„ ‚Da stimmt was nicht. Das Kleinhirn ist nicht darstellbar‘. Die Worte meines Frauenarztes hallten in meinem Kopf nach. Was? Was soll das heißen? Das war doch unser Wunschkind in meinem Bauch, so lange hatten wir darauf warten müssen.
Ich weiß nicht mehr, wie ich nach diesem Termin nach Hause gekommen bin. Mir liefen die ganze Zeit die Tränen über das Gesicht. Ich habe am Straßenrand angehalten, und meinen Mann angerufen um ihm davon zu erzählen.
Meine Welt brach zusammen“, erinnert sich Marie aus Regensburg, die uns ihre Geschichte erzählt hat. Aus dem Verdacht, dass etwas mit ihrem Baby nicht in Ordnung sein könnte, wurde die Gewissheit: Spina bifida – auch offener Rücken genannt. Eines von 1.000 Kindern in Mitteleuropa leidet an dieser Fehlbildung von Wirbelsäule und Rückenmark.
Vielleicht ist ja doch nichts …?
„Mein Gynäkologe vereinbarte sofort für den nächsten Morgen einen Termin bei einer Ultraschall-Spezialistin. Es war eine Katastrophe. Wir mussten Formulare ausfüllen, Fragen beantworten – und warten. Es herrschte unglaublicher Andrang, nach zwei Stunden kamen wir endlich dran.
Ich löcherte die Ärztin während der Untersuchung mit Fragen: „Was sehen Sie? Ist alles in Ordnung?“ Doch sie arbeitete sehr langsam und konzentriert, schwieg dabei. Es kam noch schlimmer: „Gehen Sie noch einen Kaffee trinken; ich kann nicht alles erkennen, vielleicht dreht sich das Kind noch.“ Im Café sprachen mein Mann und ich uns gut zu, klammerten uns an ein kleines Fünkchen Hoffnung: Vielleicht ist ja nichts, sie hätte doch was gesagt, wenn sie was erkannt hätte … Aber die Diagnose im anschließenden Ultraschall war eindeutig. Unser Kind hatte einen offenen Rücken. Neben der Form des Kleinhirns erkannte sie auch eine Blase, wo die Hirnhaut aus dem Rückenmarkskanal nach außen gedrückt wurde und die Nerven in einer Blase lagen. Die Sache war klar. Der Grad der Behinderung jedoch nicht. Das ließ sich erst nach der Geburt und im Lauf der ersten Lebensjahre unseres Kindes einschätzen.
‚Wie lange habe ich Zeit, das Kind nicht zu kriegen?‘, fragte ich. Das war aber nur eine Kurzschluss-Reaktion. Als wir eine Fruchtwasser-Untersuchung machten, hatte ich wahnsinnige Angst vor einer Fehlgeburt. Da wusste ich: Ich will dieses Kind, komme was wolle. So lange hatten wir es uns gewünscht, eine Familie zu werden!
Was bedeutet diese Diagnose für unser ungeborenes Kind? Und für uns?
Wir bekamen einen Termin in einer Kinderklinik mit einem Neurologen. „Ich werde sehr viel weinen während des Gesprächs“, warnte ich ihn vor. Er nahm sich Zeit für uns, erklärte langsam und verständlich, was auf uns zukommen könnte: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird unser Baby eine eingeschränkte Blasen- und Darmentleerung haben. Katheter und Darmspülungen würden Teil unseres Alltags sein. Unser Baby wird vermutlich Bewegungseinschränkungen haben, von Gehfehlern, die mit Einlagen und Orthesen behandelt werden können, bis zur Lähmung, was bedeuten würde, dass unser Kind an den Rollstuhl gefesselt wäre. Würde unser Kind frei herumtoben können? Möglicherweise hätte es auch einen Wasserkopf, mit der Gefahr einer geistigen Behinderung. Es müsste ein künstlicher Ablauf fürs Gehirnwasser gelegt werden. Dieser Shunt würde unser Kind sein Leben lang begleiten. Für mich eine Horrorvorstellung.
Als ein Orthopäde dazukam, sagte er: ‚Sind Sie die Familie mit der möglichen Spina Bifida? Mei, wissen Sie, andere kriegen ein gesundes Kind – und dann wird es ein Arschloch.‘ Wir mussten lachen.
Der Arzt machte uns klar: NIEMAND hat die Garantie auf ein gesundes Kind. Erst die Schwangerschaft, dann die Geburt und dann kommt das Leben: Es kann immer etwas passieren. Bei der Entbindung gibt es Komplikationen … das Kleinkind fährt mit dem Dreirad auf die Straße …. Und von jetzt auf gleich ist nichts mehr so, wie es mal war. Eine Krankheit oder Behinderung stellt das Leben der ganzen Familie auf den Kopf. Der Alltag dreht sich um Arzttermine und Prognosen. Viele können sich nicht darauf vorbereiten. Wir wussten früh, was kommen könnte, deshalb haben wir uns auch recht schnell beraten lassen, welche Hilfen und Absicherungen es gab – das kann man nur jedem raten.
Nach diesem Gespräch war ich ruhiger. Es konnte uns zwar keiner sagen, wie schwer die Behinderung unseres Babys sein würde. Aber wir kannten nun wenigstens die Bedeutung der Diagnose und konnten uns darüber austauschen, unsere Sorgen und Ängste teilen, Lösungen suchen.
Nach dem Kaiserschnitt durfte ich Karl nur kurz in den Armen halten
Eine natürliche Entbindung kam nicht in Frage: Unser Baby musste direkt nach der Geburt operiert werden, das stand fest. Nach dem Kaiserschnitt musste er sechs Stunden in den OP. Leider konnte ich nach dem Kaiserschnitt nicht aufstehen, um zu ihm auf die Intensivstation zu gehen. Ich schickte meinen Mann Thomas vor: Schau ihn dir an, wie sieht er aus, schlimm?
Später schoben die Schwestern mein Bett neben das Wärmebettchen, in dem Karl lag: Mit einer Sonde in der Nase, intubiert, auf dem Bauch liegend, die Windel verkehrt herum. Dieser Moment war das Schönste und das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte.
Nach zwei Tagen durfte ich mein Baby endlich halten. Nach drei Tagen fing ich an, ihn zu stillen. Eine Woche war er auf der Intensivstation, wir blieben bei ihm im Krankenhaus. Dank einer stationären Zusatzversicherung hatten wir ein Familienzimmer. Es war unser Rückzugsraum in dieser schweren Zeit. Eine weitere Woche später durften wir endlich nach Hause. Zu dritt. Mit Baby Karl. Mit unserem Kind, das einen offenen Rücken hatte, aber überglücklich.“
Unser Karl: ein kleiner Kämpfer!
Heute unterscheidet sich unser Alltag natürlich etwas von anderen Familien: Wir gehen öfter zu Fachärzten und haben mehr Vorsorge-Termine. Karl kann nicht zuverlässig oder in ausreichendem Maße in die Windel machen oder aufs Töpfchen gehen. Jeder Tag startet im Badezimmer, mit Kathetern und Abführmitteln, manchmal Darmspülung. Das war besonders in der ersten Zeit einfach schrecklich. Karl kennt es ja nicht anders, er macht das gut mit. Aber mir als Mama zerriss es damals das Herz.
Außerdem hat unser Kleiner Orthesen, das sind Schienen, die seine Füße und Beine stabilisieren. Er hat sie, seit er ein Jahr alt ist. Es gab deshalb viele Tränen, bei ihm und bei mir. Er wollte krabbeln, sich nach Spielsachen strecken, und die blöden Dinger hinderten ihn daran. Anfangs saß er weinend und verzweifelt herum. Ich konnte das kaum mitansehen. Karl trägt die Orthesen heute vor allem nachts. Bei Kindern, deren Spina bifida schwerer ist als bei ihm, gehören sie 23 Stunden am Tag dazu.
Mit etwa 20 Monaten fing er an, zu laufen. Das ist gar nicht so viel später als andere Kinder, die ja auch oft etwa 18 Monate dafür brauchen. Das macht uns echt stolz! Er geht etwas „knieschiebert“, wie wir in Bayern sagen. Es sieht ein wenig aus wie jemand, der es nicht gewöhnt ist, auf High Heels zu gehen: In der Fußsohle fehlt ihm die Stabilität, er zieht die Zehenspitzen an und steht dadurch nicht auf der gesamten Fußfläche. Aber er übt unermüdlich und hat viel Spaß daran, die Welt zu erobern.
Karlchen ist ein so toller Junge: Gerade entdeckt er das Fußballspielen, geht mit uns 1 ½ km spazieren und fährt Laufrad. Es geht so viel mehr, als wir je für möglich gehalten hätten! Ein Grund dafür ist auch, dass wir mit ihm 2x pro Woche zur Physiotherapie gehen und regelmäßig zur Kontrolle und Vorsorge ins Krankenhaus. Wir machen wirklich alles, damit Karl fitter wird und damit er möglichst viel so machen kann wie andere Kinder.
Er ist das Schönste was wir im Leben haben. Er macht unser Leben bunter und wir sind so ein tolles Team! Wir empfinden so viel Liebe, dass wir uns noch ein zweites Kind wünschen.
Wir hatten zum Glück rechtzeitig vorgesorgt – und sind gut abgesichert
Wie machen wir das finanziell, werden wir oft gefragt. Thomas hat sich zum Glück noch während der Schwangerschaft von Experten für Kinderkrankenversicherungen beraten lassen. So hat er rechtzeitig vor der Geburt eine private Pflegeversicherung abgeschlossen. Darin konnten wir Karl mitversichern. So erhält Karl jetzt 1.500 Euro Pflegerente jeden Monat – ein Leben lang. Ich kann zuhause bleiben, um mich um meinen Kleinen kümmern und muss nicht zwingend arbeiten. Für Osteopathie und andere ergänzende Heilverfahren kommt unsere ambulante Zusatzversicherung auf. So können wir uns, wenn es nötig werden sollte, sogar Extras wie LED-Reifen am Rollstuhl, damit er im Straßenverkehr gut gesehen wird, leisten. Dass wir uns rechtzeitig abgesichert haben, ist ein Segen!!! Das macht uns das Leben in mancherlei Hinsicht wirklich leichter.“
Wir wünschen der kleinen Familie alles Liebe auf ihrem weiteren Weg. Danke, dass ihr eure Geschichte mit uns geteilt habt!