Wie du dein Kind erziehst, prägt viel mehr fremde Kinder, als du denkst

In meinem weiteren Bekanntenkreis gibt es ein Mädchen, das hat es zu Hause in vielerlei Hinsicht nicht so leicht. Ohne auf die Details einzugehen, kann ich an dieser Stelle nur sagen: Eine behütetete Kindheit sieht – leider – anders aus. Vor Kurzem sagte sie zu mir:

„Durch dich als Mama habe ich gesehen, was liebevolle Erziehung ist. So möchte ich es bei meinen Kindern auch mal machen, damit sie es mal besser haben als ich.”

Das ging mir sehr ans Herz.

Mir ist dadurch bewusst geworden, dass wir durch die Art, wie wir als Mamas und Papas erziehen, bei Weitem nicht nur unsere eigenen Kinder beeinflussen.

Sondern auch unser Umfeld – und manchmal sogar Kinder, die wir noch nicht einmal beim Namen kennen. Sogar die können wir allein durch unsere Vorbildfunktion unwissentlich ein Leben lang prägen.

Genau das ist mir übrigens auch selbst als Kind passiert – mich hat eine völlig fremde Mutter so stark geprägt, dass es bis heute nachwirkt.

Wie ich hier schon mal erzählte, hatte ich eine sehr schöne Kindheit mit Eltern, die bei meiner Geburt schon ein wenig älter waren.

Allerdings waren sie – vielleicht ihrer Generation entsprechend – auch ziemlich konservativ.

Konservativ beispielsweise im Sinne von: Homosexualität? Um Himmels Willen! Wäre ich lesbisch, hätte ich mit meinem Papa den „Spaß meines Lebens“ bekommen – er hätte niemals Verständnis dafür aufgebracht.

Er sagte zwar immer „Egal, was du angestellt hast, du kannst immer nach Hause kommen“ – aber mit einer Freundin wäre ich beispielsweise in absolute Ungnade gefallen. Natürlich hat man dann als Heranwachsende auch nicht mehr das Gefühl, man hätte überhaupt eine Wahl.

Oder auch konservativ im Sinne von: Alles was fremd ist und aus der Norm fällt, wird erstmal abgelehnt.

Bis ins Teenageralter habe ich mich daran orientiert und diese Haltungen kaum hinterfragt.

Aber da war trotzdem immer so ein Gefühl, das mir sagte: Irgendwie gefällt mir diese Haltung nicht. Irgendwie ticke ich anders. Bin ich vielleicht unnormal? Geht es denn nicht auch anders?

Dann sah ich – durch andere Eltern und Verwandte – dass es sehrwohl auch anders ging.

Genau genommen lernte ich das durch die Mutter einer Mitschülerin, mit der ich nichtmal befreundet war.

Diese fremde Mutter hat an unserem Schulleben sehr stark Anteil genommen. Sie schneiderte für Theateraufführungen, unterstützte bei Schulfesten und engagierte sich sozial. Sie war im Schulalltag omnipräsent – und vom Typ her so ganz anders als meine Eltern, denen im Traum nicht eingefallen wäre, sich zu solchen Gelegenheiten in irgendeiner Form einzubringen. Im Gegenteil. Das wäre einfach nicht ihre Art gewesen. Sie wollten mit meiner Schule nie viel zu tun haben.

Einfach nur durch das Vorbild dieser Mutter habe ich gelernt, wie wichtig Toleranz ist.

Ich fand diese Frau in ihrer ganzen Haltung (“Leben und leben lassen”) so toll! Mein 12-jähriges Ich beobachtete sie fasziniert von der Seitenlinie aus und lernte, dass man Menschen auch einfach so akzeptieren kann, wie sie sind. Und dass es daran rein gar nichts Schlechtes gab. Ich fühlte mich so verstanden in der Art, wie ich tickte.

Ich muss heute noch an diese Mutter denken – vor allem, wenn ich meiner Tochter ähnliche Werte vermittele.

Dabei kannte diese fremde Mutter nicht mal meinen Namen – ich hab mich selbst nie getraut, mit ihr zu sprechen. Sie ahnt bis heute nicht, welchen enormen Einfluss sie all die Jahre während der weiterführenden Schule auf mich hatte. Einfach nur durch ihr Wirken in meinem direkten Umfeld.

Einfach nur dadurch, dass ich mitbekam, wie sie ihre eigenen Kinder erzog und wie verständnisvoll sie selbst mit fremden Kindern umging. Sie bot anderen Kindern eine Anlaufstelle, war eine Vertrauensperson. Mein Vorbild: So wollte ich auch sein.

Ich bin ihr bis heute sehr dankbar dafür, und am liebsten würde ich ihr das nochmal sagen.

Denn ohne sie hätte ich mich vielleicht gar nicht getraut, die konservative Grundhaltung meiner Eltern zu hinterfragen, mutig mit ihnen darüber zu diskutieren und meinen eigenen Weg zu finden. Deshalb berührt es mich umso mehr, zu sehen, dass ich heute selbst auch solchen Einfluss nehme.

Gleichzeitig macht mir der Gedanke auch ein bisschen Angst – denn das ist ganz schön viel Verantwortung… Aber genau genommen ist es doch ganz leicht:

Wer Liebe und Toleranz in die Welt trägt, sorgt dafür, dass sie weitergetragen wird, und das nicht nur von den eigenen Kindern.

Mit diesem kleinen Dominostein stoßen wir so viel mehr an, als wir oft denken.

Leider gilt dasselbe auch umgekehrt für Unterdrückung, Lieblosigkeit, Ausgrenzung, Gewalt.

Kinder, die in einem weniger wohlmeinenden, unterstützenden, häuslichen Umfeld aufwachsen, haben es umso schwerer, daraus auszubrechen und diese Abwärtsspirale zu durchbrechen. Aber dann kann ihnen ein anderes Rolemodel zumindest etwas Hoffnung geben. Die Hoffnung, dass es sich lohnt, stark zu bleiben und es selbst besser zu machen.

Ilona Utzig

Ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser.

Alle Artikel

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Neueste
Älteste Beliebteste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen