Kinder, Haushalt, Job: Mamas leisten ein enormes Pensum an Care-Arbeit und kommen dabei oft zu kurz. Wir sprechen mit einer Expertin über Stress in der Schwangerschaft, denn viele (werdende) Mütter leiden unter einer hohen psychischen Belastung – dem sogenannten Mental Load.
Dr. med. Stefanie Schultze-Mosgau ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das Thema psychosoziale Belastung von Schwangeren ist für sie eine Herzensangelegenheit. Gemeinsam klären wir wichtige Fragen zu Stress in der Schwangerschaft, zum Beispiel wie wir ihn vermeiden können und welche Folgen zu viel Stress haben kann.
Gleichzeitig möchten wir voranschicken: Ein gewisses Maß an Stress gehört zum Leben dazu, wir können Anspannung und psychische Belastung nicht völlig vermeiden, das gilt auch für Schwangere. Macht euch also nicht verrückt, wenn ihr in der Schwangerschaft kurzzeitig gestresst seid.
1. Das Wichtigste auf einen Blick
- Wir alle gehen unterschiedlich mit Belastungen um: Wann Stress zu viel Stress ist, ist also eine individuelle Frage.
- Es gibt typische Symptome, die dir zeigen, dass du unter Stress leidest.
- Eine enorme psychische Belastung in der Schwangerschaft kann (in seltenen Fällen) Folgen für dein Baby haben.
- Unsere Expertin empfiehlt, eigene Leistungsansprüche kritisch zu hinterfragen, um nicht in die Mental-Load-Falle zu tappen.
2. Wie viel Stress ist zu viel Stress in der Schwangerschaft?
Vielleicht lest ihr diesen Beitrag gerade und fragt euch, wie viel Stress denn zu viel Stress ist. Eine pauschale Antwort gibt es darauf nicht. Man kann chronischen, dauerhaften Stress bzw. eine psychosoziale Belastung in der Schwangerschaft nicht einfach messen.
Unsere Expertin rät deswegen: „Grundsätzlich gilt: was für den einen stressig ist, muss es für den anderen schon lange nicht sein. Dem einem macht ein vollgestopfter Tag mit vielen Terminen überhaupt nichts aus, für den anderen ist das höchst stressig. Stress wird also sehr individuell empfunden.” Schwangere sollten deswegen in sich selbst hineinhorchen, wenn sie den Verdacht haben unter zu viel Stress zu stehen.
3. Was sind typische Symptome für Mental Load in der Schwangerschaft?
Es gibt allerdings ein paar körperliche Symptome, an denen ihr erkennen könnt, dass der Stress zu groß wird. Dr. Schultze-Mosgau nennt mehrere typische Anzeichen, die ihr dann möglicherweise feststellt:
- Erhöhter Puls
- Schlafstörungen
- Unruhe
- Kopfschmerzen
- Veränderungen des Appetits
- Stimmungsveränderungen
- Nervosität
- Konzentrationsstörungen
- Bauchschmerzen
- Rückenschmerzen
- verminderte Libido.
„Das Schwierige ist, dass solche Symptome häufig Symptomen ähneln, die typischerweise in der Schwangerschaft auftreten können. Die Kunst besteht also darin, die Ursachen zu unterscheiden. Hierbei helfen Frauenärzt*innen”, fügt die Expertin hinzu. Sie geht aber grundsätzlich davon aus, dass die werdende Mama selbst ganz gut einschätzen kann, ob sie gestresst ist oder sich belastet fühlt.
Schwangere sollten deswegen ihrem eigenen Empfinden vertrauen: „Wenn man das Gefühl hat, dauerhaft unter Strom zu stehen und sich selbst in Ruhephasen nicht mehr entspannen kann, ist das immer ein Alarmsignal. Dann sollte man sich an Frauenärzt*innen oder Hausärzt*innen oder auch die Hebamme wenden.”
4. Stress in der Schwangerschaft: Hat er Folgen für das ungeborene Kind?
Dr. Schultze-Mosgau kann werdende Mamas zunächst beruhigen: Ein gewisses Maß an Stress schadet der Schwangerschaft und eurem ungeborenen Baby nicht. „Es gibt wissenschaftliche Daten, dass normaler Alltagsstress sogar förderlich für die Entwicklung des ungeborenen Kindes ist.” Nur wenn die psychische Belastung in der Schwangerschaft stetig zunimmt und chronisch ist, kann das unter Umständen Folgen haben.
Kann Stress in der Schwangerschaft zu Blutungen führen?
„Tatsächlich kann mütterlicher Stress vorzeitige Wehen verursachen”, erklärt die Expertin. Schmierblutungen könnten z.B. im Rahmen von vorzeitigen Wehen durch Scherbewegungen des Gebärmutterhalses entstehen. Doch Dr. Schultze-Mosgau weist darauf hin, dass Blutungen in der Schwangerschaft auch andere Gründe haben können. Eine Blutung in der Schwangerschaft muss deswegen immer fachärztlich abgeklärt werden.
Kann Stress in der Schwangerschaft dazu führen, dass mein Kind später ADHS bekommt?
Viele Mütter sorgen sich, dass ihr Kind später ADHS bekommt, wenn sie in der Schwangerschaft zu viel Stress erleben. Aber ist an dieser Angst überhaupt etwas dran? Völlig unberechtigt ist sie leider nicht, wie die Frauenärztin erklärt: „Wir wissen aus wissenschaftlichen neuen Erhebungen, dass wirklich schwerer chronischer Stress der Mutter in der Schwangerschaft beim Kind beispielsweise zu einer erhöhten Rate von Aufmerksamkeitsstörungen, Unruhe, Depressionen und Ängsten führen kann, aber nicht muss.”
Die genannten Auswirkungen beträfen laut wissenschaftlicher Daten aber nur eine kleine Anzahl Schwangerer, fügt die Expertin hinzu.
Folgen von Stress in der Schwangerschaft lassen sich oft noch rückgängig machen
Die gute Nachricht ist, dass auch mögliche Auswirkungen von chronischem Stress sich noch beheben lassen. „Das Gehirn von Kindern in den ersten Lebensjahren besitzt eine hohe Plastizität, das heißt, durch eine liebevolle, fördernde Umgebung kann das Kind sich trotzdem wunderbar entwickeln. Die möglichen Prägungen durch Stress in der Schwangerschaft müssen sich nicht entfalten”, weiß die Frauenärztin Schultze-Mosgau.
Eltern können also in den ersten Jahren aktiv dafür sorgen, dass sich die Folgen von schwerem chronischen Stress nicht oder zumindest weniger auswirken.
5. Kann ich etwas tun, um Stress in der Schwangerschaft vorzubeugen?
Nachdem wir nun mehr über die Folgen von Stress in der Schwangerschaft wissen, schließt sich die Frage an, wie man Stress in Schwangerschaft vermeiden kann. Gibt es vielleicht sogar etwas, was werdende Mütter tun können, um einer seelischen Belastung vorzubeugen? „Sollte man eine Schwangerschaft planen, macht es sicher Sinn, sich schon im Vorfeld ein wenig Gedanken zu machen, ob es Baustellen oder schwierige Lebensumstände gibt, die man vor einer Schwangerschaft eventuell angehen könnte”, rät unsere Expertin.
Allerdings gibt sie zu bedenken, dass viele Frauen ungeplant schwanger werden, vorbeugend zu handeln, ist damit gar nicht möglich. „Ich denke, dass viele Frauen sich vor einer geplanten Schwangerschaft sowieso Gedanken machen.”
6. Was sind typische Auslöser für Stress in der Schwangerschaft?
Dennoch kann Dr. Schultze-Mosgau bestimmte Stressfaktoren benennen, die Schwangeren häufig zusetzen und die werdende Mamas deswegen im Blick behalten können. „Dazu gehören chronische Partnerschaftprobleme, denn das sind die häufigsten Stressoren für Frauen. Konflikte am Arbeitsplatz, die Doppelbelastung von Familie und Beruf, hohe Leistungsansprüche an sich selbst gehören ebenso dazu.”
Auch die ständige Erreichbarkeit durch der Digitalisierung, aber auch kritische Lebensereignisse wie eine schwere Krankheit, Tod eines nahestehenden Menschen oder der Verlust des Arbeitsplatzes können Ursache für Mental Load sein.
Was tun, wenn die Arbeit Auslöser für die seelische Belastung ist?
Hier rät Dr. Schultze-Mosgau, sich an Frauenarzt oder Hebamme zu wenden. Sie sind die Ansprechpartner, wenn es einer Schwangeren nicht gut geht. „Neben körperlichen Symptomen sollten Sorgen, Ängste und Belastungen möglichst offen besprochen werden. Wir Frauenärzt*innen sind dazu da, zu helfen und eine gesunde Schwangerschaft zu unterstützen und zu begleiten. Gemeinsam werden hier entsprechenden Belastungen erfragt und versucht, eine Lösung zu finden.”
Wenn es um eine starke berufliche Belastung geht, kann auch der Arbeitgeber oder der Betriebsarzt hinzugezogen werden.
7. Tipps von der Expertin, um Mental Load in der Schwangerschaft zu verringern
Unsere Expertin weiß aus ihrer Erfahrung als Frauenärztin, dass es häufig die eigenen Leistungsansprüche sind, die viele Mütter unter Druck setzen. Sie findet, Mütter sollen sich viel öfter bewusst machen, dass sie nicht perfekt sein müssen. „Können es zum Beispiel statt der selbstgebackenen Muffins auch mal die gekauften sein? Muss ich überall 100 Prozent geben?” Schwangere sollten sich also bewusst fragen, was ihnen wirklich wichtig ist und welche Dinge sie einfach mal liegen lassen und sich dafür lieber eine kleine Pause gönnen.
Doch nicht nur im Privatleben setzen sich Frauen häufig unter Druck. Dr. Schultze-Mosgau legt gestressten Schwangeren ans Herz, dass sie auch ihren Leistungsanspruch im Beruf kritisch zu hinterfragen: „An welcher Stelle kann ich Aufgaben delegieren? Was könnte ich anders organisieren? Müssen es wirklich all die Überstunden sein?”
Wenn es dann wirklich nicht möglich ist, das Tempo beim Job etwas zu drosseln, dann sollten Schwangere prüfen, wer sie in punkto Doppelbelastung Familie und Beruf unterstützen kann: „Wer kann Aufgaben übernehmen? Wie können wir diese anders verteilen? Was ist wirklich wichtig?” Sich diese Fragen ehrlich zu stellen und zu beantworten, könne für ganz viel Entlastung sorgen.
8. Mental Load in der Schwangerschaft: „Don’t blame the mothers”
Der Spagat zwischen den vielen verschiedenen Rollen, die insbesondere Mütter erfüllen müssen, macht sie leider häufig anfällig für Mental Load. Das sieht auch Dr. Schultze-Mosgau so:„Hinter so vielem steht ein riesiger Leistungsanspruch und Zeitgeist, den wir Frauen oft nur auf Kosten unserer seelischen und körperlichen Gesundheit erfüllen können.” Doch spätestens in der Schwangerschaft sei die Zeit gekommen, einen Schritt zurück zu treten und zu sehen, an welcher Stelle man für sich für Entlastung sorgen kann.
„„Don’t blame the mothers‘ (deutsch: gebt nicht den Müttern die Schuld) ist übrigens ein sehr eindrucksvolles und treffendes Zitat zu dem Thema, das in unseren wissenschaftlichen Diskussionen dazu oft zitiert wird. Wichtig ist aus meinem Augen , dass wir alle, auch besonders als Gesellschaft, gefordert sind, Schwangere mehr zu unterstützen.”
Vielen Dank an Dr. Stefanie Schultze-Mosgau, die uns für diesen Beitrag als Expertin zur Seite stand.
Die begeisterte Fachärztin für Frauenheilkunde in Hamburg ist selbst Mama von drei (lebhaften) Jungs und in ihrer eigenen Praxis tätig. Sie ist außerdem Autorin, regelmäßig in Podcasts zu hören und berät Medien und Zeitungen zur Frauengesundheit. Die Stressbelastung in der Schwangerschaft ist ihr Herzensthema, so ist sie auch eine der Autorinnen des wunderschönen Achtsamkeitstagebuch für die Schwangerschaft: „Sonntagskinder – Mein Baby, das Glück & ich” (Affiliate Link).
9. Gemeinsam gegen Mental Load mit Echte Mamas
Wir haben der psychischen Belastung von Frauen eine ganze Themenwoche gewidmet. Unter #ZUSAMMENGEGENMENTALLOAD findest du viele tolle Interviews und Beiträge zum Thema.
Außerdem möchten wir mit unserem Echte Mamas Club etwas gegen die psychische Belastung bei Müttern tun. Im Club trefft ihr Expertinnen virtuell live und könnt euch direkt mit ihnen austauschen. Außerdem gibt es dort alles andere, was das Leben von (werdenden) Mamas ein wenig leichter macht. Checklisten, Infos, die immer genau zu euch und eurem kleinen Schatz passen, Testberichte, E-Books, Austausch mit anderen Mamas: Unser kleiner Beitrag, um den Mental Load zu reduzieren.
HIER kommt ihr zum Club. Schaut doch mal vorbei!