Vor zwei Jahren sind wir von Norddeutschland nach Bayern umgezogen.
Unsere Tochter war damals zweieinhalb Jahre alt und wir sorgten uns, dass die Umstellung und die Eingewöhnung in der neuen Umgebung für sie schwierig werden würde. Doch es stellte sich heraus, dass sie das viel einfacher wegsteckte als ihr Papa und ich.
Anders als unsere Kleine mussten wir uns nämlich erst einmal an die bayerische Mentalität gewöhnen. Und vor allem hatten wir große Schwierigkeiten, die Menschen hier überhaupt zu verstehen! Denn ganz anders als im Norden sprechen fast alle Dialekt, egal in welchem Alter.
Es dauerte bestimmt ein gutes Jahr, bis wir nicht mehr nach gefühlt jedem zweiten Wort nachfragen mussten, was gemeint ist. Unsere Tochter dagegen brauchte nie eine Gewöhnung. Sie nahm den Dialekt von Anfang an einfach so an, ja, saugte ihn geradezu auf – wie eine zweite Muttersprache.
Dialekt hatte lange einen schlechten Ruf
Noch vor wenigen Generationen wurde es gar nicht gern gesehen, wenn Kinder den Dialekt ihrer Umgebung übernahmen. Man glaubte, das würde ihre gesunde Sprachentwicklung beeinträchtigen. So wurde etwa befürchtet, dass Kinder dadurch nicht richtig Hochdeutsch lernen und die beiden Sprachstile durcheinander bringen.
Kleine Kinder lernen Sprache nämlich ohne Grammatiktabellen und Vokabelheft. Sie eignen sich Sprache beiläufig an, sozusagen im Spiel. Sie hören und ahmen nach. Der Fachbegriff dafür lautet „Immersion“, von dem Lateinischen Wort „immersio,“ was so viel heißt wie „Eintauchen“.
So ein „Sprachbad“, wie es im Deutschen auch genannt wird, kannte unsere Tochter schon von klein auf. Die Muttersprache ihres Papas ist nämlich Portugiesisch und so wurde sie von uns seit ihrer Geburt bereits in zwei Sprachen getaucht. Vielleicht erleichterte ihr das die Eingewöhnung in das neue Sprachumfeld noch zusätzlich.
Dialekt und Fremdsprache bringen Kindern nichts als Vorteile
Heute weiß man, dass sich Kinder, die mit zwei oder mehr Sprachen aufwachsen, schneller einen größeren Wortschatz aneignen, als andere. Sie können außerdem durch die sprachlichen Unterschiede grammatikalische Feinheiten besser erfassen. Auch dann, wenn es „nur“ Bayerisch ist und nicht etwa Englisch oder gar Chinesisch, denn ein Dialekt hat dieselbe Auswirkung auf die Entwicklung wie eine Fremdsprache.
Deshalb fällt es zweisprachigen und Dialekt-Kindern gleichermaßen leichter, weitere Fremdsprachen zu erlernen. Außerdem können sie später in der Schule meist auch schneller das gesprochene Wort korrekt in die Schriftsprache übertragen. Kinder, die nur einer Muttersprache ausgesetzt sind, brauchen dagegen etwas länger, bis sie die Unterschiede zwischen Laut und Schrift kennen, zum Beispiel, dass der Laut „f“ in Schriftform manchmal ein „v“ ist.
Dialekt ist noch viel mehr als nur ein Sprachphänomen
Dialekt zu sprechen hat in meinen Augen aber noch einen weiteren Vorteil und sollte deshalb auf keinen Fall unterdrückt werden: Es ist ein wichtiges Kulturgut und vermittelt Kindern Wurzeln und das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie sind dadurch Teil einer Gemeinschaft und Kultur, die sich über den Dialekt abhebt. Ich finde das sehr wertvoll und bin manchmal sogar ein bisschen neidisch, dass ich diese Zugehörigkeit hier in Süddeutschland niemals so werde teilen können wie meine Tochter.
Die hat inzwischen übrigens nicht nur große Freude daran, bayerische Kinderlieder zu singen und Kasperle-Hörspiele mit Dialekt zu hören. Sie ist richtig stolz darauf und verkündet immer wieder: „Mama, ich kann drei Sprachen! Bayerisch, Portugiesisch und Deutsch!“
Gut fürs Selbstvertrauen ist das Sprechen eines Dialekts also auch noch.