„Es war der Sommer 2000, ich hatte gerade eine meiner vielen Operationen hinter mir, da ich kurz vorher einen schweren Autounfall überlebt hatte. Es sah damals nicht gut aus. Die Ärzte glaubten zunächst, dass ich querschnittsgelähmt bleiben würde, doch ich kämpfte mich aus dem Rollstuhl.
In dieser schweren Zeit habe ich einen jungen Mann kennengelernt. Tja und wenig später wurde ich ungeplant, trotz Pille, schwanger. Für mich war klar: auch wenn ich diesen Mann noch nicht lange kenne, das Kind werde ich bekommen. Im Frühling 2001 nachts um 3 Uhr platzte meine Fruchtblase, also ab in die Klinik.
Da lag ich stundenlang.
Dann kam der Wehentropf und innerhalb von 30 Minuten war meine Tochter auf der Welt. So klein und zierlich, wie gemalt sah sie aus. Am ersten Tag war sie so ruhig, dass der frisch gebackene Vater den Arzt fragte, ob die Kleine was an den Stimmbändern hat, da sie so ruhig war. Der lachte nur. Tja, wenig später hörte man sie. Sie schrie – und wie laut. Sie wurde zum Schreikind. Sie wollte nicht liegen, nur im Arm sein. 12 Monate sollte das so gehen.
Mit 12 Wochen hatten wir den Tauftermin, an einem Sonntag.
Ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen. Ich legte meine Kleine in den Stubenwagen, ganz in meine Nähe, es war Samstag. Der Bruder von meinem Partner und seine Frau kamen und halfen, für die Taufe alles vorzubereiten. Plötzlich mitten in den Vorbereitungen war Stille und irgendwas sagte zu mir im Inneren: gehe zu deiner Tochter.
Da lag sie im Stubenwagen, sie war still, ihre Haut sah durchsichtig aus, ihre Augenlieder waren ganz bläulich, lila. Ich rief ihren Namen, strich fest über ihren Brustkorb, riss sie aus dem Stubenwagen und da schaute sie mich an. Aber es war Stille, komische Ruhe.
Wir sind dann sofort ins Krankenhaus gefahren mit ihr.
Sie hatte einige Untersuchungen und dann kam der Arzt und meinte: So wie die Sachlage ist, war dies ein Vorbote vom Säuglingstod. Man könnte aber nichts dagegen tun. Sie bekam dann eine Atemüberwachungsmatte. Ich habe mein Kind nicht mehr aus den Augen gelassen. Auch Sonntag waren wir alle noch sehr angespannt.
Ab Montag war mein Schreikind wieder zurück. Oh, war ich erleichtert, dieses Schreien wieder zu hören. Die Atemüberwachung ging dann noch zwei- bis dreimal an, aber es ist zum Glück nichts passiert. Mein Schreikind schrie die ersten 12 Monate fast durch, doch sie entwickelte sich prächtig.
Als sie 12 Monate war, hat sich ungeplant ihr kleiner Bruder angemeldet.
Sie war 20 Monate auf den Tag, als ihr Bruder zur Welt kam, auch an einem Donnerstag. Die zwei wuchsen toll miteinander auf. Mein Sohn hatte keinen Vorboten zum Säuglingstod. Zum Glück. Bei ihm haben wir gleich die Matte hineingelegt.
Doch als er zwei Jahre alt war, wurde er beim Spielen plötzlich schneeweiß, riss den Mund auf und fiel einfach um. Atemstillstand. Meine Kleine hielt sich die Ohren zu, mein Freund schrie vor Schock und ich rief den Notruf. Zum Glück hielt dies nur Sekunden an. Aber Sekunden der Angst. Im Krankenhaus fanden sie bei ihm auch nichts. Diese Anfälle bekam er immer wieder, es war Horror.
Jeder, der das miterlebte, erlitt einen Schock.
Wir liefen die ersten Monate wie in Trance herum, aber gewöhnten uns daran. Diese Anfälle kamen plötzlich und unvorhersehbar. Der Kardiologe fand etwas an seinem Herzen auffällig, aber sicher erkennen könne er es nur, wenn mein Sohn bei einem Anfall am EKG angeschlossen wäre. Doch die Anfälle kamen immer woanders, nur nicht beim Arzt. Wir lebten damit. Im Grundschulalter war es plötzlich weg. Doch dafür stellten wir dann bei meiner Großen erste Defizite fest.
Als sie eingeschult werden sollte, sprach sie noch immer im Drei-Wort-Satz. Wir gingen dann zu Ärzten, Unikliniken. Sie litt unter auditiven und visuellen Wahrnehmungsstörungen, außerdem wurde eine Sprachproblematik festgestellt. Die Ärzte meinten, es könnte von einem Sauerstoffmangel kommen, den sie damals bei dem Vorfall erlitten haben könnte. Sie kam in die Sprachheilschule.
Oh, es war hart.
Als wir andere Kinder aus dem Kindergarten im Schwimmbad trafen, sagte sie: ‚Ah, da kommt die Dummen!‘ Oh nein, mein Kind war nicht dumm. Wir werden es euch allen beweisen. Und das tat sie. Nach 4 Jahren konnte sie auf die Werksrealschule. Sie lernte in der Sprachheilschule, wie sie lernen musste. Sie war oder ist es immer noch sehr ehrgeizig, lernte.
Nach der Schule meinte sie, sie geht nun auf die weiterführende Schule. Eine Fachkraft der Werkrealschule machte sich darüber lustig und meinte, das packt sie doch nie. Wenn sie das schaffen würde, dann würde er einen Tag lang mit Frauenkleidern herumlaufen. Wow, dachte ich, wie kann man so denken. Man sollte an Kinder glauben, sie unterstützen mit Liebe. Sie da unterstützen und abholen, wo sie stehen.
Und was soll ich euch sagen: Meine tolle Tochter schaffte die Schule ohne Probleme.
Tja und der Herr lief nicht mit Frauenkleidern herum. Man sah ihn nicht wieder. Nach ihrem Abschluss hat sie eine Ausbildung als Medizinische Fachangestellte gemacht. Ihr Chef war einfach spitze, er traute ihr alles zu, zeigte es ihr. Sie war ein Ass in ihrem Beruf. Und sie hat mit einer 1,5 die Prüfung abgeschlossen – und das ohne Berücksichtigung.
Ich hatte ihrer Klassenlehrerin von ihrer Problematik erzählt, da kann man eine andere Bewertung bekommen. Aber die Lehrerin meinte zu mir: ‚Ihre Tochter ist so gut und die Klassenbeste, würden wir das tun, hätte sie überall eine glatte 1+ .‘ Ich war so stolz. Leider ist ihr Chef dann verstorben. Aber nach ihr haben so viele die Hände ausgestreckt, sie hat sich aussuchen können, wo sie hin möchte.
Auch heute noch kommen Angebote.
Patienten von der Praxis vermissen sie. Sie wird immer noch überall angesprochen von ihnen. Sie hat sich entschieden, ins Krankenhaus in die Notaufnahme zu gehen. Arbeitet dort, macht Fortbildungen, weitere Schulungen. Patienten kommen auch da und bringen ihr Blumen, Pralinen und bedanken sich. Sie überlegt nun sogar, noch weiterzumachen und Medizin zu studieren.
Ich bin mega stolz auf sie und sage immer: seht ihr, wenn man an sich und sein Kind glaubt, ist alles möglich. Und wenn ich die Kinder von damals im Kindergarten sehe, die sie dumm nannten, schmunzele ich und denke, ‚Na seht ihr, meine dumme Tochter, sie hat es weitergeschafft als ihr.‘ Ich bin mächtig stolz darüber. Man sollte nie ein Kind verurteilen und nicht fördern. Denn auch nach einem schlimmen Schicksalsschlag kann man noch hervorragend werden.
Als meine zwei noch klein waren, trennte ich mich vom Vater der Kinder und lernte meinen jetzigen Mann kennen.
Wir bekamen noch ein gemeinsames Kind, wieder ein Mädchen. Sie kam per Notkaiserschnitt, da es mir nicht gut ging, aber sie war kerngesund. Und hatte zwei große Geschwister von 9 und 10 Jahren. Auch sie bekam sofort die Atemüberwachungsmatte hineingelegt, zur Sicherheit. Alles war gut, noch.
Mit mit sieben Monaten meinte der Arzt bei der u5: ‚Jetzt kommen die Ferien, sie wird bestimmt anfangen, sich zu drehen. Sie hat zwei große Geschwister, da geht es nun rund in den Ferien.” Und dann bekam Sie noch zwei Impfungen. Wir sind dann in den Urlaub an den Brombachsee gefahren, der ist ca. 200 km weg. Oma, Opa und ihre Tante wollten uns Sonntags dort besuchen. Dann der Schock: Von Samstag auf Sonntag ging plötzlich der Alarm der Atemüberwachsungsmatte an.
Wir sind sofort aus dem Bett gesprungen, voller Angst.
Mein Mann rannte los, riss die Kleine aus dem Bett und rüttelte sie. Es sollte zweimal in der Nacht passieren. Im Krankenhaus hieß es, alles OK. Es wird ein Vorbote vom Säuglingstod gewesen sein, da könnte man nichts machen. Aber wir hatten seit dem Tag ein anderes Kind. Sie lag nur noch da, wie ein Kartoffelsack. Ich rief beim Kinderarzt an immer wieder, ich wurde immer vertröstet, bei der U5 war alles super, ich soll mir keinen Kopf machen.
Tja und dann hat er die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als er sie sah. Wir mussten ins Sozialpädiatrische Zentum, zum Zentralinstitut usw. Es war offiziell: Wir hatten nun ein behindertes Kind. Sie lag an ihrem ersten Geburtstag noch immer nur auf der rechten Seite. Sie musste sitzen , stehen, laufen lernen. Sie trägt jetzt mit 13 Jahren noch Windeln, kann nicht sprechen. Aber auch sie macht so tolle Fortschritte mit Unterstützung und lernt immer mehr. Und auch auf sie sind wir stolz.
Ich bin auf alle meine 3 Kinder so stolz und sie sind wunderbare Kinder.”
Vielen Dank, liebe Mama (Name ist der Redaktion bekannt), dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]
Auch meine Hochachtung vor der Leistung der Mutter! Ich wollte nur ergänzend fragen/anregen ob eine genetische Testung bezüglich Kanalopathien des Herzens erfolgt ist? Da mutmaßlich alle Kinder betroffen sind ist eine genetische Ursache wahrscheinlich. Als die Kinder Babies waren hat man das sicher nicht gemacht, aber in den letzten Jahren hat es diesbezüglich medizinischen Fortschritt gegeben. Wäre vielleicht wichtig wenn die Kinder nun selbst Kinder bekommen…
Hallo liebe Verena,
danke für deinen Kommentar!
Dass der Satz mit den Impfungen gefettet ist, ist reiner Zufall. Damit machen wir nur den Text etwas angenehmer zu lesen. Tatsächlich sind wir auch Befürworter der STIKO-empfohlenen Impfungen.
Den Punkt mit den Schütteltrauma kann ich dir leider nicht beantworten, das kann abschließend nur die Mama selbst. Ich mir aber Fast sicher, dass die Ärzte diesen Punkt beim Durchchecjken des Kindes sicher untersucht haben.
Trotzdem hast du recht und man kann es nicht oft genug sagen: Ein Baby darf natürlich niemals geschüttelt werden!
Herzliche Grüße,
Laura von Echte Mamas
Wow. Die Geschichte geht sehr unter die Haut. Meine grosse Anerkennung für die Leistung und Stärke der Mutter.
Ich war nicht dabei und kenne keine Details. Wenn ich das lese, stellen sich mir folgende Fragen: Warum sind die Impfungen Fett vorgehoben? Soll hier eine Bedeutung für den danach folgenden Zwischenfall suggeriert werden? Gibt es dafür medizinische Hinweise?
Zudem kommt dann die Beschreibung „…riss die Kleine aus dem Bett und rüttelte sie.“ Das ganze sogar zweimal. Es wäre zwar eine schreckliche Vorstellung für die Eltern, da das Rütteln mit besten Absichten geschah. Und doch frage ich mich basierend auf der beschriebenen Situation, ob ein Schütteltrauma ausgeschlossen wurde? Besonders liegt mir der Hinweis für andere Eltern am Herzen: Ein Baby sollte unter KEINEN Umständen geschüttelt werden!
Ich habe beim Lesen Gänsehaut bekommen. Meine allergrößten Respekt vor so viel positiver Energie trotz all dieser Schicksalsschläge. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute. 🍀