Wusstet ihr schon, dass Kinder das Nervigste sind, das die Menschheit je hervorgebracht hat? Nein? Die letzten Tage konnte man es gefühlt überall im Netz lesen.
Mütter von Kindern, die schon „aus dem Gröbsten raus“ sind, teilten mit uns im Kolumnen-Format die bahnbrechende Erkenntnis, dass kleine Kinder – mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet – ja doch ganz schön nervig sein können und man das selbst beim eigenen Nachwuchs damals ja gar nicht so wahrgenommen hätte.
Ich fasse mal den Tenor zusammen:
- Angefangen bei der unfassbaren Neuigkeit, wie viel Lärm spielende Nachbarskinder doch verursachen können
- über nervige kleine Labertaschen beim morgendlichen Kita-Start
- bis hin zur Tatsache, dass es angeblich kaum was Schlimmeres auf der Welt gäbe, als dauernd selbstgekritzelte Kunstwerke von Kleinkindern geschenkt zu bekommen, die man selbstredend schon des öfteren ins Altpapier wandern ließ.
Schlussendlich wird sogar noch ein Kind gedisst, das für Mami Tulpen aus dem Vorgarten der Nachbarin klaut.
Und dann noch der Klassiker: Kinder im Flugzeug sind die nervige Pest auf zwei kleinen Beinchen.
Ach, echt?!? Das ist ja mal was ganz was Neues!
Klar, keiner hat Bock drauf, sich im Flieger von Hamburg nach Mallorca durchgehend Kleinkindgebrüll anzuhören. Aber wisst ihr was – auch Kleinkinder (und deren Eltern!) haben ein Recht auf Urlaub dort (verrückt!) und können ja schlecht mit dem Paddelboot hinpaddeln. Im Gegensatz zu den armen Eltern, denen während des Fluges keine ruhige Minute vergönnt ist, kann ich mir aber meine Ohrstöpsel in die Ohren packen und einfach die Augen schließen.
Ich frage mich: Wann ist es eigentlich in Mode gekommen, sich bei fremden Kindern über jeden Mist aufzuregen?
Liebe Genervten – ich geb euch an dieser Stelle mal einen guten Rat: Einfach mal durchatmen, lächeln und sich weiter um seinen eigenen Kram kümmern.
Ganz ehrlich – als gestandene Eltern wisst ihr doch ganz genau, wie stressig solche Situationen waren!
Mir persönlich ging es vor etwa 14 Jahren auch nicht anders. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie sehr mich beispielsweise Busfahren mit Kinderwagen aufgrund der genervten Blicke der Mitfahrenden gestresst hat. So sehr, dass ich die stattliche 8-Kilometer-Strecke von unserem Dorf in die nächste größere Stadt irgendwann lieber zu Fuß gelaufen bin, mangels Alternativen.
Und ihr erinnert euch doch sicher auch noch daran, wie dankbar ihr damals über jeden Erwachsenen in eurer Nähe wart, der nicht über eure Kinder gemotzt, sondern Verständnis oder sogar ein bisschen Mitgefühl gezeigt hat.
Und jetzt wechselt ihr die Seiten, nur, weil es euch nicht mehr betrifft?
Und gebt dann auch noch freimütig zu, dass ihr früher natürlich die Ersten wart, die Verständnis einforderten, wenn sie mit ihrer dicken Kinderwagenkarre die halbe Fahrt lang den ganzen Eingang in der Straßenbahn blockierten?!
Soll ich euch mal was sagen? Das finde ich ganz schön arm.
Ich erzähle euch jetzt mal eine kleine Geschichte aus meinem Leben, an die ich dabei sofort denken musste.
Vor drei Jahren saß ich auf einem Behandlungsstuhl und sollte eigentlich eine neue Zahnklammer bekommen. Stattdessen baute ich die Ärztin wieder auf, die mir mit Baby auf der Hüfte gegenüberstand und der Verzweiflung nah war.
Wir hatten Corona, ihre Kita war dicht, die Hälfte ihrer Angestellten krank und die Patienten nur am meckern. Wie man so schlecht organisiert sein und so ein plärrendes Blag mit in die Praxis nehmen könne.
Das sei ja unmöglich, unfassbar unprofessionell und Dies, Das, Ananas.
Was sie sich alles anhören musste (von männlichen wie weiblichen Patientinnen im Übrigen)! Mir klingelten die Ohren. Und nein, das waren keine Einzelfälle, das ging bei ihr schon seit Beginn der Pandemie so. Sie schüttete mir ihr Herz darüber aus, hatte Tränen in den Augen, die Verantwortung für ein mehrköpfiges Personal, Zukunftsangst und keine andere Wahl, als die Kleine mitzunehmen.
Ich nahm die süße Pausbacke auf den Arm und schuckelte sie drei Patiententermine lang durch die Praxis, damit Frau Doktor auch mal durchatmen und in Ruhe ihre Arbeit verrichten konnte. Heute erinnern wir uns beide mit einem Lächeln daran, sie hat gerade ihre dritte Filiale eröffnet, und ich würde niemand anderen mehr an meine Beißerchen lassen als diese tolle Dreifach-Mami, die sich tapfer durch die schwierige Zeit gekämpft hat.
Fazit: Ein bisschen Verständnis füreinander bringt uns alle sehr viel weiter.
Aber nein, es wird sich immer lieber aufgeregt.
Was mich daran so wütend macht? Ganz einfach: Diese ach so spaßigen, reichweitenstarken Frontalangriffe auf unseren Nachwuchs schaden uns als Gesellschaft. Nicht mehr und nicht weniger. Warum?
Zur Beantwortung dieser Frage empfehle ich als Lektüre das sehr erhellende Buch von Nathalie Klüver mit dem Titel „Deutschland, ein kinderfeindliches Land?“*, vielleicht öffnet euch das ein wenig die Augen.
Schönen Gruß von einer Mutter, deren Tochter auch schon lange aus dem Gröbsten raus ist und die trotzdem noch weiß, wie sich das anfühlt, wenn man sich im größten Stress von Wildfremden dumme Sprüche anhören und abfällige Blicke gefallen lassen darf.
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