Ach, diese verrückte Zeit der Corona-Pandemie. Was haben mich diese Einschränkungen genervt, auch, wenn ich ihre Notwendigkeit verstehe… Was hat mich die rasante Verbreitung des Virus das Fürchten gelehrt, besonders, wenn man all die Meldungen der Schicksale weltweit mitbekommen hat…. Und was hat mir unser Umgang mit der Situation meiner Tochter gegenüber Kopfzerbrechen bereitet: Wie erklären wir ihr das alles, wie können wir ihr Halt geben in diesem ungewohnten Alltag…
Und all das ist ja noch (lange?) nicht aus der Welt geschafft. Das weiß mein Kopf zwar, aber durch all die die Lockerungen der letzten Zeit fühlt es sich unvernünftigerweise manchmal so ein wenig zu an, als hätten wir das Schlimmste schon hinter uns.
Und aus diesem trügerischen Bauchgefühl heraus habe ich neulich einmal darüber nachgedacht, wie meine fünfjährige Tochter wohl einmal auf diese Zeit zurückblicken wird.
Klar, sie wird sich noch an einige Dinge erinnern können. Aber was werde ich antworten, wenn sie mich fragt, woran ich bei „Corona“ denke? Denn ich weiß genau, woran ich mich zuerst erinnern werde.
Ich werde mich daran erinnern, dass ich das Virus am Anfang gar nicht ernst genommen habe. Ich war wegen eines Hustens bei meinem Hausarzt und wir haben noch blöde darüber gescherzt, ob ich wohl gerade in China war, har, har. Und dann werde ich daran denken, als mir allmählich bewusst wurde, dass es wirklich ernst ist. So richtig.
Ich werde mich daran erinnern, dass wir es trotzdem kaum glauben konnten, als unsere Welt zum Stillstand kam. Kitas dicht, Schulen zu, Geschäfte geschlossen, Treffen mit Freunden abgesagt. Und obwohl unsere „Ausgangsregeln“ ja noch relativ human waren, wurden wir uns unserer gewohnten Freiheit bewusst. Auch so etwas, das man erst vermisst, wenn es nicht mehr da ist…
Ich werde mich an die Maskenpflicht erinnern. Meinen Widerwillen bei den ersten Einkäufen, das Gefühl, knapper Luft zu bekommen. Und daran, wie schnell all das zur Routine wurde – nur an die beschlagenen Brillengläser habe ich mich sicher nie gewöhnt.
Ich werde mich an meine abendlichen Spaziergänge erinnern – „wie so´n Rentner“! Mir fehlten mein Kickbox-Kurs, meine Wege zum Büro hin und wieder zurück… Ich brauchte abends die Bewegung, aber auch die Ruhe, wenn meine kleine Maus schlief und ich am Kanal entlang lief und Gänse beobachete.
Ich werde mich definitiv an das wochenlange Homeoffice erinnern – erst mit, dann wieder ohne Kind. Dieses morgens nicht aus dem Bett kommen und dann in Jogginghose und mit nur flüchtig gewaschenem Gesicht am Küchentisch arbeiten. Inklusive jeder Menge Snacks. Ein, zwei, drei Kilo mehr fallen einem in der Jogginghose ja gar nicht so auf…
Und vor allem werde ich mich daran erinnern, welche Sehnsucht in uns steckte. Wir vermissten unsere Familie und Freunde, Verabredungen, Ausflüge – die ganze Liebe und Leichtigkeit, die uns sonst umgab.
Das alles war und ist Corona bisher für mich. Aber das heißt ja nicht, dass ich es so meiner Tochter weitergeben muss.
Wenn sie mich irgendwann mal fragen wird, wie das „damals“ für uns so war, kann ich nämlich auch andere Dinge erzählen – die ebenso wahr sind.
Ich werde ihr erzählen, was für ein großes Glück wir hatten, zu dritt zu Hause zu sein. Auch, wenn wir uns manchmal gegenseitig genervt haben. Die meiste Zeit hatten wir doch viel Spaß miteinander – und ganz viel Zeit für uns.
Ich werde mich mit ihr zusammen daran erinnern, wie sie in dieser Zeit auf unserem Hof Fahrradfahren gelernt hat. Endlich war einmal die Ruhe und die Zeit da, Runde für Runde zu drehen. Erst mit Mama und Papa als Stütze und dann auf einmal – hups! – ganz alleine.
Ich werde ihr erzählen, dass wir eigentlich in einer sehr guten Lage waren: Wir durften das Haus ohne Rechenschaft verlassen, wir Eltern konnten problemlos von zu Hause aus arbeiten, wir hatten keine Existenzsorgen und das Homeschooling, das so viele Familien zum Verzweifeln brachte, blieb uns noch erspart.
Ich werde sie daran erinnern, dass wir uns eine ganz neue Tagesstruktur ausgedacht haben: Vom kleinen Morgenkreis bis hin zu drei gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen wir über alles sprechen konnten.
Ich werde mit ihr den Karton mit kleinen Basteleien anschauen, die sie in dieser Zeit gemacht hat. Niemals vorher hatten wir so viele tolle Sachen ausprobiert: Fimo-Figuren, Bügelperlen, Kartoffeldruck…
Ich werde mit ihr darüber sprechen, dass wir in diesen Wochen ganz viele Menschen schmerzlich vermisst haben – aber durch Briefe, Telefonate und Skype keinen Kontakt ganz verloren haben. Not macht erfinderisch!
Kurzum: Ich werde ihr die Erinnerungen geben, die sie verdient hat.
Denn ja, ich hatte oft Angst und Kummer oder auch einfach die Nase voll – aber wir als Familie, wir sind noch einmal mehr zusammengewachsen und haben gesehen, dass 24/7 bei uns nicht nur in der Unbeschwertheit eines Urlaubs funktioniert.
Wir hatten so viel Glück. Wir waren zusammen, sicher und vor allem gesund. Und genau das ist es doch, was zählt, wenn die Welt einmal aus ihren Fugen gerät. An mehr müssen wir uns vielleicht irgendwann gar nicht mehr erinnern.