RIP, Kindergrundsicherung – ein wütender Nachruf

Kommentar – Den 6. Juli 2024 werde ich mir als künftigen Gedenktag schwarz im Kalender anstreichen. Denn das ist der Tag, an dem die Kindergrundsicherung zu Grabe getragen wurde. An diesem Tag hat sich die Ampel-Koalition nämlich auf den neuen Haushalt für 2025 verständigt und das Budget dafür massiv zusammengestrichen. Im Großen und Ganzen kann man sagen: Gute Nacht, du ambitioniertes Reformprojekt. Was am Ende tatsächlich in den Portemonnaies der Familien landen wird, sind satte 5 Euro Erhöhung des Kindergeldes und des Kindersofortzuschlags pro Monat. In Worten: FÜNF Euro. Ich bin sprachlos.

Und frage mich, ob das alles wahr sein kann?

Aber von vorne. Überall las ich in den Medien dieser Tage die Nachricht:

“Mehr Geld für Familien: Kindergelderhöhung kommt 2025” – und dachte, hurra, da ist sie endlich, die lang ersehnte, viel diskutierte Kindergrundsicherung.

Aber von wegen. Als die Details dieser Meldung vor mir lagen, rieb ich mir die Augen: Wie jetzt – 5 Euro mehr Kindergeld und 5 Euro mehr Kindersofortzuschlag pro Monat ab 2025?

Sollte das ein Witz sein?

Das war doch ganz anders gedacht?! Ich kramte tief in meinem Gedächtnis. Bei Echte Mamas haben wir von Beginn an immer wieder über die Entwicklung des Projekts berichtet, seit der Begriff “Kindergrundsicherung” 2021 im Koalitionsvertrag auftauchte.

Klang vielversprechend, als Familienministerin Lisa Paus (Grüne) damals ankündigte, 12 Milliarden Euro pro Haushaltsjahr für diese familiäre Unterstützung einzukalkulieren.

Und wie sie davon sprach, dass mehr Familien von den Geldern profitieren sollten, indem man die bisherigen Sozialleistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag zusammenfasse und die Beantragung erleichtere.

“Bis zu 636 Euro im Monat” solle die maximal mögliche Summe für Familien betragen, ließ sie damals noch verlauten.

Aber das war dann wohl alles zu schön, um wahr zu sein.

Das Ganze zog sich ewig hin. Immer wieder gab es Diskussionen innerhalb der Ampel und Kritik seitens der Opposition an den Plänen.

Im Spätsommer 2023 sickerte durch, Finanzminister Christian Lindner (FDP) sei mit dem hohen, veranschlagten Budget sowieso nicht ganz d’accord, er sähe es eher so bei roundabout 2 Milliarden.

Nachtigall, ick hör dir trapsen, dachte ich allerspätestens in diesem Augenblick.

Dann kündigte Lisa Paus plötzlich an, für die neue, staatliche Infrastruktur der Kindergrundsicherung mindestens 5.000 neue Stellen schaffen zu müssen. Der anschließende Aufschrei hallt heute noch nach, im April 2024 rückte sie schließlich von diesem Vorhaben wieder ab.

Und die Nachtigall trapste inzwischen eher im Stampfschritt.

Nun hat sich die Ampel-Koalition also auf den Haushalt 2025 verständigt, und siehe da: Es sind immerhin 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung übrig geblieben. Immerhin – einer hat seinen Ankündigungen Taten folgen lassen – und das war leider nicht Lisa Paus.

Von diesen übrig gebliebenen 2,4 Milliarden möchte die Ampel Kitas finanziell unterstützen und Kindergeld sowie Kindersofortzuschlag aufbessern.

Für Familien am meisten ins Gewicht fällt da wohl noch die ebenfalls geplante Erhöhung des Kinderfreibetrags, die sich bei der Steuererklärung bemerkbar macht und von der eher die Besserverdiener profitieren. Das ist ja auch schön, aber das war doch nicht der ursprüngliche Sinn der Sache?!

Zudem stellt die Steuererklärung auch wieder eine der bürokratischen Hürden dar, was man – wenn mich nicht alles täuscht – in diesem Zusammenhang doch explizit vermeiden bzw. reduzieren wollte, um mehr Familien zu erreichen.

Übrigens – der Begriff “Kindergrundsicherung” fällt inzwischen schon gar nicht mehr, wenn die Regierung über das neue “Entlastungspaket für Familien und Kinder” spricht.

Ich weiß wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn ich im Kommentar der Süddeutschen Zeitung lese, die Kindergrundsicherung sei tot, und die einzige Frage bliebe, wer es Familienministerin Paus schonend beibrächte.

Sehr erhellend dazu auch der Kommentar von Karin Christmann im Tagesspiegel, der nochmal sehr schön zusammenfasst, wie wenig tragfähig das gesamte Konzept der Kindergrundsicherung ohnehin von Beginn an war. Bitter!

Unter dem Strich bleibt: Es wurde viel versprochen, und heraus kamen…Kleckerbeträge.

Natürlich war ich auch nie so naiv, je daran zu glauben, dass am Ende tatsächlich auch nur eine einzige bedürftige Familie diese fantastische “bis-zu“-Summe erhalten würde. Aber im Ernst – das soll’s jetzt gewesen sein? Vielleicht bin ich ein wenig pingelig, was das betrifft, aber zwischen “bis zu 636 Euro im Monat” und “5 Euro mehr Kindergeld und Kindersofortzuschlag als bisher” liegt für meine Begriffe doch ein himmelweiter Unterschied.

Betrachten wir noch mal die Zahlen:

  • Aktuell bekommen alle Familien 250 Euro Kindergeld pro Kind und Monat plus –  falls sie berechtigt sind – einen Kinderzuschlag von 292 Euro, in dem 20 Euro Kindersofortzuschlag enthalten sind. Macht maximal 542 Euro pro Monat und Kind.
  • In Zukunft erhalten Familien 255 Euro Kindergeld pro Kind und Monat plus – falls sie berechtigt sind – einen Kinderzuschlag, in dem dann 25 Euro Kindersofortzuschlag enthalten sind – macht also 552 Euro pro Monat und Kind.

Kleinere Kinder hätten in dem Fall mit der Kindergrundsicherung sogar das Nachsehen gehabt und weniger bekommen, denn für die Jüngeren waren ursprünglich „bis zu 530 Euro pro Monat“ vorgesehen. Aber ältere Kinder, deren Bedarf mit der Zeit wächst, hätten von den 636 Euro pro Monat deutlich stärker profitiert.

Alles in allem muss ich sagen, als treibende Kraft des Projekts wäre ich lieber im Boden versunken, als das magere Resultat der letzten Verhandlungen dann auch noch mit Zuversicht zu promoten (Zitat Paus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 7. Juli 2024: „Die jetzige Haushaltseinigung gibt Rückenwind für die Verhandlungen im Bundestag“).

Was denn für einen Rückenwind, frage ich mich? Das wird doch wohl eher ein laues Lüftchen bleiben.

Denn wie wahrscheinlich ist es, dass die Kindergrundsicherung wirklich nochmal einen großen Sprung nach vorn macht?

Die Koalition hat sich an an jenem 6. Juli 2024 auf den Haushalt 2025 verständigt, die Etats stehen, es geht jetzt nur noch um Details.

Ich frage mich, von welchem Spielraum Paus da noch ausgeht, wenn sie sagt der „Etat ihres Hauses werde weiter wachsen“. Wie groß können eventuelle Etatverschiebungen innerhalb ihres Ressorts ausfallen, um aus der Mini-Kindergrundsicherung noch eine spürbare, finanzielle Hilfe für Familien zu machen? Und wenn der Haushalt erstmal verabschiedet ist, ist der Rahmen für Anpassungen sowieso nur noch sehr eng gesteckt. Ich bin also gespannt.

Hinzu kommt – na, sowas: Nächstes Jahr ist doch glatt wieder Bundestagswahl!

Wer dann am Ruder sitzt, steht noch in den Sternen. Aber bestimmt wird die neue Regierung doch das alte Konzept der Kindergrundsicherung nahtlos wieder aufgreifen und weitertreiben, sicherlich auch mit viel mehr Budget… okay, wer’s glaubt, wird selig. Ich persönlich glaube, wir sehen an dieser Stelle eher eine Fortsetzung des Klassikers mit dem Titel “Nach uns die Sintflut”.

Fazit: Die Kindergrundsicherung ist tot. Möge sie in Frieden ruhen.

Möge die nachfolgende Regierung weniger versprechen und mehr halten, was eine ernstzunehmende, effektive und schnelle finanzielle Unterstützung für Familien betrifft.

Es wäre auch wünschenswert, wenn sie keine komplette Legislaturperiode lang benötigen würde, um sich auf irgendwas zu einigen und um dann am Ende solch monatliche Kleckerbeträge als Meilenstein im Kampf gegen Kinderarmut zu verkaufen.  Die noch nichtmal annähernd die Inflation abpuffern.

Ich stimme dem Sozialverband Deutschland zu, der die ganze Diskussion rund um die Kindergrundsicherung in seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2024 als “unwürdig” bezeichnet. Und finde: Es ist traurig, zu sehen, welch geringen Stellenwert der Kampf gegen Kinderarmut hierzulande ganz offensichtlich hat.

Ilona Utzig

Hey, mein Name ist Ilona, ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser. Am liebsten direkt in Skandinavien - denn dank eines sehr langen Skandinavistik-Studiums spreche ich fließend Schwedisch, habe sehr viel Zeit im hohen Norden verbracht und liebe diesen Landstrich. Bei Echte Mamas bin ich Senior SEO-Redakteurin. Nach langen Jahren als Finanz-Redakteurin liegen mir heute noch die Themen Vorsorge, Vereinbarkeit und Care-Arbeit ganz besonders am Herzen.

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