Eines unserer größten Bedürfnisse als Eltern ist es, unsere Kinder zu beschützen. Das gilt ganz besonders für die Gefahr von Missbrauch oder Kindesentführung. Ab einem gewissen Punkt fragen sich deshalb viele Eltern: „Wie kann ich meinem Kind beibringen, nicht mit Fremden mitzugehen?“ oder „Wie spreche ich das Thema Missbrauch an, ohne meinem Kind unnötige Angst zu machen?“
Alexandra Schreiner-Hirsch vom Deutschen Kinderschutzbund Landesverband Bayern e.V. weiß: „Die meisten Missbrauchsfälle werden nicht von Fremden begangen, auch wenn diese in den Medien viel präsenter sind. Sie passieren zum Großteil innerhalb der Familie, werden von vertrauten Personen wie Eltern, TrainerInnen, Verwandten oder anderen, der Familie nahestehenden Personen begangen. Die Dunkelziffer ist hier sehr hoch. Unser Problem sind also in der Regel, wenn es um Gewalt geht, nicht in erster Linie die Fremden.“
Kinder von Geburt an stark machen
Kindern beizubringen, nicht mit Fremden mitzugehen ist also nur ein kleiner Teil der Herausforderung, unsere Kinder stark zu machen. Viel wichtiger ist es deshalb, unseren Kindern von Geburt an beizubringen, „Nein“ zu sagen, wenn jemand etwas mit ihnen macht, das sie nicht wollen – und dass wir selbst dieses Nein dann auch konsequent respektieren. Es darf dabei für die Kinder keine Rolle spielen, ob jemand aus der Familie oder eine fremde Person die Grenzen überschreitet.
Der beste Schutz, den Eltern ihren Kindern bieten können, ist also „ein autoritativer Erziehungsstil, der Kinder zu selbständigen, selbstbewussten und verantwortungsvollen Menschen erzieht, die emotional intelligent und sozial kompetent durchs Leben gehen“, so Alexandra Schreiner-Hirsch.
„Eltern, die ihre Kindern auf diese Art und Weise erziehen“, so Schreiner-Hirsch weiter, „können auch ganz sachlich mit ihren Kindern altersgerecht über Dinge sprechen, ohne ihnen Angst zu machen. Diese Eltern nehmen aber auch wahr, wenn trotzdem Ängste bei Kindern entstehen, respektieren diese, sprechen sie offen an und suchen gemeinsam mit den Kindern nach Lösungen, wie sie mit den Ängsten umgehen können.
Denn Gefühle sind Schutzfaktoren in unserem Leben. Angst hilft uns, vorsichtig zu sein. Es ist also gut, gesund und lebenswichtig in einem gesunden Maß ängstlich zu sein, denn dann bin ich vorsichtig.“
8 Ansätze, wie du dein Kind stark machen kannst
Doch wie erziehe ich mein Kind zu einer solchen starken Persönlichkeit? Alexandra Schreiner-Hirsch gibt hier acht erzieherische Ansätze, wie wir als Eltern unsere Kinder ins Leben begleiten und stark machen können.
-
Emotionale Intelligenz
Starke Eltern haben starke Kinder. Denn Kinder werden am ehesten zu emotional intelligenten und sozial kompetenten Menschen, wenn ihre Eltern ihnen diese Eigenschaften vorleben. Als Eltern müssen wir uns deshalb zu allererst bewusst fragen, wie wir unsere Kinder eigentlich erziehen möchten und was wir uns für ihre Persönlichkeit wünschen. Wer sich mit diesen Fragen aktiv und achtsam auseinandersetzt, hat den ersten Schritt schon getan.
Danach müssen wir uns jedoch auch unsere eigenen Prägungen, Ängste und Sorgen bewusst machen, die uns möglicherweise von unserer Wunscherziehung abhalten und einen empathischen Blick auf unsere Kinder erschweren.
-
Zuneigung und Vertrauen
Das Selbstwertgefühl unserer Kinder stärken wir am wirksamsten, indem wir ihnen mit und ohne Worte immer wieder das Gefühl vermitteln…
- „Du bist gewollt“
- „Du bist einzigartig“
- „Du kannst das“
- „Ich begleite Dich im Leben und bin für Dich da, wenn Du mich brauchst“
- „Ich traue Dir etwas zu“
- „Ich vertraue Dir“
- „Ich liebe dich, einfach weil es Dich gibt.“
-
Werte leben
Gemeinsame Werte innerhalb der Familie sind wichtig und schaffen Orientierung. Die Regel, dass Eltern UND Kinder Nein sagen dürfen, ist beispielsweise ein klares Signal, das Kindern dabei hilft, die eigenen Grenzen kennenzulernen.
-
Zeit und Anerkennung schenken
Kinder brauchen Aufmerksamkeit und Zuwendung. Eltern, die ihren Kindern ablenkungsfreie Zeit, Lob und Anerkennung schenken, investieren unmittelbar in ein gestärktes Selbstvertrauen und ein tiefes Vertrauen. So fällt es Kindern leichter, sich auch mit Ängsten und Sorgen an ihre Eltern zu wenden, denn sie wissen „Mama und Papa sind für mich da und hören mir zu.“
-
Gefühle benennen
Gemeinsam den Umgang mit Gefühlen zu lernen, also seinen Gefühlen zu trauen, sie ernst zu nehmen und Strategien zu haben, damit umzugehen, bereitet Kinder auch auf den Umgang mit unangenehmen Gefühlen wie Angst oder Scham vor.
-
Kooperation liebevoll gewinnen
Kinder wollen mit ihren Bezugspersonen kooperieren, einfach weil es ihre Natur ist. Das mag in der Trotzphase zugegebenermaßen anders erscheinen, es ist aber tief im Wesen jedes Kindes verankert. Uns Eltern stellt sich daher die Aufgabe, diese Kooperationsbereitschaft nicht durch körperliche Übergriffe, sondern auf liebevoll und klare Art und Weise und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse unserer Kinder zu wecken.
-
Grenzen setzen
Wie soll ein Kind persönliche Grenzen entdecken und zu setzen lernen, wenn es von seinen Eltern keine kennenlernt? Oder wenn seine Welt nur aus Grenzen besteht, die ihm von Erwachsenen unter Androhung von Strafe gesetzt werden?
Wir als Eltern müssen daher unter der Berücksichtigung aller Bedürfnisse liebevoll Grenzen setzen. Diese mutig auszutesten, gibt unseren Kindern Orientierung und Sicherheit. Sie lernen dabei, nicht nur fremde Grenzen, sondern auch ihre eigenen zu respektieren sowie Nein zu sagen, wenn diese überschritten werden.
Nur so kann ein Kind die Sicherheit entwickeln, in entscheidenden Situationen handeln zu können und zu dürfen.
-
Alltagsrituale
Rituale sind für unsere Kinder extrem wichtig. Sie schützen sie, indem sie ihnen Sicherheit und Orientierung bieten, aus denen sich wiederum Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit entwickeln. Das gilt auch für das Mitgehen mit anderen.
Damit Kindern lernen, mit wem sie mitgehen dürfen und mit wem nicht, ist also ebenso ein klares Verhalten von uns als Eltern gefragt. Wenn wir täglich spontan entscheiden, wer unser Kind irgendwo hinfährt oder abholt, ob es von befreundeten Eltern, der Tante oder dem Nachbarn mitgenommen wird, dann ist es auch für unser Kind schwer zu erkennen, wann es ok ist und wann nicht.
Alexandra Schreiner-Hirsch rät diesbezüglich: „Wir reden darüber, wer wann von wem wo abgeholt wird, so dass Kinder die Abläufe kennen. Wir besprechen, dass Ausnahmen immer vorher mit ihnen abgesprochen werden. Wir sagen ganz klar, dass es sich immer an die Absprachen zu halten hat, so wie wir Eltern das auch tun. Demnach darf es auch nicht einfach mit jemand Bekanntem oder Fremdem mitfahren, wenn es nicht vorher abgesprochen ist. Das bedeutet aber auch, dass wir als Eltern immer verlässlich sein müssen in unseren Absprachen.“
Mit starken Kindern offen sprechen
Mit einer Erziehungsbasis, die sich aus diesen acht Aspekten zusammenfügt, können Eltern je nach Alter ganz offen mit ihren Kindern darüber sprechen, wie sie sich im Ernstfall verhalten sollen. Dabei gilt vor allem, feste Regeln nicht nur für das Mitgehen mit Fremden, sondern auch mit bekannten Personen auszusprechen.
So eine Regel kann etwa lauten: „Du gehst bitte mit niemandem einfach mit. Wenn, dann fragst du mich vorher. Wenn Du mich nicht erreichst, kannst Du auch nicht mitgehen. Du nimmst keine Geschenke oder Süßigkeiten von Menschen an, die Du nicht kennst und wenn Du sie kennst, erzählst Du mir bitte davon.“
Um Kinder im Vorschulalter ganz konkret zu ermahnen, zum Beispiel auf dem späteren Schulweg nicht mit Fremden mitzugehen, schlägt Alexandra Schreiner-Hirsch ein Gespräch wie dieses vor:
„Es gibt böse Menschen, die es nicht gut mit dir meinen und möchten, dass du mit ihnen mitgehst. Vielleicht versprechen sie dir Süßigkeiten oder sagen, dass ich es erlaubt habe, oder dass sie dir etwas Tolles zeigen wollen. Du gehst aber bitte immer weiter, wenn jemand so etwas sagt. Du sagst ‚Lassen Sie mich in Ruhe’, ‚Gehen Sie weg’. Wenn sie mit dir mitgehen und dir ist nicht wohl dabei, läufst du schneller auf dem Bürgersteig davon und rufst laut um Hilfe.“
Dabei können wir als Eltern auch gemeinsam mit unseren Kindern überlegen, was sie machen können. Diese Beteiligung baut sie zusätzlich auf und macht sie stark für solche Situationen, die ihnen dann hoffentlich nie begegnen.
Als Fazit hat Alexandra Schreiner-Hirsch den folgenden Rat für alle Eltern:
„Wenn wir unsere Kinder mit der nötigen positiven Grundhaltung zu starken Menschen erziehen und wir offen und sachlich über Situationen, Strategien und Gefühle sprechen, dann werden sie wissen, was zu tun ist und können sich Hilfe holen. Denn eine Garantie, sie immer vor allem Bösen zu beschützen, gibt es leider nicht, so schwer das für uns Eltern auszuhalten ist.
Wichtig ist, dass wir unsere Ängste und die unserer Kinder ernst nehmen, ohne sie herunterzuspielen oder zu dramatisieren. Dann können wir ein selbstbestimmtes und weitestgehend angstfreies Leben führen. Wir haben dann unsere Ängste im Griff und nicht unsere Ängste uns.“
Weiterführende Informationen zum Thema:
Bücher für Kinder:
- Nein, mit Fremden geh ich nicht! Gebundenes Buch – 2. April 2012 von Veronica Ferres (Autor), Julia Ginsbach (Illustrator)
- So passiert mir nichts!: Geschichten, die Kinder stark machen Gebundenes Buch – 15. Februar 2016 von Dagmar Geisler (Autor, Illustrator), Elisabeth Zöller (Autor)
- Ich kenn dich nicht, ich geh nicht mit Gebundenes Buch – 6. Juni 2018 von Susa Apenrade (Autor), Barbara Korthues (Illustrator)
- Ich bin stark, ich sag laut Nein!: So werden Kinder selbstbewusst Gebundenes Buch – 1. Januar 2008
- Mein Körper gehört mir!: Schutz vor Missbrauch für Kinder ab 5 – 1. Januar 2011 von Pro Familia und Dagmar Geisler
Bücher für Eltern:
- Ängste machen Kinder stark (Mit Kindern leben) – 2. Januar 1999, von Jan-Uwe Rogge
- Familienteam – das Miteinander stärken – 19. September 2013, von Johanna Graf
Kurse und Beratungsstellen für Eltern:
- http://www.starkeeltern-starkekinder.de – Elternkurs „Starke Eltern, starke Kinder“ vom Kinderschutzbund. In diesen oder ähnlichen Kursen können Eltern ihre Erziehungskompetenz stärken.
- amyna.de, www.imma.de, www.kinderschutz.de – In regionalen Beratungsstellen wie diesen können sich Eltern bei Fachkräften auch präventiv informieren, wie sie Kinder vor Missbrauch und Gewalt schützen können oder wie sie Kindern helfen, die Gewalterfahrungen gemacht haben. Im Internet findest du auch Beratungsstellen in deiner Nähe.