„Ich habe neulich im Radio gehört, dass viele Menschen unterschätzen, wie wichtig Freundschaften sind. Der Mensch ist eben durch und durch ein soziales Wesen, er braucht Freunde zum Glücklichsein. Das hat mich dazu gebracht, über meine eigenen Freundschaften nachzudenken und darüber, wie sehr sie sich verändert haben, seitdem ich Mutter bin.
Ich hoffe, dass jede von behaupten kann, dass sie früher diese eine beste Freundin hatte, der wir alles erzählen konnte, die uns die Haare gehalten hat nach einer durchfeierten Nacht. Eine, die an unseren Lippen hing, als wir ihr in aller Ausführlichkeit zum zehnten Mal von unserem letzten Date erzählten, um jedes Wort gemeinsam zu analysieren. Ich hatte richtig viel Glück, denn ich hatte sogar zwei solcher Freundinnen in meinem Leben. Ich nenne sie hier Anna und Luisa.
Im Abi waren wir unzertrennlich und auch danach hatten wir immer viel Kontakt.
Wir waren zwar alle drei sehr unterschiedlich, aber wir konnten immer über alles sprechen. Ich weiß noch genau, wie ich den beiden von meiner Schwangerschaft erzählt habe. Wir mussten alle drei weinen: Unser erstes Baby! Ich stellte mir das alles ungefähr so vor: Mein Baby kommt zur Welt und wir Freundinnen machen alles so weiter wie vorher – bis auf die Tatsache, dass ich fortan immer ein kleines niedliches Wesen dabei hätte.
Ihr müsst an dieser Stelle schon grinsen? Verständlich, ich schüttele heute selbst den Kopf darüber, wie naiv ich war. Doch mit dieser Haltung ging ich die Schwangerschaft an. Ich legte sehr viel Wert darauf, weiter zum Sport zu gehen, meine Freundinnen zu treffen und auch bei der einen oder anderen Party noch dabei zu sein.
Ich hatte damals eine sehr unkomplizierte erste Schwangerschaft.
Seit meiner zweiten Schwangerschaft mit üblen Symphysenschmerzen und Schwangerschaftsdiabetes weiß ich, wie viel Glück ich mit der ersten hatte. Damals war ich aber überzeugt, dass das meiner ‚total lockeren‘ Einstellung zum Kinderkriegen zu verdanken wäre und das habe ich peinlicherweise auch überall kundgetan. Wenn ich daran denke, werde ich heute noch ein bisschen rot.
Und dann kam mein Baby zur Welt und alles war ganz anders als ich mir das vorgestellt hatte. Ich war total verliebt in unseren Sohn, aber trotzdem mit den Nerven am Ende. Die Hormonumstellung hat mich total fertig gemacht und ich war nicht darauf vorbereitet, dass mich die Geburtsverletzungen noch wochenlang beschäftigen würden. Aber am schlimmsten war der Schlafmangel. Mein Sohn hat das ganze erste Jahr sehr schlecht geschlafen und auch tagsüber viel geweint – ich war entsprechend ein richtiger ‚Mombie‘.
Ungefähr vier Wochen lang war überhaupt nicht daran zu denken, dass ich Freunde zu uns einlud.
Mal davon abgesehen, dass ich die ersten Wochen Panik bekam, wenn andere unser Kind anfassen wollten, hatte ich auch einfach null Kapazitäten, um Menschen zu bewirten oder mal aufzuräumen. Bei meinen beiden besten Freundinnen meldete ich mich ab und zu mit kleinen Fotos und Nachrichten in unserer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe, aber das war es auch schon.
Doch nach einem Monat war ich bereit, die beiden sollten mein kleines Baby endlich kennenlernen. Ich war voller Vorfreude und dachte nicht daran, dass zwischen uns etwas anders sein könnte. Dabei gab es rückblickend betrachtet ein paar kleine Vorzeichen, dass unsere Zeit als perfektes Trio zu Ende war.
Während Anna fragte, ob sie vorher für mich noch in den Supermarkt fahren sollte, da ich mit Baby sicher nicht zum Einkaufen käme, schrieb mir Luisa vorher eine Nachricht, in der sie mich fragte, ob wir unser Treffen nicht spontan in die Innenstadt verlegen möchten. Das Wetter wäre doch so schön, sie hätte Lust auf Shoppen.
Shoppen mit einem vierwöchigen Baby, das noch dazu mein erstes Kind war, kam für mich überhaupt nicht infrage.
Damals war ich schon überfordert damit, den Kinderwagen auf der Landstraße zu koordinieren, wenn sich mein Sohn überhaupt darin ablegen ließ. Ich lehnte das Angebot also freundlich, aber auch etwas verwirrt ab. Als die beiden bei uns waren, war es eigentlich trotzdem ganz schön. Sie bewunderten ehrfürchtig meinen Sohn und hörten mir bei der Beschreibung unserer ersten Wochen zu.
Dann fing mein Kleiner an zu weinen. Ich vermutete, dass er Hunger hatte und wollte ihn gerade zum Stillen anlegen, als Luisa mich skeptisch ansah: ‚Solltest du nicht zuerst versuchen, ihn anders zu beruhigen? Nicht, dass du ihm so beibringst, dass Essen ein Trost ist.‘ Ich war völlig perplex und entgegnete nur, dass ich mir sicher sei, dass mein Sohn Hunger hat.
Innerlich brodelte es in mir, ich fühlte mich unverstanden und angegriffen von einer Person, die mir doch eigentlich immer so nahe war.
Nach unserem ersten Treffen setzte sich das so fort: Während Anna stets bemüht war, Rücksicht zu nehmen und mich oft mitfühlend nach meinen Nächten fragte, hatte Luisa weniger Interesse. Wenn sie sich meldete, dann rief sie ausgerechnet zu den unpassendsten Zeiten an und wenn ich zurückrief, war sie nicht mehr zu erreichen. Mir war klar, dass die Welt meiner Freundinnen sich weiterdreht, aber ich war trotzdem frustriert.
Wenn Luisa und ich doch mal miteinander sprachen, konnte sie sich entweder überhaupt nicht in die Situation hineinversetzen (‚Kannst du deinem Kind nicht einfach die Flasche geben, wenn deine Nippel schmerzen?‘) oder sie machte deutlich, dass sie keine Lust auf meine ‚Baby-Problemchen‘ hatte. Ich fand ihr Verhalten rücksichtslos und hatte auch immer weniger Lust, mit ihr über die Themen zu sprechen, die für mich wichtig waren.
Als mein Sohn etwa vier Monate alt war, war ich zum ersten Mal abends mit ihm alleine.
Es kam wie es kommen musste: Ausgerechnet an diesem Tag weinte er besonders viel. Ich konnte ihn einfach nicht beruhigen und er weinte stundenlang. Ich musste dringend mal wieder duschen, aber konnte ihn nicht eine Sekunde ablegen. Meine Augen brannten und mein Rücken tat weh.
Ich schrieb in die gemeinsame Whatsapp-Gruppe, dass ich total fertig bin und gerade am liebsten mit meinem Baby mitheulen würde. Ein paar kleine Worte des Trostes hätten mir schon geholfen, durchzuhalten und weiterzumachen. Beide Freundinnen waren auch sofort online und sahen die Nachricht, aber keine von beiden antwortete. Ich fühlte mich so einsam wie noch nie in meinem Leben.
Etwa 15 Minuten später klingelte es plötzlich an der Tür.
Meine Freundin Anna stand einfach da und nahm mich stumm in die Arme. Da konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten: Ich heulte Rotz und Wasser und ließ mir von ihr den Rücken tätscheln. Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, nahm sie mir den Kleinen ab und schickte mich duschen. Dass sie in diesem Moment für mich da war, hat mir so viel bedeutet, das werde ich nie vergessen.
Luisa meldete sich übrigens am nächsten Morgen bei mir mit einer kurzen Nachricht: ‚Hey, das ist ja echt doof. Alles wieder okay?‘ Ich antwortete ihr knapp, dass es mir besser ginge, aber innerlich wurde mir in dem Moment einiges klar. Luisa und ich hatten so viel miteinander erlebt, waren uns immer so nahe gewesen, aber unsere Freundschaft war keine, die man ein Leben lang hat, sie hatte ein Mindesthaltbarkeitsdatum.
Wir hatten noch eine Weile losen Kontakt, aber entfremdeten uns immer mehr.
Heute ist sie eher wie eine entfernte Bekannte für mich. Wir sehen uns einmal im Jahr auf Annas Geburtstag und machen höflichen Smalltalk. Meine Freundschaft mit Anna hingegen hat auch das zweite Kind gut überstanden. Sie war an meiner Seite, als es mir richtig schlecht ging und das hat mir deutlich gezeigt, für welche Freundschaften es sich zu kämpfen lohnt.
Meine Freizeit im chaotischen Mama-Alltag ist knapp bemessen, aber ich bemühe mich, mir immer Zeit für sie zu nehmen und, zumindest in den wirklich wichtigen Momenten, für sie da zu sein – so wie sie es für mich war.”
Liebe Frida, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir alles Liebe für die Zukunft!
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