Liebe Inke Hummel, werden Kinder heute zu sehr verwöhnt?

Über die Zukunft der Kleinen und Kleinsten wird viel spekuliert: Einige Experten sind sich beispielsweise einig, dass eine Generation von kleinen Tyrannen heranwächst. Auch wenn ich nicht glaube, dass es „Tyrannenkinder” in dem Sinne wirklich gibt, ist vielleicht doch etwas dran, dass manche Eltern ihren Kindern zu sehr nachgeben – oder? Wir haben Inke Hummel danach gefragt, sie ist Familienbegleiterin, Erziehungsberaterin und pädagogischer Coach und außerdem Autorin von Eltern-Ratgebern wie „Mein wunderbares wildes Kind”* und „Nicht zu streng, nicht zu eng”*.

Dass manche Eltern dazu neigen, ihre Kinder falsch zu verwöhnen, weil sie Konflikte meiden und ihren Kindern aus falsch verstandener Liebe zu viele Herausforderungen aus dem Weg räumen, darüber haben wir bereits berichtet: Stichwort „Helikopter-Eltern” oder „Rasenmäher-Eltern”.

Inke Hummel hat uns die wichtigsten Fragen dazu beantwortet.

Stimmt es, dass Kinder heutzutage verwöhnter sind als früher?

„Das sind sie ganz bestimmt, weil wir unsere Kinder heute endlich verwöhnen können und dürfen. Das war nicht zu allen Zeiten so. Die Frage muss heute eher lauten: Wie viel von dem Verwöhnen heute ist gutes Verwöhnen und wie viel ist schlechtes Verwöhnen, das langfristig der kindlichen Entwicklung oder unserer Beziehung zum Kind schadet?”

Gibt es einen Zusammenhang zur (falschverstandenen) bedürfnisorientierten Erziehung? Wenn ja, welchen?

„Oh, ja, den gibt es, denn leider wird Bedürfnisorientierung häufig missverstanden und gelebt als ein eher überfürsorglicher Erziehungsstil mit Vermeidung von Konflikten, von Herausforderungen und von der Entstehung von Bewältigungskraft im Kind.”

Ab wann verwöhnen Eltern ihre Kinder zu sehr?

„Ungutes Verwöhnen zeichnet sich dadurch aus, dass es entweder einer gesunden Entwicklung des Kindes im Weg steht, zum Beispiel, weil wir ihm zu viel abnehmen und keine Lerngelegenheiten bieten, oder dadurch, dass wir Eltern etwas tun, unter dem wir kontinuierlich leiden.

Ein Beispiel wäre: Ich trage mein Kind immer, so dass es nicht laufen üben kann und auch nicht stolpern darf. Oder: Ich trage mein Kind immer, wenn es weinerlich wird, obwohl ich längst einen Bandscheibenvorfall habe.”

Was sind Folgen für die Kinder, wenn Eltern sie „zu sehr verwöhnen”?

„Zum einen kann das Kinder sehr unselbständig machen, zum anderen aber auch sehr unangenehm fordernd. Und unter all dem kann sich das Selbstwertgefühl nicht stabil ausbilden, denn wenn ich ständig Hilfe brauche, Abhängigkeit spüre, kleingehalten werde, fühle ich mich äußerst unwohl. Den Kindern fällt innere Sicherheit und ihnen fehlt natürlich auch Bewältigungskraft für Herausforderungen, wenn sie nie welche erleben dürfen.”

Worauf können Eltern achten, um diesen Fehler zu vermeiden?

„Man sollte immer mal wieder innehalten und sich Fragen stellen: Worum geht es hier gerade? Ist das eine Ausnahme oder schon die Regel? Stehe ich meinem Kind damit im Weg? Was braucht mein Kind nachhaltig von mir, um reifen zu können? Wachsen da in mir Unmut und Abneigung, weil ich dauernd über meine Grenzen gehe?

Und sie können sich damit auseinandersetzen, was eigentlich wirklich Bedürfnisse sind und was nur Wünsche sowie auch damit, wie viel Bedürfnisaufschub und -abstriche Kinder vertragen können, ohne Schaden zu nehmen.”

Kann es auch gut sein, sein Kind zu verwöhnen?

„Absolut. Es ist eine Errungenschaft, dass wir das heute dürfen und uns die Beziehungsorientierung nicht rät, das Kind zu ignorieren oder zu einem ‚Befehlsempfänger‘ zu erziehen.”

Vielen Dank an Inke Hummel für das Beantworten unserer Fragen!

Du interessierst dich für das Thema bindungsorientiertes Erziehen? Dann findest du hier mehr dazu:

Nicht zu streng, nicht zu eng: Dein sicherer Weg zwischen Schimpfen und falschem Verwöhnen.
Der alltagsnahe Wegweiser für Eltern von Babys, Kleinkindern, Vor- und Grundschulkindern – Unterstützung und Tipps aus der bindungsorientierten Beziehung.

*Dieser Text enthält Affiliate-Links, die mit einem Sternchen gekennzeichnet sind. Das heißt: Immer, wenn du etwas darüber bestellst, erhalten wir vom Verkäufer einen kleinen Obolus. Der Preis des Produkts ändert sich dadurch nicht. Für Produktlinks, die nicht mit Sternchen gekennzeichnet sind, erhalten wir keine Vergütung. Unsere Berichterstattung wird durch die Vergütung nicht beeinflusst.

Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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Thomas Spranger und Maria Steppeler
Thomas Spranger und Maria Steppeler
2 Monate zuvor

Liebe Autorin,
wir sind total begeistert von deinem Artikel über die Frage, ob Kinder heute zu sehr verwöhnt werden! Deine Herangehensweise, eine Expertin zu diesem kontroversen Thema zu befragen, finden wir super spannend und aufschlussreich.
Was uns besonders gefallen hat, ist deine ausgewogene Darstellung des Themas. Du greifst die weit verbreitete Sorge auf, dass Kinder heutzutage zu sehr verwöhnt werden könnten, stellst sie aber gleichzeitig in Frage und lässt eine Fachfrau zu Wort kommen. Diese differenzierte Betrachtungsweise finden wir sehr wertvoll in einer Zeit, in der oft schnelle Urteile gefällt werden.
Wir finden es toll, wie du die Perspektive der Expertin Nicola Schmidt einbringst. Ihre Sichtweise, dass Kinder nicht verwöhnt, sondern umsorgt werden, gibt dem Thema eine ganz neue Dimension. Es ist so wichtig, darüber nachzudenken, was Kinder wirklich brauchen, anstatt sich von oberflächlichen Vorurteilen leiten zu lassen.
Deine Ausführungen über die evolutionären Hintergründe des kindlichen Verhaltens fanden wir besonders faszinierend. Es ist so interessant zu sehen, wie unsere Vorfahren mit Kindern umgegangen sind und wie sich das auf unser heutiges Verhalten auswirkt. Die Idee, dass Kinder instinktiv nach Nähe und Aufmerksamkeit suchen, weil das früher überlebenswichtig war, gibt uns eine ganz neue Perspektive auf das Thema „Verwöhnen“.
Was uns besonders berührt hat, war die Botschaft, dass Liebe und Zuwendung keine Grenzen kennen sollten. Die Vorstellung, dass man ein Kind gar nicht zu sehr lieben kann, finden wir sehr ermutigend und tröstlich für alle Eltern, die sich manchmal fragen, ob sie „zu viel“ für ihre Kinder tun.
Eine Frage hätten wir noch: Wie gehst du persönlich mit dem Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Förderung der Selbstständigkeit um? Hast du eigene Erfahrungen gemacht, die du mit uns teilen möchtest?
Dein Artikel hat uns wirklich inspiriert und uns geholfen, unser eigenes Verhalten gegenüber Kindern zu reflektieren. Deine Botschaft, dass es wichtig ist, auf die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes einzugehen, finden wir sehr wertvoll.
Vielen Dank, dass du dieses wichtige Thema so einfühlsam und differenziert behandelst. Du gibst Eltern und Erziehenden wertvolle Denkanstöße und ermutigst sie, ihrem Gefühl zu vertrauen.
Mach weiter so mit deinen tollen, informativen Beiträgen! Wir freuen uns schon darauf, mehr von dir zu lesen und vielleicht auch von deinen persönlichen Erfahrungen in der Kindererziehung zu hören.
Liebe Grüße und nochmals vielen Dank für diesen inspirierenden Artikel.