Mütter, die sich ins Krankenhaus wünschen: „Nur ein paar Tage Ruhe.”

„Als die Kinder noch klein waren, habe ich mir ganz oft gewünscht, ich würde eine Krankheit bekommen und eine Woche ins Krankenhaus müssen. Nur liegen, nichts machen müssen und ganz viel schlafen und lesen und Ruhe”, schreibt mir eine Mama, die lieber anonym bleiben möchte.

Eine andere gesteht: „Ganz oft ist es bei mir nicht der direkte Wunsch im Krankenhaus zu landen, um Ruhe zu haben, sondern auch ganz oft dieser Gedanke: ‚Wenn mein Bein gebrochen wäre, könnte ich mich endlich mal ausruhen.‘ Dann muss mir ja jemand helfen.” Solche Gedanken sind Ausdruck der sogenannten „Krankenhaus-Fantasie” (auch oft engl. Hospital Fantasy), die viele Mütter kennen, sich aber gleichzeitig für diese Gedanken schämen.

Bin ich eine schlechte Mama, weil ich mir eine Auszeit wünsche?

Wir alle haben Phasen im Leben, in denen wir uns am liebsten eine Decke über den Kopf ziehen würden. Wenn der Druck von Prüfungen, vom Arbeitsalltag oder anderen Verpflichtungen zu groß wird, träumen wir davon, morgens einfach liegen zu bleiben. Doch als Mutter ist es nicht so leicht, aus dem Alltag auszubrechen. Noch dazu sind solche Gedanken oft mit einem schlechten Gewissen verknüpft: Ich sollte meine Kinder doch lieben, wie kann ich mir da eine Auszeit vom Mamasein wünschen?

„Selbst wenn Mama krank ist, bleibt sie oft in der Verantwortung. Eine Pause innerhalb des häuslichen Umfelds ist kaum möglich. Der zweite Grund für die Hospital Fantasy ist das allgegenwärtige schlechte Gewissen”, erklärt Sonja Sidoroff, Mama-Coach und Sozialpädagogin. „Viele Mütter empfinden es als egoistisch, sich Zeit ohne ihre Kinder zu nehmen. Doch die Krankenhaus-Fantasie bietet quasi eine Entschuldigung.”

Das Krankenhaus als „Ausrede” für die dringend benötigte Pause

Klingt logisch, wenn man sich verletzt ist man schließlich gezwungen, sich auszuruhen. „Der Unterschied ist subtil, aber bedeutsam – sowohl für das eigene Gewissen als auch für den Blick von außen. Es ist gesellschaftlich akzeptierter, wenn Mama wegen einer Erkrankung im Krankenhaus ist, als wenn sie beispielsweise allein Urlaub macht”, meint Sidoroff.

Das liegt an tief verwurzelten gesellschaftlichen Erwartungen: Mütter sollen immer für die Familie da sein, sie tragen in der Regel die Hauptverantwortung für die Care-Arbeit und sind für das Wohl der Kinder zuständig. Diese Rollenerwartungen führen auch dazu, dass sich viele Mütter schämen, wenn sie solche Fantasien haben. Sie würden nicht einmal mit ihrer besten Freundin oder ihrem Partner darüber sprechen, aus Angst, als ‚schlechte Mutter‘ abgestempelt zu werden.

Mütter fühlen sich bewertet und unter Druck gesetzt

Eine der betroffenen Frauen schreibt mir: „Wir Mütter müssen einfach immer funktionieren und dabei noch gute Laune vorspielen. Ich verurteile keine Mama, die solche Gedanken hat. Ich denke das ist ganz normal, weil wir nie wirklich zur Ruhe kommen und meistens das komplette Familienleben managen müssen, dazu noch arbeiten, den Haushalt machen.”

„Es gibt eine offensichtliche Doppelmoral in unserer Gesellschaft: Wenn jemand sagt, dass ihm die Arbeit zu viel wird und er sich wünscht, auf eine einsame Insel zu flüchten, stößt das meist auf Verständnis. Doch wenn eine Mutter zugibt, dass sie überfordert ist und sich eine Auszeit wünscht, wird das oft weniger verständnisvoll aufgenommen. Die Mutter wird schnell als ‚labil‘ hingestellt. Als jemand, der die Verantwortung nicht tragen kann. Diese unfaire Bewertung setzt viele Mütter zusätzlich unter Druck”, weiß die Expertin.

Krankenhaus-Fantasie als Warnsignal für Burnout

Dabei sind die Gedanken hinter dem Krankenhaus-Wunsch oft Ausdruck von tiefer Erschöpfung. „Diese Erschöpfung kommt nicht plötzlich, sondern schleicht sich über Wochen, Monate oder sogar Jahre an. Viele Mütter vernachlässigen über lange Zeit ihre eigenen Bedürfnisse, bis sie schließlich das Gefühl haben, ausgebrannt zu sein”, erklärt Sidoroff. Tatsächlich nimmt die Zahl der Menschen zu, die einen Eltern-Burnout erleben. Die Hospital Fantasy kann ein erstes Warnsignal sein.

Wenn Mütter regelmäßig solche Gedanken haben, sollten sie dies als Weckruf wahrnehmen. „Mütter, die diese Fantasien immer wieder bemerken, sollten sich nicht davor scheuen, Hilfe zu suchen – sei es beim Partner, bei Freundinnen oder beim Hausarzt. Es ist wichtig, die größten Stressfaktoren im Alltag zu identifizieren und nach Wegen zu suchen, diese zu reduzieren.”

Keine Mama sollte sich dafür schämen

Manchmal brauche es auch externe Unterstützung, um den Weg aus dem Stress-Hamsterrad zu finden. „Es ist völlig legitim, sich Unterstützung zu holen – oft steckt man so tief in dieser Abwärtsspirale und ist so sehr im Funktionsmodus, dass man selbst keine Kapazität dafür hat, mal neue Perspektiven einzunehmen.”

Wichtig ist, dass keine Mutter sich für diese Gedanken schämen muss. Viele Mütter kennen solche oder ähnliche Fantasien, besonders in stressigen Phasen. Diese Gedanken sind kein Zeichen von Versagen oder Schwäche, sondern eine normale Reaktion auf Überforderung. Doch wenn diese Gedanken immer wiederkehren, ist es an der Zeit, das Gespräch zu suchen und nach Lösungen zu suchen. Es ist ein wichtiges Warnsignal, das nicht ignoriert werden sollte.

Expertin sieht gesellschaftliches und strukturelles Problem

Die Erschöpfung und Überforderung, die Mütter empfinden, ist kein individuelles Versagen. Es ist vielmehr ein gesellschaftliches und strukturelles Problem. Sonja Sidoroff ist deswegen überzeugt: „Hier sind Gesellschaft und Politik gefragt, nicht die einzelne Mutter, die ohnehin schon genug zu tragen hat. Was wir jedoch sofort tun können, ist, uns als Mütter gegenseitig mehr zu unterstützen. Wir sitzen alle im selben Boot, kennen die Herausforderungen der Mutterschaft und können oft spüren, wenn es einer anderen Mutter nicht gut geht.”

Statt „Mom Shaming“ zu betreiben, sollten wir uns offen über unsere Herausforderungen austauschen und füreinander da sein. Es liege an uns, die Stigmatisierung zu durchbrechen und uns gegenseitig den Raum zu geben, über unsere Erschöpfung und unsere Bedürfnisse zu sprechen.

Auch eine der Betroffenen meint: „Wir sind stark, denn obwohl uns diese Gedanken so oft plagen, würden wir ihnen niemals nachgehen. Wir müssen daran denken, dass es irgendwann besser wird. Wir schaffen das, wenn wir alle zusammenhalten und offen über solche Themen reden.”

Vielen Dank an unsere Expertin Sonja Sidoroff!

Sonja Sidoroff.

Sonja Sidoroff

Sonja Sidoroff ist Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (M.A.) und zertifizierte Inneres Kind Mentorin. Sie hat viele Jahre in einer Familienberatungsstelle gearbeitet und ist seit 2022 selbständig als Mama Coach. Außerdem ist die gebürtige Saarländerin selbst zweifache Mädchen-Mama. Ihr findet Sonja über ihre Webseite (sonja-sidoroff.de) oder ihr Instagram-Profil als der_mama_coach.

Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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