Als der kleine Antoine geboren wurde, kümmerte sich sein Vater alleine um ihn. Denn wenn das Baby weinend in der Krippe lag, war seine Mutter Marie Rabatel völlig überfordert. Heute spricht die Familie aus Frankreich offen über die Herausforderungen, die ihnen begegnet sind.
Plötzlich war ihr Kind da und Marie schaffte es nicht, eine Bindung aufzubauen.
Sie fühlte sich schuldig. „In den ersten Monaten hat sich mein Mann um unseren Sohn gekümmert, indem er die Rolle des Vaters und die der Mutter übernommen hat. Er hat den Kleinen gebadet und ist nachts aufgestanden ist, um ihn zu füttern”, erinnert sich Marie laut euronews.com.
Nur mit dieser massiven Entlastung war es der Mutter möglich, sich ihrem Sohn anzunähern und zu lernen, auf seine Bedürfnisse einzugehen. „An dem Tag, als er anfing, mich Mama zu nennen, habe ich verstanden, dass ich seine Mutter und keine Erzieherin war”, erinnert sie sich. Eine Bemerkung, die erahnen lässt, dass es sicherlich auch für Antoine nicht immer leicht war, mit einer Mama mit besonderen Bedürfnissen aufzuwachsen.
„Ich bin allein aufgewachsen”
Während seiner Kindheit ist Marie fünf Jahre lang in der Psychiatrie, er lebt bei den Großeltern. „Ich bin allein aufgewachsen”, sagt er rückblickend. Antoine hatte zum Glück einen Psychologen an seiner Seite, mit dem er über alles sprechen konnte, um zu verarbeiten, dass seine Mama nicht so für ihn da sein kann, wie es viele andere Mamas für ihre Kinder sind.
Der Sport habe ihm außerdem geholfen, Beziehungen zu seinen Mitschülern und Mitschülerinnen aufzubauen, sich anderen gegenüber zu öffnen, Freunde und Freundinnen zu finden. Seit seiner Kindheit war der heute 18-Jährige eine große Hilfe für seine Mama, er fungierte zum Beispiel als Vermittler zwischen ihr und seinen Lehrerinnen.
Er habe sich seine Mama nie anders gewünscht.
Er versteht Marie und weiß, wie er sie beruhigen kann. Für ihn ist seine Mutter nichts Außergewöhnliches: „Sie ist die einzige Muttervorstellung, die ich hatte, also ist sie für mich normal. Ich habe mich nie gefragt, ob sie eine Behinderung hat.” Auch für Marie steht fest: „Es ist das Umfeld, das einen dazu bringt, sich behindert zu fühlen.”
Marie wurde als Schülerin gemobbt, trotzdem hat sie ihre Kindheit als glücklich wahrgenommen. „Meine Schwester hat mir sehr geholfen, ich habe sie beim Zähneputzen oder beim Waschen nachgeahmt, sie war mein tägliches Vorbild”, erklärt sie dankbar. „Autismus macht uns zu guten Nachahmern.” Eine Fähigkeit, die ihr womöglich geholfen hat, mehrere Leichtathletikmeisterschaften zu gewinnen.
Neun von zehn Frauen werden Opfer von sexueller Gewalt
Marie wurde als Jugendliche vergewaltigt und leidet an einem posttraumatischen Stresssyndrom. Laut eines Berichts im Fachmagazin Frontiers in Behavioral Neuroscience sind neun von zehn autistischen Frauen in Frankreich Opfer sexueller Gewalt. Experten gehen davon aus, dass viele Täter Frauen mit Behinderungen als leichtes Opfer wahrnehmen, die sich nicht so gut wehren können.
Als sie heiratet und schwanger wird, sucht Marie sich Hilfe
Ihre Freunde und Familie reagieren positiv auf die Nachricht, dass Marie schwanger ist. Niemand habe ihr das Gefühl gegeben, dass sie es aufgrund der autistischen Störung nicht schaffen könnte. Doch Marie ist weitsichtig genug, um sich Hilfe zu suchen und Angebote zu nutzen. „Ich hatte den Mut, um Hilfe zu bitten, ohne befürchten zu müssen, dass mir mein Kind weggenommen wird, ich bekam regelmäßige Besuche vom Sozialamt und Termine beim Kinderarzt, und auch meine Familie und Freunde kamen sehr oft zu mir, um mir zu helfen.”
Heute erzählt Marie ihre Geschichte, um sich für andere Mütter mit Behinderungen stark zu machen und um das Thema sexuelle Gewalt an Frauen mit Behinderungen sichtbarer zu machen.
Mehr zum Thema Autismus findest du hier:
- Leben mit autistischem Kind: „Meine Tochter hat keinen Filter.”
- Mutter stillt 7-jährigen Sohn mit Autismus und wird gemobbt