Nein, es fühlt sich gar nicht gut an, Kinder als Armutsrisiko zu betrachten. Mit Verlaub, es ist sogar ziemlich kacke, dass man sie nüchtern betrachtet immer noch so bezeichnen muss. Warum es aber leider so ist, zeigt jetzt einmal mehr eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Die große Überraschung bleibt dabei aus – was eigentlich noch erschreckender ist. Zeigen die Zahlen uns nicht immer wieder das Gleiche? Das muss sich ändern! Denn Kinder sind nicht nur ein Armutsrisiko — vor allem sind sie die am wenigsten erträglichen Opfer einer (nur bislang?) wenig familienfreundlichen Politik.
Alleinerziehende und ihre Kinder haben es besonders schwer
Auch das überrascht nicht wirklich: Laut der Studie sind vor allem Alleinerziehende trotz Arbeit auf Sozialleistungen angewiesen. Insgesamt beziehen rund 860.000 Menschen hierzulande Sozialleistungen zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit.
Unter den erwerbstätigen Alleinerziehenden bezieht jede*r Sechste zusätzlich SGB-II-Leistungen. „Alleinerziehende haben eine hohe Motivation, erwerbstätig zu sein. Doch für sie ist es besonders schwer, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Es ist erschreckend, dass ein so hoher Anteil der Alleinerziehenden trotz Arbeit auf Transferleistungen angewiesen ist, um das Existenzminimum für sich und ihre Kinder zu sichern“, sagt Anette Stein, Director des Programms Wirksame Bildungsinvestitionen bei der Bertelsmann-Stiftung.
Die Perspektive: von rosig keine Spur
Aber ob nun mit oder ohne Partner: Wer Kinder hat, ist eher in Gefahr, irgendwann aufstocken zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit steigt mit jedem Kind. Die Statistiken zeigen auch, dass aufstockende Paare mit Kindern eine wesentlich geringere Chance haben, aus dem Hartz-IV-Bezug wieder auszusteigen. Für sie erhöht sich stattdessen die Wahrscheinlichkeit, nach einem Jahr nur noch die Grundsicherung zu beziehen (19,4 Prozent vs. 1,3 Prozent kinderlose Paare). Der Aufstieg in die Erwerbstätigkeit ohne den ergänzenden Bezug von SGB-II-Leistungen gelingt unter den Paaren mit Kindern nur 17,2 Prozent. Bei den Kinderlosen sind es immerhin 30,3 Prozent.
Corona hat die Lage noch verschlimmert
Die Zahl der Aufstocker*innen hat sich seit 2019 verringert. Ein gutes Zeichen? Mitnichten. Zur gleichen Zeit hat sich die Zahl der reinen Hartz-IV-Empfänger*innen entsprechend erhöht. In vielen Dienstleistungsbereichen sind in dieser Zeit tausende von Jobs weggebrochen. „Zudem ist die Vereinbarkeit von Arbeit und Kinderbetreuung infolge der Corona-Auswirkungen zu einem noch größeren Problem für Alleinerziehende geworden. Daher ist davon auszugehen, dass viele von ihnen zugunsten der Care-Arbeit den Job aufgeben und komplett in den SGB II-Bezug wechseln mussten“, so Stein.
Das muss jetzt geschehen!
Die Initiatoren der Studie fürchten: Die von der Ampel-Koalition vorgeschlagene Anhebung der Minijob-Grenze auf 520 Euro könnte das Gegenteil vom Gewünschten bewirken. Gerade Frauen und Mütter könnten dann sogar vermehrt in der Minijobfalle hängen, mit besagtem Aufstocker-Risiko. Stattdessen schlagen sie eine grundlegende Reform des Minijobs, bzw. dessen Abschaffung vor. Lieber sollten untere Einkommen entlastet werden, so dass nicht gleich „bestraft“ wird, wer etwas mehr als den Mini-Lohn verdient. Bislang steigt die Belastung danach nämlich sprunghaft an: Kaum liegt der Verdienst über der Grenze, werden direkt rund zehn Prozent Sozialabgaben fällig.
Immerhin wurde nun im Koalitionsvertrag die von Sozialverbänden und Kinderschutzorganisationen seit Jahren geforderte Kindergrundsicherung vereinbart. Hier sollen alle finanziell und – ganz wichtig – endlich auch einfach (!) zu beantragenden Leistungen für Kinder gebündelt werden. Dazu zählen das bisherige SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie der Kinderzuschlag. Zusammensetzen soll sich die Kindergrundsicherung aus einer Fix-Summe sowie einem zusätzlichen Betrag, der abhängig vom Elterneinkommen gestaffelt wird.
Es wird spannend zu sehen, wie die Kindergrundsicherung konkret umgesetzt werden soll. Zu glauben, dass es irgendwann eine absolute Chancengleichheit für alle Kinder gibt, ist unrealistisch, aber: „Nötig ist eine Sozialgesetzgebung durch die allen Kindern und Jugendlichen mindestens durchschnittlich gute Möglichkeiten und Ressourcen des Aufwachsens zur Verfügung stehen“, kommentiert Dr. Sabine Andresen, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Uni Goethe, das Vorhaben der Bundesregierung.