Nadjas Verhältnis zu ihrer Mutter war schon immer schwierig. Denn statt Liebe und Unterstützung gab es oft nur Beleidigungen und gemeine Sprüche. Jetzt ist Nadja selbst Mama und war lange hin- und hergerissen, ob sie den Kontakt abbrechen kann, denn sie wollte ihrer Tochter nicht die Oma nehmen. Wie sie sich letztendlich entschieden hat und warum, hat sie uns erzählt:
„‘Das Band zwischen Mutter und Tochter ist eines, das für die Ewigkeit verbunden bleibt.‘ Ein schöner Spruch und in den meisten Fällen wohl auch wahr. Aber was, wenn dem nicht so ist? Wenn man keine tiefere Bindung zur eigenen Mutter hat und so gar nicht mit ihr auskommt?
Als meine eigene Tochter geboren wurde, wurde mit ihr mein inneres Kind (wieder-)geboren. Auf einmal war all die Sorge da, etwas falsch zu machen.
Denn 30 Jahre lang hatte ich verdrängt, dass ich selbst wohl nicht die schönste Kindheit hatte.
Klar war mir das schon länger bewusst, denn ich habe bei Freunden gesehen, dass es auch Eltern gibt, die ihre Kinder nicht klein reden. Von denen Sorgen und Ängste begleitet werden. Familien, in denen man „genug“ ist und nicht angestachelt wird, immer mehr zu tun. Weil das Zuhause mit Liebe erfüllt ist.
Aber mir ging es doch nicht schlecht… Ich hatte doch ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch. Anderen geht es da viel schlechter. Dieses Mantra wurde mir als Kind so oft vorgesagt und scheint bis heute jede Beleidigung, Stichelei und verbalen Angriff meiner Mutter zu rechtfertigen.
Denn Aussagen, die andere erschrecken, sind für mich normal.
Statt ein „Gut gemacht, ich bin stolz auf Dich!“ gab es in meiner Kindheit ein „Ich habe nichts Anderes erwartet!“. Anstelle von „Du siehst heute hübsch aus“ hörte ich ein „Gibt’s den Pulli auch in Deiner Größe?“. Nach einem Streit, egal, wer Schuld hatte, ignorierte mich meine Mutter manchmal tagelang oder ging einfach, ohne dass wir wussten, wann sie wiederkommt.
Oft habe ich ihre Art einfach über mich ergehen lassen, um den Frieden zu wahren,
Wieviel Schaden das verursacht hat, merke ich erst, seitdem ich selbst Mutter bin.
Denn ich habe eine panische Angst davor, dass meine Tochter keine schöne Kindheit hat, und irgendwann ein genauso gestörtes Verhältnis zu mir hat wie ich zu meiner Mutter. In meinen Augen ist meine Sorge berechtigt, denn auch, wenn ich jeden Tag hart daran arbeite, die Erziehungsmuster meiner Mutter nicht durchbrechen zu lassen, gelingt es mir nicht immer!
Da werde ich dann laut, wenn die Einschlafbegleitung wieder viel zu lange dauert, laufe ein bisschen langsamer und Augen rollend zu meiner Tochter, wenn sie wieder quengelig ist, oder frage meinen Mann vermeintlich scherzhaft, ob ihr dicker Popo denn noch in die Hose passt, die er ihr anziehen will.
Dabei möchte ich nicht so sein!
Ich weiß, wie weh solche Sätze und Taten tun, da ich sie selbst erlebt habe. Deshalb stehe ich auch seit der Geburt meiner Tochter meiner Mutter gegenüber mehr für mich ein.
Seit ich ihr offen sage, dass ihre Art und ihre Kommunikation mich verletzen, und ich das so nicht mehr tolerieren möchte, ist der Kontakt mehr oder weniger eingeschlafen. Meine Mutter hält meine Art für egoistisch, und sie möchte nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt bekommen. Deshalb war es ihr Wunsch, den Kontakt mit mir zu beschränken. Sie sagt, sie braucht ihre Kraft für sich und redet deshalb nicht mehr mit Menschen wie mir, die nur an sich denken.
Lange Zeit war ich hin- und hergerissen, ob ich den Kontakt wirklich abbrechen soll.
Auf der einen Seite kommen immer wieder solche Aussagen, die mich verletzen. Auf der anderen Seite wollte ich durch einen Kontaktabbruch meiner Tochter aber auch nicht die Oma „weggnehmen“.
Meine Kleine ist erst 9 Monate alt, und meine Eltern kommen wegen der Entfernung nur ein paar Mal im Jahr zu Besuch. Ich habe mich gefragt, ob ich während diesen wenigen Besuchen einfach ihre Art über mich ergehen lassen sollte. Meine Angst war, dass meine Tochter, wenn sie älter wird, und meine Mama nicht mehr da ist, mir den Vorwurf macht, dass sie ihre Oma nie kennenlernen durfte.
Allerdings gab es auch viele Punkte, die mich zweifeln ließen. Zum Beispiel hält meine Mutter nichts von bedürfnisorientierter Erziehung, kann deshalb auch unseren Umgang mit unserer Tochter nicht verstehen. Ihrer Meinung nach „diskutiert“ man nicht mit Kindern.
Außerdem war ich mir sicher, dass sie meinem Kind gegenüber Aussagen treffen würde, die ich nicht gut finde. Und ich sollte recht behalten!
Denn bereits jetzt fängt sie an, zu meiner Tochter so zu sein wie zu mir früher.
Sie nennt sie „Hexe“ und „Moppelchen“. Das mag meine Mutter lustig finden, aber ich möchte nicht, dass mein Kind mit einer so negativen Stigmatisierung aufwächst.
Nein! Ich möchte, dass sie weiß, wie toll, hübsch und klug sie ist! Dass sie weinen darf, wenn sie traurig ist, und sich auf der anderen Seite so laut freuen darf, dass die ganze Welt es hört. Ich möchte ihr vermitteln, dass sie geliebt wird und immer „genug“ sein wird. Ich möchte ihr all das geben, das ich nie hatte.
Deshalb habe ich mich entschieden: Ich werde dieses Mal keinen Schritt auf meine Mutter zugehen. Auch wenn sie krank ist und keine zehn Jahre mehr zu leben hat, werde ich dieses Mal nicht zu Kreuze kriechen, um Frieden zu haben, der gar kein wirklicher Frieden ist.“
Liebe Nadja, vielen Dank, dass wir deine Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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