wundervoll finde, gleichzeitig darf das nicht dazu führen, dass es seine eigenen Bedürfnisse immer hintenanstellt. Ich möchte nicht, dass sie sich zu viel Verantwortung auflädt, die eine 15-Jährige noch nicht tragen sollte und trotzdem ist es toll, dass sie so engagiert ist und sich gerne um andere kümmert.
Leider kann ich auch nicht abstreiten, dass der Apfel wohl nicht weit vom Stamm fällt. Ich selbst bin auch dafür bekannt, sehr hilfsbereit zu sein. Genauso wie ich es meiner Tochter sage, werde ich auch oft von meinem Partner daran erinnert, dass ich nicht für alles und jeden Verantwortung trage und auch mal an mich denken muss. Ich darf also gemeinsam mit ihr lernen, Grenzen zu setzen und die eigenen Bedürfnisse genauso wichtig zu nehmen wie die der anderen.”
Liebe Marlies (echter Name ist der Redaktion bekannt*), vielen Dank, dass wir deine Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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