Was habe ich mir über das Trockenwerden meiner Tochter den Kopf zerbrochen! Alles umsonst, wie sich herausstellte. Denn sie regelte das quasi ganz allein und ging in Windeseile selbständig auf die Toilette.
Die Erfolgsmomente der ersten erfolgreichen Toilettenbesuche hatten sich offenbar so in ihrem Gehirn festgeschrieben, dass keine weiteren Erklärungen oder Motivationen nötig waren. Sie brauchte keine Windel mehr und verlangte auch nie wieder danach.
Selbst nachts verzichtete sie schon nach kurzer Zeit darauf. „Unfallfrei“ sozusagen, denn sie hatte schon immer einen recht leichten Schlaf und meldete sich sehr zuverlässig, wenn sie nachts auf die Toilette musste.
Doch auch wenn es bei uns mit dem Windelabschied wie im Bilderbuch fluppte, lernte ich bald, wie wichtig es ist, sämtliche Toiletten der Stadt zu kennen.
Denn wenn meine Kleine mal musste, dann musste es schnell gehen! Sehr schnell!
Ich ging jetzt also zwar ohne Windeln aus dem Haus, aber nie ohne Feuchttücher, Desinfektionsspray und – für den Fall der Fälle – Wechselkleidung. Damit „bewaffnet“ besuchten wie innerhalb des ersten halben Jahres nach dem Trockenwerden die Toiletten sämtlicher Bäckereien, Spielwarenläden, Kinderkleidungsgeschäfte, Shoppingcenter, Eisdielen und Supermärkte – alles, was eben innerhalb von zwei bis drei Minuten erreichbar war.
Natürlich machten wir auch vor öffentlichen Grünflächen, Büschen und Sträuchern nicht halt – und wenn sie noch so klein waren. Gab es keine Toilette in unmittelbarer Umgebung, wurde eben die Natur gedüngt – wobei wir uns selbstverständlich auf Stellen beschränkten, an denen niemand spielen oder hindurchspazieren würde.
Wenn wir im Auto unterwegs waren und es nicht bis zum Zielort oder zur nächsten Raststätte reichte, fuhren wir eben kurzerhand bei der nächsten Ausfahrt ab und danach rechts ran, um einem nassen Autositz vorzubeugen.
In einem Superstau in den italienischen Alpen musste dazu sogar einmal eine Nothaltebucht herhalten, was wir natürlich nie machen würden, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Aber es gab keine und so musste eben die Nothaltebucht für eine Pipi-Minute herhalten, während der Verkehr links davon im Schneckentempo weiterkroch.
Als wir inmitten dieser Phase an einen ganz neuen Wohnort umzogen, lernten wir in der noch fremden Stadt als erstes die Toiletten in Gastronomie und Geschäften kennen. Und die Freundlichkeit der Mitarbeiter noch dazu, die uns nie abwiesen sondern immer gleich sehr freundlich zum Örtchen durchwinkten, egal, ob wir bei ihnen etwas kauften oder nicht.
Meine Tochter lernte auch die neuen Nachbarn früher kennen als ich. Als sie einmal mit ihrer neuen Tagesmutter spazieren war, musste sie so dringend, dass die Tagesmutter kurzerhand bei einer Familie klingelte, deren Kind sie ein Jahr zuvor betreut hatte und die direkt eine Straße entfernt wohnten. Als ich die Mutter einige Monate später das erste Mal selbst traf, hatten wir gleich ein Gesprächsthema: „Ja richtig, meine Tochter war ja schon einmal bei euch auf der Toilette!“
Vor allem aber schloss ich schon nach kurzer Zeit die hiesigen Busfahrer in mein Herz, die in zwei Fällen ohne mit der Wimper zu zucken einen Extrahalt einlegten, damit meine Tochter, die aufgrund akuten Pipidrangs schon wild auf ihrem Sitz hin- und herzappelte, an das nächste kleine Bäumchen pieseln konnte. Ein dritter Busfahrer ließ uns sogar, weil wir zufällig ohnehin bis zur Endhaltestelle fahren mussten, das dort befindliche Busfahrer-WC benutzen. Wir fühlten uns fast wie VIP-Passagiere!
Inzwischen kann meine Tochter schon recht lang anhalten, wenn sie mal muss, und so nehmen wir uns heute den Luxus, nur noch auf die schönsten Toiletten der Stadt zu gehen.
Auch die Busfahrer behelligen wir nicht mehr, sondern genießen während der Fahrt stattdessen entspannt den Ausblick auf Bäume und Wiesen, ohne gleich ans Pieseln denken zu müssen.