Laut Nachrichtenagentur AP sind mit den Zwillingsmädchen Lulu und Nana in China jetzt die ersten Babys geboren worden, in deren Erbgut bereits im frühen Embryo-Stadium eingegriffen wurde.
Genauer gesagt wurde bei den Ungeborenen eine Erbgut-Anlage mithilfe des Genom-Editier-Werkzeugs „Crispr/Cas9“ ausgeschaltet. Stimmt diese Nachricht, wäre es weltweit das erste Mal, dass ein solcher Eingriff beim Menschen erfolgreich stattgefunden hat.
Der leitende Wissenschaftler He Jiankui erklärt in einem Video, dass die „Genom-Chirurgie“ im Erbgut der beiden ungeborenen Mädchen „die molekulare Eintrittspforte entfernt hat, durch die HI-Viren Menschen infizieren können.“
Ziel ist es, eine Möglichkeit zu finden, dem HI-Virus, der Aids auslöst, den Eintritt in die Körperzellen zu verwehren.
He Jiankui von der Universität Schenzen erklärt, dass die beiden Mädchen so gesund wie jedes andere Kind zur Welt gekommen seien.
Bislang gibt es allerdings keine wissenschaftliche Veröffentlichung zum Gelingen des Experiments, lediglich einen Eintrag in einem chinesischen Register für klinische Tests.
Weltweites Entsetzen und jede Menge Kritik
Und trotzdem sorgte die Ankündigung für schärfste Kritik von Kollegen aus der Wissenschaft. Über 100 chinesische Wissenschaftler haben einen Protestbrief unterzeichnet. „Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschrieben werden!“, heißt es in dem Schreiben.
Die Genauigkeit des von He Jiankui genutzten Verfahrens der „Genschere“ Crispr/Cas9 und dessen Wirkungsweise seien ein sehr kontroverses Thema unter Wissenschaftlern. Es sei zwar möglich, dass die Kinder, die diesmal geboren wurden, (zumindest für einen bestimmten) Zeitraum gesund sind. „Aber die potenziellen Risiken und Schäden für die gesamte Menschheit, die durch einen ungerechtfertigten Einsatz des Verfahrens in der Zukunft entstehen können, sind unermesslich.“ Aufsichtsbehörden sollten schnell handeln und eine umfassende Untersuchung des Vorfalls durchführen: „Die Büchse der Pandora wurde geöffnet, und wir haben möglicherweise eine Chance, sie zu schließen, bevor der Schaden irreparabel ist.“
Auch der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock zeigt sich schockiert: „Sollte es sich bewahrheiten, dass ein mithilfe von Crispr genmanipuliertes Baby erzeugt worden ist, wäre dies für die Wissenschaft ein Super-Gau.“ Es handle sich bei den Experimenten „um unverantwortliche Menschenversuche. Immerhin handelt es sich um einen Eingriff in die biologische Grundlage des Menschen.“ Eingriffe in die Keimbahn des Menschen beträfen nicht nur einen Einzelnen, sondern potentiell alle seine Nachkommen.
Doch wie funktioniert das Prinzip der Genschere Crispr/Cas9 überhaupt?
Schon in den 80ern fanden Forscher ungewöhnliche, sich wiederholenden Sequenzen im Erbgut von Kleinstlebewesen. Später wurde entdeckt: Die Bakterien schützen sich vor eindringenden Viren, indem sie Schnipsel aus deren Erbgut in ihre eigene DNA einbauen. So können sie den Eindringling bei einer erneuten Attacke wiedererkennen und gezielt ansteuern. Inzwischen weiß man, dass Crispr/Cas9 auch beim Menschen funktioniert. Außerdem zeigte sich, dass Crispr nicht nur DNA, sondern auch die etwas andere RNA schneiden kann. Somit kommt die Gen-Schere – bisher theoretisch! – auch für den Kampf gegen gefährliche Viren wie HIV infrage. Es gibt jedoch noch ungelöste Probleme – etwa bei der zuverlässigen Reparatur der zerschnittenen Sequenzen.
Irgendwie unheimlich, oder was meint ihr? Vor allem, wenn dieser Prozess jemals „in Serie“ gehen sollte – was ist denn dann mit den Familien, die sich gegen ihn entscheiden, ob aus moralischen oder finanziellen Gründen? Wird die Infektion mit HIV dann zum echten Stigma werden?