Eine Trennung mit Kind ist immer herausfordernd. Viele Mütter kämpfen in solchen Situationen nicht nur mit emotionaler Belastung, sondern auch mit Gerichten, Behörden und manchmal sogar mit der Angst, ihr Kind zu verlieren. Besonders erschütternd: In den letzten Jahren häufen sich Fälle, in denen Mütter das Sorgerecht verlieren – obwohl sie glaubhaft machen konnten, dass der Ex-Partner gewalttätig war oder Kindesmissbrauch im Raum stand.
Nora trennt sich von ihrem Mann. Obwohl er sie geschlagen hat und die Kinder Angst vor ihm haben, erhält er das Sorgerecht. Es klingt nach einem traurigen Justizfehler, aber es ist gängige Praxis: Der Deutschlandfunk berichtet über Frauen, die Gerechtigkeit wollen, von ihren Männern verprügelt werden oder ihre Kinder vor Missbrauch schützen wollen. Doch vor Gericht passiert eine Täter-Opfer-Umkehr: Die Frauen selbst würden die Kinder mit ihren Anschuldigen gefährden.
Wie kann das sein?
Im Zentrum vieler dieser Entscheidungen steht ein Begriff, den du wahrscheinlich noch nie gehört hast: „Parental Alienation Syndrome“ (PAS) – auf Deutsch: Eltern-Kind-Entfremdung. Dahinter steckt die Annahme, dass ein Elternteil – meistens die Mutter – das Kind gezielt vom anderen Elternteil entfremdet. In Variation mit anderen Begriffen wird immer die gleiche Grundannahme ausgedrückt: Frauen erfinden Missbrauch und Gewalt, um dem Vater zu schaden und die Kinder von ihm zu „entfremden“.
PAS nie wissenschaftlich anerkannt
Der US-Psychologe Richard A. Gardner gilt als Erfinder von PAS. Gardner veröffentlichte aber auch pädosexuelle Aussagen wie: „Pädophilie kann das Überleben der menschlichen Spezies verbessern, indem sie Fortpflanzungszwecken dient.“
PAS wurde nie wissenschaftlich anerkannt, ist fachlich widerlegt und wurde 2023 sogar vom Bundesverfassungsgericht als „überkommen“ bezeichnet. Trotzdem beeinflusst es Entscheidungen in Familiengerichten – mit schweren Folgen für betroffene Mütter und Kinder.
Wer profitiert vom Mythos PAS?
Recherchen des Deutschlandfunks und des SWR zeigen:Rechte Netzwerke, radikale Väterrechtler und ultrakonservative Gruppen haben über Jahre hinweg daran gearbeitet, das Konzept von PAS in die Gerichtssäle zu bringen. Ihre Zielsetzung: Die traditionelle Familienordnung wiederherstellen, Mütter als Hauptbezugspersonen in Frage stellen – und Väterrechte durchsetzen, auch wenn Gewalt im Spiel ist.
Dabei tauchen immer wieder die gleichen Begriffe auf, die wie Waffen gegen Mütter und Kinder eingesetzt werden. „Entfremdung“, „Bindungsintoleranz“ oder „Parental-Alienation-Syndrom“ sind solche Kampfbegriffe selbsternannter Väterrechtler und erzkonservativer Juristinnen und Juristen, wie der Deutschlandfunk berichtet.
Das hat dramatische Folgen: Frauen verlieren das Sorgerecht, weil ihnen ohne stichhaltige Grundlage psychische Probleme unterstellt werden. Wer sich wehrt, riskiert, den Kontakt zum eigenen Kind ganz zu verlieren. Mütter werden in absurden Verfahren gezwungen, den Umgang mit gewalttätigen Ex-Partnern zuzulassen.
Bedürfnisse der Kinder werden oft übergangen
Besonders perfide: Viele dieser Gruppen behaupten, sich für Kinder einzusetzen. Tatsächlich aber werden die Bedürfnisse der Kinder oft übergangen – zugunsten eines umstrittenen Konzepts und der Interessen von Vätern, die in manchen Fällen nachweislich gewalttätig oder übergriffig waren.
Wenn Müttern nicht geglaubt wird – selbst dann nicht, wenn sie Gewalt dokumentieren können –, ist das nicht nur eine persönliche Tragödie. Es ist auch ein gesellschaftliches Versagen.
„Wie kann so etwas täglich vor unserer Nase passieren?”
Die UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, stellt den Familiengerichten in Deutschland und vielen anderen Ländern ein katastrophales Zeugnis aus: „Wie kann so etwas täglich vor unserer Nase passieren? Wie können Familiengerichte Schauplatz solch ungeheuerlicher Formen von Gewalt gegen Mütter und Kinder sein, und das völlig ungestraft“, wird sie vom Deutschlandfunk zitiert. Ihren Bericht stellte sie im Juni 2023 dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf vor.
Über 80 Staaten sowie die EU unterstützen Alsalems Bericht. Aus Deutschland kam dazu bisher wohl nichts.