Ich habe vor zweieinhalb Jahren ein Baby bekommen – als so ziemlich die erste in meinem Freundeskreis. Mehr als ein Jahrzehnt davor hab ich mich als Au-Pair ein Jahr um 3-jährige Zwillinge und ein Neugeborenes gekümmert. Ich dachte, ein eigenes Baby? Kein Problem für mich. Schließlich hab‘ ich Erfahrung. Mann, hatte ich keine Ahnung. Keine Ahnung, dass jedes Kind anders ist. Dass es 1000 Dinge, Krankheiten, Schübe gibt, von denen ich noch nie gehört hatte.
Und genau deshalb sind Mama-Gruppen auf Facebook so ein Segen. Alle 57.000 Mamas in unserer geschlossenen Echte Mamas Facebook-Gruppe sitzen im gleichen Boot. Wir alle haben die gleichen Probleme – die Kinder schlafen nicht, Stillen ist schwierig, und woher weiß ich nochmal, wann ich mit Beikost anfangen sollte? Dabei ist es völlig egal, ob eine Mama arm oder reich ist, auf dem Land oder in der Stadt lebt – wir ALLE haben die gleichen Fragen.
Deshalb kann ich auch nicht verstehen, wieso es manchmal so hoch hergehen muss in den Diskussionen in der Mama-Gruppe. Wir haben acht Admins, die täglich ihr Bestes geben, um die Diskussionen in Schach zu halten, und Mamas virtuell auseinander zu halten, die ebenso virtuell aufeinander einprügeln. Viele sagen, schmeißt die doch einfach raus, die immer stören. Ist nicht so einfach, weil es hunderttausende Kommentare, in unserem Fall etwa eine Million, pro Monat sind. Und der Facebook-Algorhythmus dafür sorgt, dass jeder zu anderen Zeiten die Beiträge sieht.
Es gibt Themen, die können wir schon nicht mehr freigeben, weil nach zwei Sekunden das gif vom Popcorn-essenden Michael Jackson aus dem Thriller-Video auftaucht. Impfen gehört dazu, Stillen, und seltsamerweise auch Kindersitze.
Aber warum drehen manche Menschen verbal so durch, fühlen sich derartig auf den Fuß getreten? Dass normale, nette Mamas, deren Facebookprofile voll von liebevollen Visual Statement-Sprüchen und verträumten Mama-Baby-Bildern sind, sich in virtuelle Giftschleudern verwandeln?
Ich glaube, es liegt daran:
1. Es ist social media, dass heißt, alles passiert schnell und in Echtzeit. Niemand hat Zeit, Antworten in Konjunktiv-Watte zu packen. Im Gegenteil, die meisten Menschen haben noch nicht einmal Zeit für Groß- und Kleinschreibung oder Kommasetzung. Wenn man aber seine Antwort in ein „ich würde vielleicht versuchen…“ statt in „mach doch einfach…“ packen würde, würde es beim Gegenüber vielleicht auch nicht so harsch ankommen.
2. Es fehlt eine Rückmeldung. Jetzt nicht im Kommentar-Sinne, denn diskutierfreudig sind alle Mamas. Sondern man sieht das Gesicht, die Stimme, das Augenrollen oder Seufzen vom Gegenüber nicht. Nichts, was einem einen Hinweis geben würde, dass man mal besser zurückrudern sollte.
3. Es gibt einfach auch ein paar faule Eier im Korb. Die einfach Lust haben auf Stress, und das Drama genießen, es als ihr abendliches Unterhaltungsprogramm ansehen.
4. Ganz, ganz viele Mamas antworten nicht auf die Frage, sondern wollen nur ihre Überzeugung loswerden. Dabei ist das allerwichtigste, online oder offline: Respektieren, nicht missionieren.
Ich kann euch ein gutes Beispiel geben. Irgendwann gab es die Frage, ab wann die anderen Mamas denn das erste Mal ihren Kindern Kakao gegeben haben. Ich erinnere mich so genau, weil es nämlich meine Schwägerin war, die darunter eine Antwort gab.
Sie achtet auf gesunde Ernährung bei ihrem Kind, aber nicht überstreng. Sie ist auch sonst eine echt coole, patente Mama, die ich immer bewundere, wie sie auf alle üblichen Kleinkind-Dramen ihrer Tochter reagiert.
Und was schreibt sie darunter? „Mensch, gebt doch euren Kindern lieber Obst und Gemüse. Muss denn Milch nach etwas schmecken?“ An dieser Stelle drängt sich mir immer noch das Facepalm-Emoji auf. WTF? Ich kenne dich doch, dachte ich, und ich weiß, dass dein Kind Kakao trinkt. Und ja, sie hat recht, Milch muss nicht Kakao schmecken. Aber warum hat sie nicht geschrieben: „Wir wollten unser Kind auch so lange wie möglich davon fernhalten, aber beim letzten Kitafest war es dann vorbei. Da war er drei.“ Oder so etwas ähnliches. Wisst ihr, was ich meine? Frage beantwortet, und Meinung vorsichtig eingewebt, dass man es lieber noch länger hinausgezögert hätte, weil man findet, dass es nicht sein muss. Ohne jemand sofort zu unterstellen, dass man eine schlechte Mutter ist, weil man offensichtlich nicht sieht, dass Kakao süßer Dreck ist.
5. Was mich zu Punkt 5 bringt: Das Mamasein ist ein emotionales, extrem sensibles Thema. Es gibt 57.000 Mamas in der Gruppe, also auch 57.000 Wege, sein Kind zu erziehen. Und wenn jemand sein Kind nicht grob vernachlässigt, gibt es auch keinen Grund, einer Mama ein schlechtes Gewissen zu machen für ihre Entscheidungen. Infos anbieten, ja, aber nicht missionieren!
Denn genau das ist das wunderbare an Facebook-Gruppen. Ohne sie hätte ich nie erfahren, dass es so etwas wie Baby-led-weaning gibt. Die Versicherung bekommen, dass alles, alles, was sich im Moment so schrecklich anfühlt, nur eine Phase ist, die alle anderen auch durchhaben. Dass es auch andere Kinder gibt, die mit zwei Jahren noch eine Flasche wollen. Und und und.
Das Problem ist, wir sind alle überinformiert und haben doch keine Ahnung. Wir haben so eine Sehnsucht nach authentischen Antworten und Erfahrungen. Nach der Versicherung, dass alles gut wird, von anderen Mamas. Bitte, lasst uns uns gegenseitig helfen. Manchmal bekommen wir Nachrichten von Mamas, die in der Gruppe ihre besten Freundinnen gefunden habe, wir waren in Echtzeit bei Geburten dabei, haben bei Frühchen mitgezittert, und gemeinsam getrauert, wenn ein Baby zum Sternchen wurde.
Heute habe ich gelesen, dass eine Mama traurig war, dass niemand an sie denkt an ihrem Geburtstag, und 500 Mamas haben ihr gratuliert. Das Mama-sein ist hart, und gleichzeitig das allergrößte Geschenk. Wie viel toller könnte es noch sein, wenn wir alle zusammenhielten!