Meine Tochter zieht nicht in den Krieg – es sei denn, sie will es

Meinung – Eine Mutter zwischen Prepping, Auswanderungsgedanken und moralischem Konflikt: Ja, unser Frieden muss verteidigt werden – aber auch auf Kosten meines Kindes? Ich sage ganz klar: Nein, natürlich will ich das nicht. Aber mir ist auch klar: Die Wehrpflicht kommt zurück, wahrscheinlich auch für Frauen. Meine Tochter ist gerade 16 geworden, und in meinem Umfeld gibt es viele Söhne im selben Alter. Ich mache mir Sorgen und frage mich in diesen unsicheren Zeiten, wie wahrscheinlich wäre so ein Einsatz an der Front?

Ehrlich gesagt: Ich habe schon lange Angst vor Krieg.

Und zwar ziemlich genau, seit eine ukrainische Bekannte 2014 zu mir sagte: „Putin wird sich mit der Krim nicht zufrieden geben. Denk an meine Worte – in ein paar Jahren bekommt ganz Europa ein Problem.“

Danach habe ich aufgehört, über „die albernen Prepper“ zu lachen – und selbst langsam aber stetig angefangen, Vorräte anzulegen. Von allen Seiten wurde ich damals für meine Vorratshaltung, für meinen gut gepackten Fluchtrucksack und meine Auswanderungspläne nach Neuseeland belächelt.

Jetzt lächeln die Menschen in meinem Umfeld darüber schon wesentlich weniger. Im Gegenteil. Einige haben ebenfalls damit begonnen, sich vorzubereiten. Selbst die Bundesregierung fängt an, Kinder auf den Kriegsfall einzustimmen. Und überall höre ich in Gesprächen und Smalltalks das Wort „Zeitenwende“ fallen.

Allen dämmert so langsam, dass wir vielleicht doch noch Kriegszustände erleben.

Dass ich mit meinen Befürchtungen nicht alleine dastehe, zeigt auch eine aktuelle Erhebung von Januar 2025: Die Kriegsangst wächst. 45 Prozent der Deutschen fühlen sich persönlich von einer militärischen Auseinandersetzung mit deutscher Beteiligung bedroht (2). Und es geht ihnen wie mir, denn gleichzeitig befürworten 49 Prozent militärische Hilfe für die Ukraine, und 57 Prozent sagen Ja zu einer Erhöhung des Verteidigungsetags und einem Personalausbau der Bundeswehr (3).

Das ist doch ein Widerspruch in sich – wie passt das zusammen?

Tja, auf der einen Seite müssen wir realistisch sein: Die Ukraine gewinnt den Krieg gegen Putin nicht im Alleingang. Den USA ist es neuerdings ziemlich egal, was aus Europa wird, und Russland wird sich mit den bisher eroberten Gebieten nicht zufrieden geben. Wir können uns an fünf Fingern ausrechnen, welche Länder nach der Ukraine dran sind, wenn wir den russischen Bestrebungen nicht geschlossen Einhalt gebieten. Wir müssen unseren schönen Frieden also selbst verteidigen.

Unser Nachbarland Polen ist zum Beispiel in Sachen Kriegsvorbereitung schon viel weiter.

Hier gibt’s seit Kurzem Schießtraining für alle Kinder der 8. und 9. Klassen – wie heftig ist das bitte? Die polnische Regierung bereitet das Volk schon seit Langem auf Kriegszustände mit Russland vor und will die Wehrhaftigkeit der Bevölkerung stärken – sogar schon ab diesem Alter. Polen hat 2024 viel in seine Aufrüstung investiert, nämlich 4,2 % seines Bruttoinlandsprodukts, und damit mehr als jedes andere Nato-Land (4). Die 200 Kilometer lange Grenze von Polen zu Russland wirkt wie ein Motor auf die Verteidigungsstrategie Polens ein.

Unsere Demokratie und unsere Freiheit sind bedroht, und sie verteidigen sich nicht von alleine.

Wir können dabei nicht tatenlos zusehen. Daraus ergibt sich ein moralisches Dilemma:

Ja, natürlich müssen wir uns Russland entschieden entgegen stellen. Aber wer soll das ganz praktisch gesehen machen? Die personelle und infrastrukturelle Lage sieht beim europäischen Militär nicht besonders rosig aus. Viele europäische Länder wie Frankreich, Belgien und auch Deutschland haben schon seit Jahren keine Wehrpflicht mehr. Wir sind gar nicht dazu in der Lage, diese Form der Verteidigung unseres Friedens zu leisten. Wir sind nicht nur schlecht ausgerüstet, es gibt dafür auch einfach viel zu wenig Personal.

Die Lösung wird heißen: Die Wehrpflicht kommt zurück.

Dänemark hat es gerade vorgemacht und im Sinne der Gleichberechtigung auch die Wehrpflicht für Frauen und Mädchen eingeführt. Hier sollen Frauen ab 2026 per Losverfahren eingezogen werden können (1). Wenn ich das lese, läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Skandinavien gilt ja immer als Vorbild in vielen Dingen – auch dafür? Meine Tochter ist gerade erst 16 geworden, hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Sie will nach dem Abi am liebsten studieren und danach in die Filmbranche. Muss ich mir jetzt Sorgen machen, dass sie nicht hinter der Kamera, sondern im Schützengraben landet?

CDU/CSU und SPD befürworten die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Zwar las ich neulich erst: „Junge Deutsche bleiben von der Wehrpflicht vorerst verschont“ – aber die Betonung liegt auf dem kleinen Wort „vorerst“. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags ließ auch CDU-Chef Friedrich Merz verlauten, man wolle nach schwedischem Vorbild „zunächst auf Basis der Freiwilligkeit den Wehrdienst in Deutschland stärken“. Da läuten direkt meine Alarmglocken, denn auch hier fällt das Wort „zunächst“.

Machen wir uns nichts vor: Die Freiwilligkeit wird im Ernstfall nicht ausreichen.

Und ich muss mir die Frage stellen: Was, wenn es meine Tochter betrifft? Und darüberhinaus auch: Was, wenn mein Partner – Reservist bei der Bundeswehr – auch zur Waffe gebeten wird? Sieht so die Zukunft meines achtjährigen Patensohns und seiner älteren Brüder aus? Diese Frage betrifft uns Eltern der kommenden Generationen ganz besonders: Was sind wir ganz persönlich bereit für die Freiheit und den Frieden zu opfern? Genau dieses Dilemma hat die „Zeit“ neulich schon in einem längeren Essay aufgegriffen. Tenor: Ukraine verteidigen muss sein – aber doch bitte nicht von meinen Söhnen!

Die Teenager-Mama in mir möchte hinzufügen: Und auch nicht von unseren Töchtern.

Trotzdem machen mich die beschriebene Haltung des Bildungsbürgertums zur Bundeswehr in diesem Artikel wütend, wenn ich da lese: „Exakt so blickten auch meine Freunde und ich auf die Bundeswehr: Wenn schon irgendjemand als Strauch verkleidet durch den Schlamm kroch, dann waren das im Zweifel eher Bildungsferne und Rechte.“

Darauf möchte ich an dieser Stelle mit den Worten meines Schwiegervaters, einem sehr gebildeten, klugen Panzergrenadier, antworten: „Während ihr gemütlich auf dem Sofa sitzt, würde ich unsere Demokratie jederzeit mit meinem Leben verteidigen“. Trotzdem hatte auch er selbstverständlich den klaren Wunsch: Nie wieder Krieg. Nie wieder Verbrechen an der Menschlichkeit – niemand will das!

Ich denke auch: Wir brauchen eine personell und rüstungstechnisch gut ausgestattetes Militär, um den Luxus des Friedens noch einige Jahre länger genießen zu dürfen. Und natürlich klingt das grotesk – aber so ist es nunmal. Ohne eine eigene, starke Gegensposition werden wir nur von der Seitenlinie aus zusehen, wie Putin und Trump das Schicksal der Ukraine und Europas unter sich ausmachen. Hinzu kommt: Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde die Bundeswehr erstmal von innen heraus stärken, auf Verwaltungsebene und im logistischen Bereich. Und auch das ist wichtig, um als Armee weiter vorne einwandfrei zu funktionieren.

Doch ein Gedanke bleibt: Im Zweifel – also im Verteidigungsfall – würden wir alle auch unser Land verteidigen wollen, sagte mein Freund, der Reservist, dazu.

Aber schicken wir dazu selbst unsere Kinder in den Krieg?

Das fragt der oben zitierte Zeit-Artikel, und das schreckt mich natürlich genauso auf wie jede andere Mama hier. Ich trete aber auch stark dafür ein, dass wir die Polemik in diesen Tagen herunterfahren und einmal nüchtern betrachten, wie wahrscheinlich es wäre, dass unsere Kinder als junge Wehrpflichtige direkt an eine Front geschickt würden.

Denn fest steht: Im Kriegsfall stünden Wehrpflichtige nicht zuallererst in der vordersten Reihe. Die Bundeswehr müsste zunächst Freiwillige und Reservisten mobilisieren, während verfassungsrechtliche Schutzmechanismen (Kriegsdienstverweigerung) direkte Zwangsrekrutierung verhindern. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht wäre zudem von politischen und logistischen Voraussetzungen abhängig, die teilweise noch gar nicht gegeben sind.  Zum Beispiel bedürfte es einer Verfassungsänderung, auch, um Frauen einzubeziehen (Art. 12a GG)

Nur im „Verteidigungsfall“ (Kriegszustand) könnte der Bundestag die sofortige Einberufung auslösen – theoretisch auch ohne vorherige Wehrpflicht (5). Was außerdem bleibt: Gemäß Art. 4 Abs. 3 GG haben Wehrpflichtige das absolute Recht, den Dienst an der Waffe im Kriegsfall zu verweigern – selbst wenn der Staat die Existenznotwendigkeit der Verteidigung betont.

Bedeutet: Ich müsste es also meiner erwachsenen Tochter überlassen, ob sie Wehrdienst leisten will

Es läge bei ihr – und ganz alleine bei ihr – zu entscheiden, ob sie dem Weg ihres Großvaters, Vaters und Stiefvaters zur Grundausbildung folgen will. Ich kann als Mutter natürlich darauf einwirken, aber die Entscheidung trifft sie, mit allen Konsequenzen, die ein solcher Wehrdienst in diesen Zeiten hätte, als Erwachsene selbst.

So, wie jeder von uns sich überlegen muss: Was wäre ich bereit, für Demokratie und Frieden zu geben? So schwer mir das fällt: Ich müsste im Zweifel also loslassen. Und dafür beten, dass meine Tochter diese Entscheidung erst gar nicht treffen muss. Oder vorher doch noch mit ihr nach Neuseeland auswandern.

(1) https://www.dw.com/en/which-countries-require-military-service-for-women/a-72151079
(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1378617/umfrage/umfrage-zur-kriegsangst-der-deutschen/
(3) https://zms.bundeswehr.de/de/publikationen-ueberblick/befragung-zwischen-kriegsangst-und-kriegstauglichkeit-5860904
(4) https://www.tagesspiegel.de/internationales/verteidigung-gegen-russland-polens-regierung-plant-militar-training-fur-alle-manner-13333717.html
(5) https://www.german-foreign-policy.com/en/news/detail/9545

Ilona Utzig

Ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser.

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