Unsere Autorin Timea Sternkopf ist Mutter einer zweijährigen Tochter und vor kurzem mit ihrer Familie von München aufs Land gezogen. Wie die berufstätige Mama sich beim Abholen ihrer Tochter in der Kita fühlt, erzählt sie hier:
„Gestern ist es wieder passiert: Ich betrat kurz vor 16 Uhr das Kita-Gebäude und da stand meine zweijährige Tochter schon angezogen neben einer Erzieherin im Flur. Sie war bereits das letzte Kind in der ganzen Einrichtung.
Wie üblich begrüßte sie mich mit einem fröhlichen Jauchzen, doch die Freude über Mamas Anwesenheit verblasste schnell. Kurzerhand veränderte sich ihre Stimmung, und sie ließ mich ihre Wut spüren. Ein ganzes Theater der Emotionen folgte, bis sie schließlich etwas von „alleine sein“ brabbelte.
Wir waren wortwörtlich das Schlusslicht, als wir die dunklen Gänge des Gebäudes hinter uns ließen und zum Auto liefen. Mein schlechtes Gewissen stieg ins Unermessliche. Wieso musste mein Kind beim Abholen mal wieder das letzte sein?!
Es ist doch erst 16 Uhr, ich kenne Eltern, die ihre Kinder regelmäßig noch später abholen. Liegt es an der guten Landluft bei uns hier draußen, dass die meisten Eltern ihre Kinder schon zwischen 14 und 15 Uhr abholen können?
Die Erzieherin beruhigte mich, dass bald mehr Kinder mit längeren Buchungszeiten in der Gruppe meiner Tochter sein werden. Wenn die neuen Kinder eingewöhnt sind, wird mein Schatz nicht mehr die letzte sein. Dann wird eine andere Mutter mit schlechtem Gewissen vor der Einrichtung stehen und sich Vorwürfe machen, dass sie ihr Kind so lange in die Betreuung gibt.
Denn anscheinend sind Vorwürfe und Schuldgefühle ein typisches „Mama-Ding“. Mein Mann zum Beispiel versteht mein schlechtes Gewissen nicht: „Ist doch alles in Ordnung. Du bist für sie da, wenn du sie abholst und verbringst dann qualitativ hochwertige Zeit mit ihr.” Qualität vor Quantität heißt es doch so schön, aber am liebsten hätte ich gerne beides.
Ich mache mir immer noch Vorwürfe, dass ich unsere Tochter bereits mit einem Jahr in die Krippe brachte, weil ich wieder arbeiten musste. Ich mache mir Vorwürfe, dass wir nicht mit weniger auskommen können und einer von uns nicht nur für das Kind da sein kann. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich eigentlich ganz gerne arbeiten gehe. Dieses allgegenwärtige schlechte Gewissen, mein treuer Begleiter in allen Lebenslagen, umgibt mich wie ein grauer Nebel, seit meine Tochter auf der Welt ist. Mache ich denn alles richtig?
Doch dann gibt es zum Glück auch die Momente, wo ich mir sicher bin, dass meine Tochter glücklich ist und von der Kita profitiert. Ich unterhielt mich kürzlich mit einer Bekannten, die ihre Kinder erst im Vorschulalter in den Kindergarten brachte. Natürlich finde ich es schön, wenn eine Mutter so viel Zeit mit ihrem Kind verbringen kann und wünsche es mir hin und wieder auch. Andererseits konnte ich nicht anders, als mir vorzustellen, wie einsam meine Tochter ohne diese frühkindliche soziale Erfahrung wäre.
Sie liebt die Krippe und das ganze Drumherum. Nach unserem dreiwöchigen Sommerurlaub freute sie sich riesig darauf, wieder in die Krippe zu gehen. Das ist doch das beste Zeichen, was sie mir geben kann. Sie weint nicht, wenn ich sie abgebe und sie freut sich, wenn ich sie abhole.
Jetzt, da sie bereits über zwei Jahre alt ist, erzählt sie mir in ihren süßen abhackten Sätzen, was sie den ganzen Tag alles erlebt. Gut, wirklich viel erfahre ich nicht, nur dass sie gespielt, geschlafen und gegessen hat.
Kryptische Wortfetzen wie „Garten“ und „Brot gegessen“ müssen meist ausreichen, um mir vorzustellen, wie sie genüsslich ihr Mittagessen verzehrte und fröhlich mit den anderen Kindern im Garten spielte.
Außer Mama kam mal wieder als Letzte. Dann steht sie im Flur und schaut mich vorwurfsvoll an. Oder ist es nur mein Gesicht, dass sich im Glas der Eingangstür spiegelt?
Wir Mütter sind sehr hart zu uns selber (und zu den anderen), das beobachte ich nicht nur an mir, sondern auch im Freundeskreis. Gerade bei dem Thema Kita scheiden sich die Geister: Gibst du dein Kind ab und gehst arbeiten, bist du eine „Rabenmutter“. Bleibst du mehrere Jahre zu Hause, dann nimmst du deinem Kind die sozialen Kontakte und bist selbst eine ambitionslose Hausfrau.
In Wirklichkeit spielt sich doch das Leben für jeden individuell ab, und pauschale Aussagen und Verurteilungen über die gewählte Lebensart führen in einen intoleranten Sog aus Neid und Missgunst.
Jede kämpft schon genug mit ihren eigenen Entscheidungen und diejenige, die dies nicht tut, darf sich glücklich schätzen.