TRIGGERWARNUNG
Dieser Text thematisiert Suizidgedanken und Suizid. Er behandelt also Inhalte, die einige Menschen beunruhigend oder verstörend finden könnten. Leidest du selbst unter solchen Gedanken? Du bist nicht allein! Hilfe und Beratung findest du z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Tylor Sutton hält seine beiden neugeborenen Kinder im Arm und ist dabei voller Trauer. Der Polizist aus Massachusetts ist nun für seine insgesamt drei Kinder allein verantwortlich, denn seine Frau hat neun Tage nach der Geburt der Zwillinge Selbstmord begangen. Sie litt an postpartalen Depressionen.
Ariana Sutton hatte schon 2018 eine schlimme Wochenbettdepression, nachdem sie ihr erstes Kind, ihre Tochter Melody, zur Welt gebracht hatte. Laut Tyler waren Arianas Symptome so schlimm, dass sie zweimal ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Deswegen war er besorgt, als sie beschließen, weitere Kinder zu bekommen. „Ich war sehr nervös“, erzählt Tyler TODAY.com in einem Interview. „Aber Mutter zu sein war für Ariana das Schönste auf der Welt. Und ich dachte, wenn ich gut aufpasse, wäre beim zweiten Mal alles in Ordnung.“
Die beiden waren nicht naiv, sie bereiteten sich gut vor.
Ariana ging wöchentlich zu einem Psychologen, und auch ihr Gynäkologe wusste, dass sie in der Vergangenheit an einer postpartalen Depression gelitten hatte. „Wir waren beide so aufgeregt, Zwillinge zu bekommen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich sie war“, sagt Tyler. „Es gab keine Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Keiner hatte eine Ahnung. Sie machte immer Witze über ihre geschwollenen Knöchel und dass sie es kaum erwarten konnte, eine große Tasse Kaffee zu trinken.“ Der Vater gesteht: „Ich hätte nie gedacht, dass das passieren könnte. Es kam so schnell und so plötzlich.“
Die Zwillinge Everly und Rowan wurden am 22. Mai mehrere Wochen zu früh geboren. Neun Tage später nahm sich die 36-jährige Ariana das Leben.
„Niemand konnte zu ihr durchdringen.”
Tyler sagt, Ariana sei am Boden zerstört gewesen, als ihre Babys auf die Neugeborenen-Intensivstation gebracht wurden. „Sie fing an, darüber zu reden, dass sie sie wieder in ihrem Bauch haben wollte. Ich dachte: ‚Schatz, es wird ihnen gut gehen. Sie kamen früh, aber sie sind gesund und sie haben ein tolles Team, das sie rund um die Uhr beobachtet‘“, erinnert sich Tyler. „Aber ich konnte nicht zu ihr durchdringen. Niemand konnte zu ihr durchdringen.“
Er erinnere sich an ein Gespräch, das er einmal mit Ariana führte, in dem sie die Depression als das Gefühl beschrieb, als hätte sich „eine kleine Person in ihrem Kopf eingenistet“. Diese kleine Person würde all die positiven Dinge übertönen, die andere zu ihr sagen würden. Und sie würde sie anschreien: „Du bist eine schlechte Mutter! Du machst deinen Job nicht! Das ist deine Schuld! Alles ist deine Schuld!”
Er fügt traurig hinzu: „Es war, als könnte sie nichts anderes als diese Stimme hören.“
Als Tyler am Todestag seiner Frau von der Arbeit nach Hause kommt, ist er zunächst erleichtert, dass seine Frau nicht mehr im Bett liegt. Er hält es für ein gutes Zeichen, dass sie schon aufgestanden ist, da ihr das durch ihre Depression besonders schwer gefallen ist. „Die schwerste Zeit für sie war der Morgen – da schmorte sie in ihren Gedanken. Im Laufe des Tages ging es ihr besser. Aber wenn es Nacht wurde, fürchtete sie sich davor, wieder einzuschlafen, weil sie es am nächsten Morgen nicht noch einmal durchmachen wollte“, erinnert er sich.
Doch Ariana ging es nicht besser. Sie pumpte Milch für ihre Babys ab, schrieb einen Abschiedsbrief an ihren Mann und nahm sich das Leben. „Aus ihrem Brief ging klar hervor, dass sie depressiv war. Sie sagte, sie fühle sich wie eine Last. Sie war alles andere als eine Belastung“, sagt ihr Mann. „Sie brauchte einfach etwas Hilfe. Ich wünschte, sie hätte einfach darauf gewartet, dass ich nach Hause komme, damit ich ihr hätte helfen können.“
Der Witwer möchte nun andere für das Thema Wochenbettdepression sensibilisieren.
Denn viele betroffenen Frauen schämen sich immer noch, darüber zu sprechen, dabei kann es jede Frau treffen. Als Ariana das erste Mal an einer postpartalen Depression erkrankt, fallen ihrem Mann zunächst ein übertriebenes Sauberkeitsverhalten und Ängste wegen des Leitungswassers auf. Ariana kontaktierte sogar die Behörden und war davon überzeugt, dass es verunreinigt sein könnte. Als ihr Mann versuchte, ihr zu helfen, brach die Mama weinend zusammen. Erst nach zwei stationären Krankenhausaufenthalten und mithilfe von Medikamenten geht es ihr besser und sie findet zu ihrem alten Selbst zurück.
Doch Ariana setzte ihre Antidepressiva ab, als sie mit den Zwillingen schwanger wurde. Tyler sagt, sie habe Angst gehabt, dass sie ihren Babys schaden würden. Laut Dr. Angela Bianco, Spezialistin für mütterlich-fetale Medizin am Mount Sinai Health System, besteht im Allgemeinen keine Notwendigkeit, Antidepressiva, einschließlich selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), während der Schwangerschaft abzusetzen. „Alle Daten, die wir zur Beratung von Patienten haben, sind sehr beruhigend“, sagte Bianco zuvor gegenüber TODAY.
Die Tatsache, dass Arianas Symptome bei den Zwillingen so schnell auftraten, könnte auf eine Wochenbettpsychose hinweisen.
Eine Krankheit, von der ein bis zwei von 1.000 frischgebackenen Müttern betroffen sind. „Es ist die Krankheit, die am häufigsten mit Selbstmord und Kindsmord in Verbindung gebracht wird“, sagt Rebecca Brent, klinische Psychologin beim Women’s Behavioral Health Program von Allegheny Health Networks.
Eine postpartale Psychose tritt typischerweise innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Geburt auf. Laut Brent wird es mit „bizarrem Denken, kognitiver Desorganisation, rasenden Gedanken und einem verminderten Schlafbedürfnis“ in Verbindung gebracht. Weitere Symptome können das Sehen oder Hören von Dingen sein, die nicht da sind, sowie Wahnvorstellungen oder falsche Überzeugungen.
„Eine Mutter könnte glauben, dass sie immer noch schwanger ist, obwohl die Geburt zwei Wochen her ist, und man kann sie nicht vom Gegenteil überzeugen“, erklärt Brent. Sie sagt außerdem, dass es sehr schwer sei, eine postpartale Psychose zu erkennen. „In einem Moment hört sie Dinge, und im nächsten Moment ist sie völlig klar“, fügt die Psychologin hinzu.
Ariana wurde am 6. Juni beerdigt.
Tyler sagt, er teile nun ihre Geschichte in der Hoffnung, dass die medizinische Fachwelt den Stimmungs- und Angststörungen nach der Geburt mehr Aufmerksamkeit schenkt. Er wünscht sich, dass Frauen zu Beginn ihrer Schwangerschaft grundsätzlich von ihrem Frauenarzt über postpartale Depressionen und ihre Symptome aufgeklärt werden. Während der Schwangerschaft sollte es am besten immer wieder Gespräche dazu geben.
Er und seine drei Kinder müssen nun einer Zukunft ohne ihren Lieblingsmenschen entgegensehen. „Sie war die perfekte Mutter”, sagt ihr Mann. Freunde haben inzwischen eine Gofundme-Spendenseite eingerichtet, um den alleinerziehenden Vater, die neugeborenen Zwillinge und ihre vierjährige Schwester finanziell zu unterstützen.
Wir wünschen der Familie ganz viel Kraft in dieser schweren Zeit.