Missbrauch im Sport: Was Eltern wissen müssen, um ihr Kind zu schützen

Sportvereine sind für viele Kinder und Jugendliche ein wichtiger Ort – sie treiben dort nicht nur Sport, sondern erleben Gemeinschaft, Teamgeist und persönliche Erfolge. Doch wie in jedem Umfeld, in dem Erwachsene engen Kontakt zu Kindern haben, gibt es auch hier Risiken für Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt. In unserer Redaktion, in der viele Mütter arbeiten, entstand die Frage: Wie können Eltern erkennen, ob ihr Kind betroffen ist? Und was können sie tun, um ihr Kind zu schützen?

Wir haben mit Tanja von Bodelschwingh über das Thema gesprochen. Sie ist Sozialpädagogin und im Vorstand von N.I.N.A. e.V. Im Gespräch mit ihr wird deutlich: Sport ist zwar nicht per se ein Hochrisikobereich für sexualisierte Gewalt, doch es gibt bestimmte Strukturen, die Missbrauch begünstigen können. Wichtig ist daher, dass wir keine Angst schüren wollen, sondern Eltern sensibilisieren und ihnen konkrete Hinweise geben, worauf sie achten können.

Echte Mamas: Frau von Bodelschwingh, warum kommt es gerade in Sportvereinen immer wieder zu Vorfällen?

Tanja von Bodelschwingh: Sportvereine sind für viele Kinder ein wichtiger Ort des Wachstums – sie lernen dort nicht nur sportliche Fähigkeiten, sondern erfahren auch Gemeinschaft, Teamgeist und persönliche Erfolge. Doch gerade in Umfeldern, in denen Erwachsene engen Kontakt zu Kindern haben, besteht immer auch das Risiko von Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt. Das bedeutet natürlich nicht, dass Sport per se ein gefährlicher Bereich ist, aber bestimmte Strukturen können Missbrauch begünstigen. Deshalb ist es wichtig, Eltern für dieses Thema zu sensibilisieren, ohne dabei Angst zu schüren.

Echte Mamas: Warum suchen Täter gezielt den Sport?

Tanja von Bodelschwingh: Viele Täter*innen suchen gezielt Orte auf, an denen sie unauffällig Nähe zu Kindern oder Jugendlichem aufbauen können – das betrifft nicht nur Sportvereine, sondern auch Schulen, Kitas oder andere Freizeiteinrichtungen. Im Sport entstehen oft enge Bindungen zwischen Trainer*innen und jungen Athlet*innen, geprägt von Vertrauen, Anerkennung, aber natürlich auch Macht und Abhängigkeiten.

Täter und Täterinnen können diese besondere Nähe ausnutzen. Und für betroffene Kinder ist es sehr schwer, in einem solchen Kontext Anbahnungsprozesse und Übergriffe zu erkennen und aufzudecken. Hinzu kommt gerade im Sport dann auch vielfach die Sorge, die eigene Position im Team zu gefährden, nicht mehr mitspielen zu dürfen oder die Mannschaft, die Eltern, den Verein zu enttäuschen.

Echte Mamas: Welche Situationen können problematisch sein?

Tanja von Bodelschwingh: Gerade im Leistungssport spielen Trainer*innen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung junger Sportler*innen. Einzeltrainings, besondere Fördermaßnahmen oder das Angebot, ein Kind nach dem Training nach Hause zu fahren, können zwar harmlos sein, bieten aber auch Gelegenheiten für Manipulationen und Übergriffe. Besonders heikel ist dies, weil das Vereinsleben oft sehr vertraut wirkt und Außenstehenden problematische Dynamiken nicht sofort auffallen.

In vielen Sportarten gibt es Situationen, in denen Kinder wenig Privatsphäre haben. Die Umkleidekabinen und Duschräume gehören dazu, besonders wenn Trainer*innen sich dort regelmäßig aufhalten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Trainer*innen durch die Kabinen gehen oder dass Duschen nach dem Training als Pflicht kommuniziert oder empfunden wird. Doch Eltern sollten sich fragen, ob dies wirklich notwendig ist und ob es klare Regeln gibt, die Kinder schützen. Routinen dürfen und müssen auf den Prüfstand kommen, hinterfragt werden und sich zum Schutz der Kinder und Jugendlichen – wenn nötig – verändern.

Auch in Sportarten mit Gewichtsklassen, wie Judo oder Ringen, gibt es Momente, die mit Schamgefühlen verbunden sein können, etwa wenn Kinder ihr Gewicht vor anderen messen lassen müssen – nicht selten nahezu unbekleidet. Ebenso bergen Trainingslager und Wettkämpfe, bei denen Kinder über mehrere Tage unterwegs sind, das Risiko, dass Erwachsene unbemerkt unangemessene Nähe aufbauen.

Echte Mamas: Woran können Eltern problematische Situationen erkennen?

Tanja von Bodelschwingh: Eltern können auf verschiedene Warnsignale achten. Gerade ehrgeizige Kinder, die erfolgreich im Sport sein wollen, erkennen oft nicht sofort, wenn eine Grenze überschritten wird. Sie freuen sich über besondere Aufmerksamkeit und bemerken vielleicht gar nicht, wenn sich eine Dynamik verändert. Deshalb sollten Eltern genau hinschauen und sich für den Umgang des Vereins mit dem Thema interessieren.

Wichtig ist, sich zu erkundigen, ob es klare Regeln für den Kontakt zwischen Trainer*innen und Kindern gibt. Werden beispielsweise private Nachrichten über Messenger-Dienste wie WhatsApp erlaubt? Gibt es im Verein feste Schutzkonzepte, die für alle Beteiligten klar kommuniziert werden? Oft reichen bereits wenige Ausnahmen, die das Risiko von sexuellen Übergriffen deutlich zu erhöhen.

Ein weiteres Warnsignal kann eine plötzliche Verhaltensänderung des Kindes sein. Kinder, die sich zurückziehen, auffällig still oder aggressiv werden, schlechter schlafen oder schulische Probleme bekommen, senden möglicherweise unbewusst Signale. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Missbrauch vorliegt, aber Eltern sollten hellhörig werden.

Echte Mamas: Warum bleibt sexuelle Gewalt im Sport häufig lange unbemerkt?

Tanja von Bodelschwingh: Ein häufiges Problem im Sport ist die enge Beziehung zwischen Trainer*innen und Familien. Täter*innen bauen oft nicht nur zu den Kindern, sondern auch zu den Eltern Vertrauen auf. Wenn Eltern Trainer*innen besonders schätzen und ihnen zu 100 Prozent vertrauen, fällt es schwer, problematische Entwicklungen zu erkennen. Eltern sollten darauf achten, ob ihr Kind plötzlich nicht mehr gerne mit einer bestimmten Person zusammen ist oder im Gegenteil nur noch begeistert von einer Trainerin oder einem Trainer spricht.

Besondere Förderung kann ebenfalls ein Hinweis sein. Einzeltrainings, private Betreuung oder Treffen außerhalb des regulären Trainings sind nicht automatisch problematisch, sollten aber hinterfragt werden. In einem Fall lud ein Fußballtrainer regelmäßig ausgewählte Kinder zu sich nach Hause ein, um „Teambuilding“ zu machen. Die Eltern hielten dies zunächst für ein tolles Engagement, bis der Trainer begann, Kinder ohne ihr Wissen zu medizinischen Untersuchungen in seine Praxis mitzunehmen. In solchen Momenten ist es wichtig, nicht einfach abzuwarten, sondern nachzufragen und aufmerksam zu bleiben.

Echte Mamas: Wie sollten Eltern reagieren, wenn sie einen Verdacht haben?

Tanja von Bodelschwingh: Wenn Eltern sich Sorgen machen oder Hinweise darauf haben, dass ihr Kind betroffen sein könnte, ist es entscheidend, ruhig zu reagieren – so schwer das fällt. Kinder brauchen das Gefühl, dass sie sicher sind und dass ihnen geglaubt wird. Es kann helfen, offene Fragen zu stellen, ohne Druck aufzubauen. Wenn ein Kind plötzlich nicht mehr zum Training gehen möchte, sollte man zum Beispiel nicht darauf bestehen, sondern nachfragen, was genau dahintersteckt. Manchmal gibt es harmlose Erklärungen, manchmal aber auch nicht.

Die Vermutung, das eigene Kind könnte sexualisierte Gewalt erfahren, ist eine belastende Situation für jede Familie. Eltern sollten sich in solchen Fällen an Fachberatungsstellen wenden, um sich über das weitere Vorgehen zu informieren. Dabei geht es nicht darum, sofort öffentlich Alarm zu schlagen, sondern sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen und dem Kind Schutz zu bieten. Kinder, die betroffen sind, brauchen in erster Linie Unterstützung und das Wissen, dass sie nicht allein sind.

Manche Kinder möchten viel darüber sprechen, andere wollen das nicht. Eltern sollten darauf achten, was ihr Kind in diesem Moment braucht und auf keinen Fall mit andauernden Fragen das Kind überfordern.

Echte Mamas: Wie können Kinder frühzeitig geschützt werden?

Tanja von Bodelschwingh: Prävention beginnt bereits im Alltag, indem Kinder lernen, dass ihre eigenen Grenzen zählen. Wenn ein Kind nicht möchte, dass jemand ins Badezimmer schaut oder wenn es sich am Strand nicht umziehen will, sollten Eltern dies respektieren. Auch Sätze wie „Gib Opa ein Küsschen, sonst ist er ganz traurig“ vermitteln unterschwellig, dass Kinder verpflichtet sind, Körperkontakt zuzulassen, selbst wenn sie es nicht wollen.

Stattdessen sollten Eltern klarmachen, dass niemand Körperkontakt haben muss, wenn er oder sie sich dabei unwohl fühlt. Und es ist gut, dies auch vor den Kindern zum Ausdruck zu bringen und den Großeltern beispielsweise zu sagen: „Das ist okay, wenn unsere Kinder euch kein Küsschen geben möchten. Sie dürfen das selbst entscheiden. Das haben wir so besprochen.“

Sportvereine können ebenfalls viel tun, um Kinder zu schützen. Klare Schutzkonzepte, die für alle Mitglieder transparent sind, tragen dazu bei, Missbrauch vorzubeugen. Regeln wie „Trainer*innen haben keinen Einzelkontakt mit Kindern außerhalb der Gruppe“ oder „WhatsApp-Gruppen gibt es nur mit Eltern“ schaffen Orientierung und Sicherheit. In sensiblen Bereichen wie Umkleidekabinen sollten ebenfalls klare Regeln gelten, damit Kinder jederzeit merken, wenn eine Situation komisch ist und so auch eigentlich gar nicht sein soll oder darf. Das hilft ihnen, Grenzüberschreitungen und Übergriffe als solche zu erkennen und sich damit anzuvertrauen.

Echte Mamas: Was muss sich gesellschaftlich ändern?

Tanja von Bodelschwingh: Damit Missbrauch wirksam verhindert werden kann, braucht es neben individueller Aufmerksamkeit auch gesellschaftliche Veränderungen. Bereits in Kitas und Schulen sollte vermittelt werden, dass Kinder ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung haben. Familien brauchen niedrigschwellige Angebote zur Unterstützung, damit sie sich frühzeitig Hilfe holen können. Gleichzeitig sollten Institutionen wie zum Beispiel Sportvereine Schutzkonzepte nicht als Angriff oder Misstrauen verstehen, sondern als Chance, ihre Strukturen sicherer zu machen.

Das Ziel sollte sein, dass es völlig normal wird, Schutzmaßnahmen einzufordern. Wenn Eltern in einem Sportverein nach Schutzkonzepten fragen, sollte die Antwort nicht lauten, dass „so etwas hier nicht passiert“, sondern dass es bereits Maßnahmen gibt oder sie entwickelt werden. Oder dass es toll ist, wenn Eltern einen solchen Prozess anstoßen und sich engagieren. Nur so kann langfristig eine Umgebung geschaffen werden, in der Kinder sicher aufwachsen und sich frei entfalten können.

Vielen Dank an unsere Expertin!

Tanja von Bodelschwingh ist Sozialpädagogin und im Vorstand von N.I.N.A. e. V. N.I.N.A. steht für Nationale Informations- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. Hervorgegangen aus einer Initiative des ehemaligen Bundesvereins zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen e.V., setzt sich N.I.N.A. seit 2005 dafür ein, den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu verbessern.

Hilfsangebote:

Wenn ihr den Verdacht habt, dass euer Kind von sexualisierter Gewalt betroffen sein könnte, oder wenn sie sich einfach beraten lassen möchtet, gibt es verschiedene Anlaufstellen, die Unterstützung bieten. Eine der wichtigsten ist das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ unter der Nummer 0800 22 55 530. Dort können sich Betroffene, Eltern und Fachkräfte anonym und kostenlos beraten lassen.

Sportverbände haben ebenfalls Ansprechpersonen für das Thema Kinderschutz. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sowie viele Landessportbünde bieten Schutzkonzepte und Beratungsangebote an. Es lohnt sich, im eigenen Verein nachzufragen, ob es eine Kinderschutzbeauftragte gibt.

Wenn es um akuten Verdacht oder eine direkte Gefährdung geht, können sich Eltern an das Jugendamt oder die Polizei wenden.

Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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